Messiaxx
Messiaxx
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Irgendwann, so sollte man glauben, dürfte doch auch die letzte US-Metal-Demoaufnahme aus den Achtzigern aus den Archiven gezerrt und einer regulären Veröffentlichung zugeführt worden sein – aber Spürnasen wie die Griechen von Cult Metal Classics beweisen, dass dieser Zeitpunkt noch lange nicht erreicht sein dürfte. Hier kommt eine weitere Combo, von der nur allertiefste US-Underground-Insider bisher schon einmal gehört haben werden: Messiaxx, trotz des Namens übrigens keine gottesfürchtige Band, sondern mit einem gewissen Augenzwinkern auf das außerordentliche Können ihrer beiden Gitarristen hinweisen wollend und diese als „Messiahs of the Axes“ titulierend. Die Wurzeln der Band liegen in einer Formation namens Noiz (natürlich nicht mit den in der Tat gottesfürchtigen deutschen Extrem-Metallern zu verwechseln), in der sich bis 1984 die vier Instrumentalisten versammelt hatten, die dann nach Einstieg des neuen Vokalisten Gary Muchmore beschlossen, sich in Messiaxx umzubenennen, da zum einen mit Bassist Brad Davis nur noch ein Noiz-Gründungsmitglied in der Besetzung verblieben war und zum anderen die Musik eine gewisse Wandlung durchlaufen hatte: Noiz hatten eher düsteren Power Metal gespielt (eine recht ungewöhnliche Stilwahl zu diesem Zeitpunkt, da das Doom-Metal-Revival der Achtziger noch in den absoluten Kinderschuhen steckte und allüberall die Härter-und-schneller-Welle tobte), Messiaxx orientierten sich hingegen eher an dem, was man späterhin kurz als US Metal titulieren sollte, also Iron Maiden aufgreifend, aber progressive Elemente und eine teils recht hohe Spielgeschwindigkeit sowie oft einen sehr hohen Sänger addierend, wobei Gary Muchmore diesbezüglich nicht zu den Extremsten gehört, aber dennoch sehr überzeugend mit seiner Stimme umzugehen weiß. Düster-atmosphärische Elemente finden sich auch bei Messiaxx noch, etwa im Intro von „Kings And Queens“, aber sie werden in ein markant anderes musikalisches Umfeld eingebettet. Der Opener der hier auf CD vorliegenden selbstbetitelten historischen Aufnahmensammlung, „Rainbow“, hebt mit einem dreiviertelminütigen Drumsolo an, das viel Energie aufbaut und ein wenig an das zu Judas Priests „Painkiller“ erinnert, dieses aber etliche Jahre vorwegnimmt – falls der damalige Neuzugang am Priest-Drumkit, Scott Travis, in seinen US-Zeiten (er trommelte zuvor bekanntlich bei Racer X) zufälligerweise mal Messiaxx gehört haben sollte, wäre es durchaus nicht unmöglich, dass hier ein Strang der Inspiration zu suchen ist. Der Song selbst arbeitet überwiegend in gehobenem Midtempo, wechselt nach zweieinhalb Minuten aber plötzlich in mitreißenden Speed und bringt die Künste von Eric Gibson und Jerry Outlaw an den Sechssaitern zum ersten Mal sehr deutlich zum Ausdruck – die Bandnamensgebung war also durchaus keine Übertreibung. Mit „Island Of Enchantress“ haben Messiaxx auch eine pure Speednummer im Repertoire, und das ist der Song, den nicht in den USA wohnende Undergroundfanatiker am ehesten kennen könnten, denn er stand auf einem Kassettensampler namens Tampa Bay’s Metal Mercenaries, den Keith Collins zusammenstellte – genau, der Ur-Bassist von Savatage, eine in der damaligen Florida-Szene recht umtriebige Figur. So überrascht es nicht, Messiaxx generell im Umfeld von Savatage zu finden: Jon Oliva half der