Musik an sich


Reviews
Ry Cooder

Pull Up Some Dust And Sit Down


Info
Musikrichtung: Americana

VÖ: 02.09.2011

(Nonesuch/ Warner)

Gesamtspielzeit: 61:18

Internet:

http://www.nonesuch.com/artists/ry-cooder


Wer mit Ry Cooder groß geworden ist, hat ihn in der Regel im Kontext Rockmusik kennen gelernt und schätzte sein exzellentes Slideguitar-Spiel. Dass man Cooder mit der Zuordnung zur Rockmusik nie ganz gerecht wurde, ist wohl endgültig deutlich geworden, als er zu Beginn der 1990er Jahre immer mehr Weltmusik- und Filmmusik-Aufnahmen einspielte. Auch die Bezeichnung Americana, die für seine Musik vor 1990 noch am ehesten zutrifft, wurde damals noch nicht verwendet. Seine von Country, Reggae, Tex Mex, Blues, Folk und Jazz durchtränkte Musik war nicht nur durch ihre stilistische Komplexität hochinteressant, auf der Bühne brodelte eine Band, die alle Knochen zum Schütteln bringen konnte und Amerika, Karibik und Mexiko eins werden ließ.

Das letzte Album, in dem dieses Konzept richtig losging, ist allerdings schon sehr lange her: Auf Get Rhythm ließ es Ry Cooder 1987, also vor fast einem Vierteljahrhundert, zum letzten Mal so richtig krachen. In etwa ab diesem Zeitpunkt zeigte er, dass er auch außerhalb des amerikanischen Festlandes (Kuba, Afrika, Indien) und mit Filmmusiken (Paris – Texas) gleichrangige Qualität liefern konnte und er widmete sich einer Verbindung von Konzept-Album, kritischer Aufarbeitung amerikanischer Geschichte und dem breiten Kosmos amerikanischer Musikstile auf seiner Kalifornien-Trilogie der letzten Jahre (Chavez Ravine, My Name Is Buddy, I, Flathead).

Doch irgendwie vermisste man seine wilden Slides und seine rockigen Tunes. Diese tauchten jedoch in letzter Zeit wieder vermehrt auf: Stücke wie „Pink-O-Boogie“ auf I, Flathead (2008) oder seine für ihn typische Begleitung auf dem Mavis Staples-Album We'll Never Turn Back (2007) zeigten den alten, fetzigen Ry Cooder mit seinem legendären Gitarrensound. Sieht man sich nun die Besetzung seines neuen Albums Pull Up Some Dust And Sit Down an, entdeckt man plötzlich viele aus der alten 1970er-Jahre-Truppe Cooders wieder: Flaco Jimenez und sein mexikanisches Akkordeon, die Gospelsänger Terry Evans und Willie Green oder Drummer Jim Keltner. Tatsächlich klingt das neue Werk zunächst fast wie eine Rückkehr zu den ganz frühen Alben, aber auch nur fast. Nach genauerem Hören kommt es einem vor wie die Summe seiner Erfahrungen aus seinem Gesamtwerk. Stilistisch mixt er weiter das, was amerikanische Musik insbesondere historisch ausmacht und er setzt an seinem inhaltlichen Konzept der letzten Alben an, der Beschreibung Amerikas als eine Gesellschaft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich unglaublich größer ist als man es sich hierzulande vorstellen kann. Seine Wut mischt er dabei mit einem gehörigen Schuss Humor und Sarkasmus. Musikalisch wirkt er oft so, als hätte er wie in früheren Zeiten alte politische Folksongs und Blues der 1930er oder 1940er Jahre ausgegraben, die Stücke sind aber ausnahmslos von Cooder selbst getextet und komponiert. Auf seine genialen Slideguitar-Soli muss man jedoch weitgehend verzichten - ein Wermutstropfen, trotzdem das Album Cooders bestes seit Get Rhythm ist.

