Matteo Mancuso

The Journey


Info
Musikrichtung: Rock

VÖ: 06.10.2023

(Mascot / Tonpool)

Gesamtspielzeit: 40:23

Internet:

http://www.matteomancuso.net


Gerade bei Gitarristen ist man mit Superlativen schnell bei der Hand. Meist erschöpfen sich die herausragenden Fähigkeiten von Saitenhexer X allerdings darin, noch schneller als Saitenhexer Y zu spielen. Dabei steht längst Saitenhexer Z hinter ihm, der noch mehr Noten in noch kürzerer Zeit runterreißt. Das ist im ersten Moment beeindruckend, langweilt aber bald, weil insbesondere für Nicht-Gitarristen alles gleich klingt!

Bei Matteo Mancuso verhält es sich grundlegend anders: Der 26-Jährige erzeugt jeden Ton mit den Fingern direkt auf den Saiten, ohne Plektrum und ohne den Einsatz eines Tremolos. Daraus hat der Ausnahmemusiker seine unnachahmliche Technik und Phrasierung entwickelt, deren Fundament klassische Gitarre und beim Einsatz der rechten Hand Bass- und Flamenco-Spielweisen sind. Mancusos faszinierende YouTube-Videos, in denen man dem Italiener gebannt dabei zusieht, wie er seine raffinierten Melodien und Harmonien kreiert, sind auch für Nicht-Gitarristen spektakulär! Loverboy-Gitarrist Paul Dean sagte über ihn im Breakout: „Der bewegt sich Lichtjahre über meinen Fähigkeiten.“ Steve Vai spricht gar von „Evolution“ und sieht in dem schüchtern lächelnden Jungen mit dem unschuldigen Schwiegersohn-Gesicht die Zukunft des Gitarrenspiels: „Es ist einfach eine neue Ebene, der Ton, der Anschlag, die Noten!“

Doch wie immer in der Musik nutzt das beste technische Rüstzeug nichts, wenn die Songs den Hörer nicht berühren. Jegliche Bedenken sind in diesem Fall allerdings unbegründet. In den neun Songs auf dem in seinem eigenen Studio über einen Zeitraum von vier Jahren entstandenen The Journey ist seine unüberhörbare Brillanz bis auf ganz wenige Stellen nur Mittel zum Zweck, um Mancusos unaufhörlich sprudelnde Kreativität zu kanalisieren. Ihm ist sehr daran gelegen, seine entspannte Art zu leben und die daraus resultierende Gelassenheit zu vermitteln; überdies liebt der Mann aus Palermo das Spiel mit Kontrasten und versteht es vortrefflich, eine komplexe Passage in eine leichtfüßige Melodie münden zu lassen, die überdies scheinbar aus dem Nichts auftaucht. In seiner Musik verbindet Matteo Mancuso Virtuosität und Sensibilität meisterhaft miteinander, und dieses permanente, mit Überraschungsmomenten gespickte Wechselspiel macht jede Nummer aufregend!

Vom Gelingen dieses Vorhabens kann man sich gleich beim Opener „Silkroad“ überzeugen, in dem durch ständige An- und Entspannung die wechselvolle und oft auch gefährliche Reise entlang der chinesischen Seidenstraße beschrieben wird. Im besinnlich beginnenden „Polifemo“ hat Mancuso seine Jazz-Einflüsse in einen Rocksong übertragen. Dabei war seine Intention, mit Verzerrung zu arbeiten, die nicht fehl am Platz wirkt. Es ist ein Genuss, jeden einzelnen Ton aufzusaugen und dabei die magischen Finger des Meisters vor seinem geistigen Auge zu sehen! Gänzlich hingerissen ist man dann von Guiseppe Vasapollis gefahrvollem Pianospiel in der Mitte des Stückes. Das hat etwas Magisches, und als sich die Gitarre dazugesellt, ist man trotz Mancusos zurückhaltendem Spiel sogar ein ganz kleines bisschen enttäuscht! Aber wirklich nur ein ganz kleines bisschen... Das ist ohnehin ein wesentliches Merkmal von „The Journey“, das immer wieder zutage tritt: Die Technik überlagert nicht das Gefühl, zumindest nicht auf Strecke gesehen.