Band beim Mix einiger Demoaufnahmen, ein Jahr lang teilten sich beide Bands sogar ein Rehearsal-Studio in Tarpon Springs, und Muchmore war jahrelang als Livemischer für Savatage aktiv. Geholfen hat es der Band letztlich nichts: Messiaxx brachten es, abgesehen von besagtem Samplerbeitrag (in der Tracklist ist der Bandname übrigens Mesiaxx geschrieben), lediglich auf eine Demoaufnahme mit sechs Songs – in der Frage, wie viele davon in welchem Zustand vollendet wurden, sind sich die im Booklet von Laurent Ramadier fürs Snakepit-Magazin interviewten drei Ex-Bandmitglieder selber nicht so ganz einig. Die vorliegende CD enthält jedenfalls zwölf Songs, von denen die hinteren fünf als Boni gekennzeichnet sind, so dass es also möglich erscheint, dass die ersten sieben das Originaldemo bilden, wobei allerdings das markant unterschiedliche Klangbild von „Final Hour“ auffällt, und dieser Song wird auch von Jerry nicht genannt, als der im Interview die Demosongs aufzählt, so dass hier also offenbar eine andere Quelle herangezogen worden ist. Das Klangbild des ersten Bonustracks „All I Ever Needed“ wiederum ähnelt sehr den anderen sechs Demotracks, so dass hier eine ähnliche Herkunft zu vermuten ist, während es zum folgenden „Hate“ abermals einen markanten Soundbruch gibt, so dass hier offenbar abermals späteres Material vorliegt, zumal auch der Gesang hier deutlich anders, tiefer und rauher klingt – das ist also offenbar Buddy Zappa, den die Besetzungsliste als weiteren Sänger angibt: 1989 begann das klassische Messiaxx-Quintett zu zerfallen, aber einzelne Mitglieder arbeiteten in neuen Besetzungen noch bis 1992 unter dem alten Namen weiter, so dass es möglich erscheint, dass wir hier spätere Aufnahmen zu hören bekommen. So detailreich das Interview auch ausgefallen ist, zur späteren Zeit der Bandarbeit äußern sich die Interviewten kaum, da sie diese Zeit nicht mehr selbst miterlebt haben. Bekanntestes der späten Bandmitglieder dürfte Drummer John Osborne sein, der auch auf dem Doctor-Butcher-Debütalbum trommelte – die Savatage-Connection war also auch zu dieser Zeit noch vital. „Final Hour“ gibt es auf der CD in zwei Fassungen, wobei die zweite im Bonusteil als „Final Hour / Nightmare“ tituliert ist, obwohl die markante Quasi-Refrainzeile immer noch die gleiche ist – aber der editorische Status ist bei diesem Song wie oben erwähnt ja sowieso unklar, und so kann man nur vermuten, dass der hintere, neue Teil des Songs den neuen Titel „Nightmare“ bekommen hat, was dort auch als refrainartiges Schlagwort vorkommt. Bei der markanten Bridge von „Final Hour“ jedenfalls gerät man permanent in Versuchung, nach drei Vierteln „Heading for tomorrow“ zu shouten – im gleichnamigen Titeltrack des Gamma-Ray-Debüts hat Kai Hansen eine ähnliche Passage untergebracht, allerdings auch das erst Jahre später, wobei man vermutlich von einem puren Zufall ausgehen kann – laut Bookletinterview hatten Messiaxx zwar Anfragen von Radiostationen aus Deutschland und Polen (!), aber dass da etwas über den Äther an Hansens Ohr gedrungen sein könnte, erscheint mehr als unwahrscheinlich, wenngleich natürlich nicht grundsätzlich unmöglich. „Air Assault“ und „Hate“ arbeiten mit Vokalsamples (kleiner Junge, Volksmasse ...), und die Leadvocals ähneln auch hier eher denen in „Final Hour“ und „Nightmare“, wobei die abwechslungsreichen Songstrukturen und die fanatische