Ligeti, G. (Boder)
Le Grand Macabre
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Oper
VÖ: 23.08.2102
(Arthaus Musik / Naxos / 2 DVD / 2011 / Best. Nr. 101 643)
Gesamtspielzeit: 162:00
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VERBRAUCHTE ZOTEN
Eine Anti-Anti-Oper wollte György Ligeti mit Le Grand Macabre 1974 auf die Bühnenbretter bringen. Zusammen mit seinem Librettisten Michael Meschke nahm er sich ein groteskes Schauspiel des Belgiers Michel de Ghelderode vor, das den Bedürfnissen des Komponisten entgegenkam: Einerseits wollte er ja keine der damals so beliebten Dekonstruktionen, sondern eine „echte“ Oper mit „realer“ Handlung. Andererseits sollte es aber kein bürgerliches Psychodrama oder sonst ein hoher literarischer Stoff sein, sondern etwas, das seiner Vorliebe für das Bizarre, Absurde und Morbide entgegenkam.
Le Grand Macabre spielt im fiktiven Breughelland, einer dekadenten und verlotterten Operettenmonarchie, deren Bewohner vor allem mit Saufen, Fressen und Sex beschäftigt sind. Der Große Makabre Nekrotzar hat beschlossen, hier zu erscheinen, um den Weltuntergang zu verkünden, der in Gestalt eines Kometen einschlagen soll. In der verrückten Breughellandwelt, die u. a. von masochistischen Astronomen und ihren Domina-Weibern, irren Geheimpolizisten und korrupten Politikern bewohnt wird, fällt Nekrotzar freilich gar nicht weiter auf. Schließlich lässt er sich ebenfalls zum Trinken verführen und verschläft prompt die Apokalypse, die dann gar nicht stattfindet. Am Ende triumphiert das Liebespaar, das sich seit Beginn der Oper in einem Grab vergnügt hat ...
Wie der Plot, so die Musik. Ligeti komponierte eine sehr schillernde Partitur mit vielen falschen und vermeintlichen Anspielungen auf die Musikgeschichte. Der Komponist spricht von musikalischem Slapstick. Schon die Ouvertüre zitiert mit ihrem schrägen Autohupen-Konzert Claudio Monteverdis Eröffnungstoccata zu L’Orfeo, dem Archetyp aller späteren Opern. Daneben hört man auch typisch Ligetische Klangräume, verästelte Polyphonien und farbige Texturen, die sich mit den übrigen Einfällen elegant verbinden.
1974 mochte ein solcher Eintopf aus absurder Farce, commedia dell’arte und Grand Guignol noch ein Tabubruch sein. Heute wirken die dramaturgischen Effekte eher pubertär und verbraucht. Zum Lachen sind all die Sexualien, Fäkalien und Nekrologien nicht wirklich. Es ist ein Panoptikum von Karikaturen, die sich im Raum einer musikalischen Karikatur bewegen: handwerklich meisterlich gearbeitet, aber letztlich beschränkt durch den ständigen Willen zu noch stärkerer Satire und Übertreibung. Irgendeinen doppelten Boden, gar ein Geheimnis gibt es da nicht zu entdecken. So stellt sich beim Zuschauen schnell eine gewisse Erschöpfung ein und die Oper zieht sich trotz der immer neuen Einfälle in die Länge.
Selbst für die von Untergangsvisionen getriebene Gegenwart trägt dieses Stück nicht mehr viel aus. Der am Schluss bekundete Wille zum Hedonismus wirkt eher fragwürdig, ist es doch eben diese Haltung der Menschen – und nicht etwa ein Komet – der die Erde am meisten bedroht.
Ligeti hat sich später selbst von seiner einzigen Oper distanziert. Es sei letztlich doch zu sehr konventionelle Oper, so der Komponist. Auch eine grundlegende Überarbeitung des Stücks im Jahr 1996 hat nicht wirklich etwas daran geändert, dass das Werk sehr zeitverhaftet bleibt. Vielleicht hat sich Le Grand Macabre aber gerade deshalb über die Jahre hinweg ganz gut behaupten können. Es ist ein Repertoirestück geworden und seine Erstpräsentation auf DVD zeigt, dass es sich für eine deftige Inszenierung allemal gut eignet.
