Musik an sich


Reviews
Charpentier, M. A. (Christie)

Judicium Salomonis H. 422 / Motet pour une longue offrande H. 434


Info
Musikrichtung: Barock Oratorium

VÖ: 20.10.2006

Virgin / EMI
CD (AD DDD live 2005) / Best. Nr. 0946 3 59294 2 3


Gesamtspielzeit: 63:00



DRAMATIK UND DELIKATESSE

In ihren glücklichsten Momenten gelingt es William Christie und Les Arts Florissants eine perfekte, dabei unangestrengte Balance von Dramatik und Delikatesse – eine ideale Voraussetzung für die vielschichtige Musik Marc-Antoine Charpentiers, der im 17. Jahrhundert den eleganten französischen und den virtuos-expressive italienische Stil auf ideale Weise verband.

Für diese Vermischung von Feinsinn und effektvoller, abwechslungsreicher Musikalität ist die späte „oratorische Motette“ Judicium Salomonis ein herausragendes Beispiel. Die berühmte biblische Geschichte über die Weisheit von König Salomon hat Charpentier zum einen als prachtvollen und repräsentativen Fürstenspiegel, zum anderen als Minioper mit durchaus burlesken Humor angelegt (die „falsche Mutter“ wird mit kunstvoll keifender Stimme von einem hohen Tenor gesungen). Bei den großen Chören, orchesterbegleiteten Rezitativen und instrumentalen Sinfonien demonstriert Charpentier seine Beherrschung aller gängigen Stilmittel. Herausragend ist eine „Schlummerszene“, die aus der französischen Barockoper entlehnt ist und den Komponisten auf der Höhe seiner harmonischen und instrumentalen Künste zeigt.
Die Verbindung sakraler und profaner Stilmittel kennzeichnet auch die monumentale Motette für eine lange Opferfeier. Sie wurde vom Komponisten musikalisch nicht weniger aufwändig als die Salomon-Episode in Szene gesetzt. Diverse Instrumentalgruppen, Chor-, Solo- und Ensemble-Sätze wechseln in unterschiedlichen Kombinationen miteinander ab. Nimmt man zum Vergleich die rund 20 Jahre alte Einspielung von Philippe Herreweghe (harmonia mundi), dann fällt auf, dass Christie den Akzent auf die Theatralik der Musik verschoben hat und das kreative Spannungsfeld von Sakralem und Profanen intensiv gestaltet. Bei Herreweghes kontemplativer Interpretation besteht kein Zweifel an der liturgischen „Weihe“ der Musik. Christie dagegen kostet die tonmalerischen, opernhaften Momente der Musik aus und macht daraus ein sinnenfreudiges Stück barockes Sakraltheater: Wenn Feuer und Schwefel auf das Haupt der Sünder herabgerufen werden, dann lodert und brennt die Musik hier wirklich.

Wie bei LAF zu erwarten, agieren Solisten und Ensemble auf sehr hohem Niveau, das bei diesem Repertoire von kaum einem anderen Ensemble erreicht wird. Klangpracht und Intimität, Klangrede und Sanglichkeit, großer Atem und Detailfreude befinden sich in einem glücklichen Gleichgewicht, die Wirkung ist erhaben und zugleich bewegend. Von Routine also keine Spur.

Präsent und gut gestaffelt das Klangbild; der Beitrag von H. Wiley Hitchcock im Beiheft ist sachkundig und informativ. Insgesamt eine sehr gelungene Produktion zweier selten eingespielter Werke, die den Ausnahmerang Charpentiers und seiner modernen Interpreten eindrucksvoll unter Beweis stellen.



Georg Henkel



Trackliste
101-12 Judicium Salomonis H. 422
213-18 Motet pour une longue offrande H. 434
Besetzung

Solisten, Chor und Orchster Les Arts Florissants
Ltg. William Christie


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