Im Grunde hat Cooder sich die Weltwirtschaftskrise zum Thema gemacht und wirkt dabei fast wie eine Art Michael Moore der Musik. Cooder verdeutlich mit der Verwendung teils traditioneller Spielweisen, dass die Spaltung der Gesellschaft schon lange in den USA besungen wurde. Dies macht auch die Fotogestaltung deutlich: Bilder aus der Zeit, in der auch die Lieder von Woody Guthrie und Leadbelly entstanden. Cooder versteht sich entsprechend als deren moderner Fackelträger. In Songs wie dem Opener „No Banker Left Behind“ wundern sich die Leute, dass alle Banker die Stadt verlassen haben und mit dem Zug nach Washington gefahren sind. Champagner, Cocktails und eine Billion Dollar Boni haben sie dabei: „They robbed the nation blind.“ Gut, dass es da noch Jesse James im nächsten Song gibt, der im Himmel seinen 44er-Colt zurückverlangt, um den Bankern angemessen zu drohen: "Put that bonus money back where it belong!" Und schon schmettern die Mariachi-Bläser los und Flaco Jimenez hat seinen Einsatz wie vor 30 Jahren. Ihr Mexikaner, spielt solange ihr noch könnt! Im dritten Song "Quick Sand" wartet auf diejenigen von Euch, die illegal die Grenze zur USA überschreiten, bereits der Treibsand der Gesellschaft, in dem die Schwächsten untergehen. Der Song wurde bereits 2010 von Cooder zum neuen Immigrationsgesetz als Single veröffentlicht. Noch deutlicher in Bezug zum Irak-Krieg und der amerikanischen Politik wird Cooder in „Christmas Time This Year“. Hier geht es um die Kriegskrüppel, denen die Arme fehlen, um ihre Kinder Weihnachten im Arm zu halten oder denen der Mund zerschossen wurde und sie so noch nicht mal ihre Frauen küssen können. „Thank you Mr. President for your kind words and deeds … take this war and shove it up your Crawford Texas ass”, kommentiert Cooder hierzu, meint aber George W. Bush, weil dessen Feriendomizil in Crawford Texas war. Obama will Cooder wohl weniger kommentieren. Wenn schon ein schwarzer Präsident, dann hätte Cooder ja viel lieber John Lee Hooker schon weitaus früher im Amt gesehen. In „John Lee Hooker For President“ ahmt Cooder nicht nur stilecht den Bluesveteranen nach, sondern erzählt in Ich-Form, wie Hooker ins Weiße Haus marschiert und „One Bourbon, One Scotch, One Beer“ (ein alter Hooker-Hit) für alle Bürger dreimal am Tag fordert. Er beschreibt sich als strikt unparteilich und kündigt den Dummschwätzern und Lobbyisten an, auf sie zu schießen, sollten sie sich in die Nähe des Weißen Hauses wagen. Einen kleinen absurden Spaß scheint sich Cooder da zu erlauben, doch dürfte es doch eher ein sinnbildlicher Kommentar zu Obamas bisheriger Amtsführung als Präsident sein.

Ry Cooder spielt den Hooker-Song ganz reduziert als Talking Blues und baut auch mit „Baby Joined The Army“ einen weiteren ungewöhnlichen Blues im Stil einer Jazzballade ein, bei der er sich nur mit den Basssaiten seiner Gitarre begleitet - ein bisschen „Paris – Texas“-Atmosphäre inklusive. Doch andererseits gibt es auch endlich wieder ein paar knackige Rocksongs: „Quick Sand“ hätte auch von David Lindley in seiner El Rayo X-Phase sein können. Und in „I Want My Crown“ jault schon gleich zu Beginn endlich die Slideguitar auf, die raukehligen Gospelsänger jubilieren und Cooder krächzt wie sein einstiger Boss Captain Beefheart. Und in „Lord Tell me Why“ zeigt er sich genauso krachig und energetisch wie Techno-Blueser Little Axe. Das alles und noch viel mehr erinnert an den alten Ry Cooder: „Humpty Dumpty World“ zuckt in genau dem Reggae-Beat, für den man ihn ebenfalls kennt. „Christmas Time This Year“ ist volle Kanne lustiger Mexicano-Sound – aber man lese den Text dazu: Dann ist Schluss mit lustig! Und auch die Crooner-Sachen sind wieder dabei: „Dirty Chateau“ klingt wie eine Verbeugung vor Sam Cooke und auch „Simple Tools“ ist einer dieser unschlagbaren Schmachtfetzen. Cooder gelingt einfach alles.

Ry Cooders ironische Protestsongs, verbunden mit seinem zeitlosen musikalischem Kaleidoskop und die Rückkehr seiner fetzigen Rocker sind eigentlich wie geschaffen, als Agit-Pop-Songs die komplexe Weltwirtschaftskrise einfach zu erklären. Musikalisch und inhaltlich zeigt sich Cooder gereifter als je zuvor. Ein Meisterwerk, das gerade dazu ruft, dass Cooder mit der alten Crew wieder auf die Bühnen der Welt zurückkehrt.



Hans-Jürgen Lenhart



Trackliste
1No Banker Left Behind3:36
2 El Corrido De Jesse James4:17
3 Quick Sand3:17
4 Dirty Chateau5:29
5 Humpty Dumpty World4:18
6 Christmas Time This Year2:49
7 Baby Joined The Army6:35
8 Lord Tell Me Why3:01
9 I Want My Crown2:37
10 John Lee Hooker For President6:08
11 Dreamer5:06
12 Simple Tools5:07
13 If There's A God3:06
14 No Hard Feelings5:52

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