2011 brachte La Fura dels Baus unter der Regie von Àlex Ollé Le Grand Macabre in Barcelona auf die Bühne. Das Team ist nicht, wie schon andere, in die Aktualisierungs- und Politisierungsfalle getappt, sondern hat das Stück einfach beim Wort genommen. Die vitalen menschlichen Triebe – Saufen, Fressen, Sex – und der Tod sind die eigentlichen Akteure, verkörpert im Personal dieser Oper. Auch die Musik ist ja mehr eine kunstvolle Verdauungsorgie aller möglichen Stile und falscher Zitate.
Und so platziert Bühnenbildner Alfons Flores eine monumentale nackte Figur auf der Bühne, die eine Frau in Agonie darstellt, die auf dem Boden kriecht (man begegnet ihr zunächst vor Beginn der eigentlichen Oper in einer Videoeinspielung, wo sie vor einem Fernseher, in dem gerade ein Weltuntergangsfilm läuft, einen Anfall erleidet).
Vollbegeh- und –bespielbar, wie die Riesenfigur ist, durchläuft sie dank der staunen machenden Videoprojektionen von Franc Aleu immer neue Metamorphosen und wird dabei sogar zu einem Berg und zum Sternenhimmel. Sie verfügt über eine richtige Mimik und scheint auf unheimliche Weise lebendig, wird manchmal sogar „durchsichtig“ bis auf die Knochen. Ihre Brüste fungieren wenn nötig auch als Gruft, Nekrotzar wird im wahrsten Sinne „ausgekotzt“ und auf der Rückseite geben Gummi-Schamlippen den Blick auf die Eingeweide oder einen Nachtclub in ihrem Inneren frei.
Um und in dieser Figur tummelt sich das Breughelland-Personal. Die Besetzung ist ohne Fehl und Tadel und chargiert überaus prächtig: Christ Merrit greint und grunzt als versoffener Piet vom Fass, Prinz Go-Go wird von Countertenor Brian Asawa als wahnsinnige Tuntenversion von Hermann Göring dargeboten. Beeindruckend ist die hochvirtuose Darbietung der paranoiden Geheimdienstchefin Gepopo durch Barbara Hannigan, die mit geradezu athletischem Körpereinsatz durch ihre unmögliche Partie „sportet“. Werner van Mechelen gibt, anders als die moribunde Figur vermuten lassen würde, einen stimm- und körperstarken Nekrotzar. Inés Moraleda und Ana Puche sorgen als Liebespaar für kurze belkantische Auszeiten. Auch die übrigen kleineren Rollen sind äußerst spielfreudigen Sängerdarstellern anvertraut, die es sich nicht nehmen lassen, die Musik knallig in Szene zu setzen.
Dagegen rückt der ebenso pointierte wie vielschichtige Orchestersatz, den das Orchester des Gran Teatre del Liceu unter der Leitung von Michael Boder virtuos darbietet, akustisch zu sehr den Hintergrund. Gerade hier aber hört man vieles, was Ligeti dann ab den 1980er Jahren an neuen Klangmöglichkeiten in seine Musik integriert hat.
Ein Making-Of mit Einblicken in die Bühnentechnik und die künstlerische Konzeption rundet die Produktion ab.
Fazit: Eine musikalisch gelungene und inszenatorisch sicherlich stimmige Interpretation eines nicht mehr ganz frischen Stückes neueren Musiktheaters.
Georg Henkel
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Besetzung |
Christ Merrit: Piet vom Fass
Inés Moraleda: Amando
Ana Puche: Amanda
Werne Van Mechelen: Nekrotzar
Frode Olsen: Astradamors
Ning Liang: Mescalina
Brian Asawa: Prinz Go-Go
Franciso Vas: Weißer Minister
Simon Butteriss: Schwarzer Minister
Chor und Orchester des Gran Teatre del Liceu
Michael Boder: Leitung
Regie: Àlex Ollé
Bühne: Alfons Flores
Video: Franc Aleu
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