Gitarrenarbeit auch hier erhalten bleiben. Hätten Messiaxx allerdings die Chance bekommen, „You’re On My Mind“ und „All I Ever Needed“ professionell aufzunehmen, so wäre die Möglichkeit auf einen überregionalen Erfolg gegeben gewesen – ersterer Song bietet zugänglichen Midtempo-Melodic-Metal, dem lediglich noch eine sorgfältigere Ausarbeitung des Refrains zu wünschen gewesen wäre, während die Powerballade „All I Ever Needed“ gar Chancen auf Heavy Rotation bei MTV gehabt hätte. Auch das mitreißende „Tribal Extinction“ macht zum Abschluß der CD nochmal deutlich, was hier für großes Potential versammelt war, wenngleich Zappas etwas rauherer Gesang nicht ganz die absonderliche Qualität von Muchmores Lautäußerungen erreicht. Allerdings besaß Muchmore nach einigem Hin und Her die Rechte am Bandnamen Messiaxx, und das Interview wurde wohl zu einem Zeitpunkt geführt, als er und auch Eric Gibson noch am Leben waren. Letztlich kam es dann erst 2017 nach beider Tod zu einer Reunion mit zwei Gründungsmitgliedern (Drummer Lee Gibson und Gitarrist Jerry Outlaw), dem späteren Sänger Buddy Zappa und dem neuen Bassisten Kyle Sokol, und das Projekt der Wiederveröffentlichung der alten Aufnahmen kam auch erst dann in die Gänge, wobei wohl Zappa die von ihm eingesungenen Aufnahmen aus seinen Archiven beigesteuert haben wird, denn im Interview wird dazu nichts erwähnt (wobei Gibson die Koordination des Re-Releases übernommen hat). Ob das neue Line-up alte Songs, die bisher unkonserviert geblieben waren, neu einzuspielen gedenkt (es gibt davon noch eine ganze Reihe, darunter „Orafice #1“ – die Titulierung des gitarrenseitig abermals frenetischen Intros von „Raven“ als „Orafice #2“ ist also kein Gag), ist nicht bekannt, wäre, sofern Zappa halbwegs bei Stimme ist, aber durchaus zu wünschen, denn da könnte noch mancherlei Hochqualitatives brachliegen. Derweil lohnt die remasterte, aber soundlich natürlich keine Bäume ausreißende Wiederveröffentlichung des alten Materials, limitiert auf 500 Exemplare und im Booklet außer dem erwähnten Ramadier-Interview auch noch die Lyrics der meisten Songs sowie aktuelle Thankslisten und einen ganzen Haufen alter Fotos und Dokumente enthaltend, für Freunde klassischen US-Metals eine Anschaffung definitiv, allein schon wegen des Könnens der Messiaxxmen. Und um den Bogen zur Einleitung dieses Reviews zu schlagen: Der Sampler Tampa Bay’s Metal Mercenaries enthielt je einen Song von insgesamt 14 Bands – Siren und Iced Earth (mit einer Frühform des erst 2001 auf Horror Show regulär veröffentlichten „Dracula“) wurden bekannt, alle anderen verblieben im Untergrund. Was da möglicherweise also noch in den Archiven (der Musiker einer einzigen US-Stadt!) schlummert ...
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Rainbow | 6:51 |
2 | Island Of Enchantress | 4:27 |
3 | Kings And Queens | 4:36 |
4 | You’re On My Mind | 4:15 |
5 | Reign Of Steel | 5:15 |
6 | Final Hour | 3:23 |
7 | Orafice #2 / Raven | 5:04 |
8 | All I Ever Needed | 5:25 |
9 | Hate | 3:53 |
10 | Final Hour / Nightmare | 8:31 |
11 | Air Assault | 5:06 |
12 | Tribal Extinction | 5:26 |
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Besetzung |
Gary Muchmore (Voc)
Buddy Zappa (Voc)
Eric Gibson (Voc, Git)
Jerry Outlaw (Git, B)
Brad Davis (B, Ac. Git.)
Brian Chinflem (B)
Lee Gibson (Dr)
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