Das stark Rhythmus-geprägte „Falcon Flight“ wirkt zunächst eher wie Anschauungsunterricht für Musiker. Auf den ersten Blick steht eher die Fingerfertigkeit des 26-Jährigen im Vordergrund. Hört man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass Mancuso seine rasanten Läufe mit leicht fließenden Melodien unterlegt hat, die den Song diffiziler und auf Umwegen zugänglicher machen, ohne den Anspruch zu verwässern. Sehr smart! Als Kontrast (!) dazu klingt das tiefenentspannte „Open Fields“ friedvoll, geradezu lieblich! Wenn die zarten Klänge einen umschmeicheln, umgarnen, einhüllen, breitet sich ein seliges Lächeln auf dem Gesicht aus! Matteo Mancusos Liebeserklärung an seine ländlich geprägte Heimat Sizilien – daher auch der italienische Titel „Campagna Siciliana“, also wörtlich „Sicilian Countryside“ – ist einer der emotionalen Höhepunkte dieser Platte. Die erste Single „Drop D“ mit den meisten übereinandergelegten Gitarrenspuren und die John McLaughlin-Verneigung „Blues For John“, ein dampfendes Gebräu aus Jazz und Blues, wirken trotz ruhiger Einschübe mit sensiblem Orgel-Einsatz über weite Strecken eher technisch. Sogar Mancusos Shredding-Qualitäten blitzen kurz auf! Durch seinen einzigartigen, swingenden Stil klingt auch das sehr reizvoll, dennoch fällt hier das Niveau ein wenig ab.

Im folgenden „Time To Leave“ ist dann wieder alles im Lot: Differenzierte Töne in dynamischem Fluss mit vielen phantasievollen Variationen der Hauptmelodie. Einfach klassische Gitarre in Vollendung zum Genießen! Einen noch wilderen Stilmix stellt „Samba Party“ dar. Es ist Matteo Mancusos Lieblingssong, weil er sich nicht einordnen lässt! Er klingt wie ein (rundum geglückter) Versuch, so viele Einflüsse wie möglich zu einem stimmigen Ganzen zu vereinen. Klar ist nur eins: Samba ist es nicht! „The Journey“ ist nicht nur die letzte Nummer, sie entstand auch als letztes, und zwar aus Matteos Wunsch heraus, eine reine Ballade zu schreiben. Letztlich verfasste er das Stück gemeinsam mit seinem Vater Vincenzo. Dieser spielt darauf Akustikgitarre, sein Sohn klassische Gitarre. Beide erteilen uns äußerst angenehmen Anschauungsunterricht, wie dynamisch und mitreißend akustische Saiteninstrumente klingen können! Pures Adrenalin!! Pures Feeling!!!

Das von „Open Fields“ inspirierte, farbenfrohe Coverbild gibt die Farbenpracht der idyllischen Landschaft wie auch der schillernden Klangkreationen, die es beherbergt, sehr schön wieder.
Ausgangspunkt dieser 40 Minuten währenden Reise mag zwar Jazz sein, doch die Interessen und Fertigkeiten dieses Supermusikers sind so breit gefächert, dass dieses Meisterwerk das Herz eines jeden Liebhabers sowohl technisch als auch emotional überwältigender Gitarrenmusik im Sturm erobern wird! Denn The Journey schenkt einem genau das, was der Titel verspricht: Eine Reise, mit der Betonung auf Entdeckung und Abenteuer, auf deren Weg viele wunderschöne Entspannungsmomente warten. Wer entsprechend neugierig und unvoreingenommen an die Stücke herangeht, wird mit einem Erlebnis belohnt, das einem neben einer schillernden Palette an Gefühlen womöglich auch neue Einsichten beschert.



Michael Schübeler



Trackliste
1Silkroad4:32
2Polifemo4:58
3Falcon Flight3:01
4Open Fields6:22
5Drop D4:46
6Blues For John3:30
7Time To Leave5:16
8Samba Party3:37
9The Journey4:21
Besetzung

Matteo Mancuso (Guitars)
Stefano India (Bass)
Guiseppe Bruno (Drums)
Riccardo Oliva (Bass on “Falcon Flight” and “Samba Party”)
Gianluca Pellerito (Drums on “Falcon Flight” and “Samba Party”)
Guiseppe Vasapolli (Piano on “Polifemo” and Organ on “Blues For John”)
Vincenzo Mancuso (Acoustic Guitar on “The Journey”)



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