Ry Cooder
Election Special
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Fast mal so nebenbei hat Ry Cooder mit „Election Special“ jetzt einen Kommentar zum amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf veröffentlicht. Dabei steht er wie schon auf dem letzten Album „Pull Up Some Dust and Sit Down“ inhaltlich in der Tradition eines Woody Guthrie und musikalisch in der eines Robert Johnson: Folk, Blues, Country, Protestsong der raueren Art bestimmen daher die Musik, ohne großen Aufwand nur mit seinem Sohn Joachim Cooder am Schlagzeug eingespielt. Wer glaubt, dies sei daher ein musikalisch eher zweitrangiges Album, wird sich getäuscht sehen. Dies ist ein perfektes Ry Cooder-Album in dem Sound, in dem er vor Jahrzehnten in der Rockmusikszene bekannt geworden ist. Hier gibt es kantige Riffs, scheppernde Drums und den fehlenden Gospelchor oder die ausgesparten Slideguitarsoli hinterlassen keine Löcher in der Kraft dieser Songs. Nur dürfte diese Musik heute eher zur Americana oder zum Blues gezählt werden, ohne dass sie sich wesentlich geändert hätte.
Der ungeschliffene Klang passt zur Wut, die in den Texten steckt, der Wut gegen die Ultrakonservativen in den USA, die finanziell gut gepolstert mit kruder Demagogie darauf zählen, dass das Volk dumm genug ist, seinen eigenen Schlächter zu wählen. Damit schlägt sich Cooder eindeutig auf die Seite Obamas, ungeachtet dessen, dass die von diesem versprochenen Wunder ausblieben. Cooder kommt mit dem Album aber auch in die Situation, inhaltlich ein sehr vom Augenblick bestimmtes Album abzuliefern, dessen Bezugspunkte schon in einigen Jahren vergessen sein könnten. Er umgeht letzteres Problem geschickt oft dadurch, dass seine Texte etwas von Fabeln und Metaphern haben, die die Zeit durchaus überdauern könnten.
Da ist z. B. die Story von Mitt Romneys Hund im „Mutt Romney Blues“. Die Hintergrundgeschichte stammt zwar schon aus dem Jahr 1983, blühte aber im Nominierungswahlkampf zuletzt wieder auf. Romney hatte damals auf einem Zwölf-Stunden-Trip mit seiner Familie seinen Hund in einem Verschlag auf dem Dach seines Autos befestigt. Dieser war also allen Fahrtwinden ausgesetzt, was dazu führte, dass der Hund irgendwann begann, das ganze Dach voll zu scheißen. Präsidentschaftskandidat Romney also ein Tierquäler? Eine typische Schlammschlachtstory (Mutt = mud = Schlamm), die Cooder hier aufgreift und den Hörer sich in den armen Wau Wau nach dem Motto versetzen lässt: „Hier seht ihr, was Euch erwartet, sollte dieser Mann Präsident werden!“ Ein spöttischer Text zu einem stampfenden Blue; das könnte beim anvisierten Publikum gut ankommen.
In Amerika funktioniert eine solche Story auf der Basis einer Yellow Press-Meldung wahrscheinlich eher als bei uns. Sie zeigt zudem, auf welchem Niveau in den USA manchmal Wahlkampf geführt wird. Für außeramerikanische Hörer fehlen nur leider oft die Hintergrundinformationen, um derartige Anspielungen richtig verstehen zu können. Ein Nachteil, der auf einige Texte übertragbar ist. Im Promotioninfo der Plattenfirma gibt Cooder nicht unwichtige Erklärungen zu seinen Texten ab. Es wäre sinnvoll gewesen, diese im Booklet für den außeramerikanischen Markt mit abzudrucken.
Die USA drohen ihre wirtschaftliche und politische Vormachtstellung zu verlieren, die sie über Jahrzehnte mit fragwürdigen Mitteln erreicht hatten. Der Mittelstand droht in den USA aufgrund grenzenloser Gier des Großkapitals immer mehr zu den neuen Verlierern der Gesellschaft zu werden. Wie damit umzugehen ist, darüber herrscht ein erbitterter Glaubenskrieg. Cooder scheint bei einem Wahlsieg der Republikaner einen Rückfall in die 1950er Jahre zu befürchten. In „Cold Cold Feeling“ legt er Obama sozusagen die Befürchtung in den Mund, dass dieser dann wieder nur durch den Kücheneingang ins Weiße Haus gehen dürfte und die Rassentrennung wieder Alltag wäre:
“We got Jim Crow coming ’round once more / If they resegregate the White House / I’ll have to go in through the kitchen door.“
Überhaupt fällt der Name Jim Crow – in Amerika das Symbol für Rassentrennung – erstaunlich oft in Cooders Texten. Demagogisiert er also zu sehr? Nun, Politsongs haben schon immer von holzschnittartigen Vereinfachungen gelebt, sonst würden sie ihre Wirkung verfehlen. „Cold Cold Feeling“ klingt übrigens tatsächlich wie ein in den 1950er Jahren aufgenommener Chicago-Blues.
Cooder bezieht jedenfalls Stellung. „The Wall Street Part Of Town“ könnte eine Hymne der Occupy-Bewegung werden, in „Kool-Aid“ wettert er gegen Waffenlobby und Selbstverteidigungsfanatiker, „The 90 And The 9“ ist ein Appell gegen die legalisierte Rekrutierung amerikanischer Soldaten durch die Armee in öffentlichen Schulen und „Take Your Hands Off It“ ist eine rote Karte gegen das Uminterpretieren der amerikanischen Verfassung im Interesse des Kapitals.
Musikalisch bietet Ry Cooder allerdings dennoch das gesamte Spektrum seines Sounds, der ihn insbesondere in den 1980ern prägte. Neben den rauen Blues- und Rockstücken gibt es trotz der bitteren politischen Kommentare und Metaphern melancholische Balladen wie das von Mandolinen geprägte „Brother Is Gone“, Countrysongs und schunkelige Melodien und auch der bedrohliche, sirrende Klang seiner Gitarre aus mancher seiner Filmmusiken taucht in „Kool-Aid“ wieder auf.
Insgesamt ist dies ein Album, das den inhaltlichen wie musikalischen Weg seines Vorgängers fortsetzt, auf dem Cooder ja wieder zu alter Stärke auflief. Fast klingt es wie ein Ableger von „Pull Up Some Dust and Sit Down“, nur noch energischer und roher im Konzept. Für Cooder-Fans alles andere als eine Fehlinvestition und wer wissen will, was zeitgemäße Americana ist, für den ist es sogar unverzichtbar.
Hans-Jürgen Lenhart
Trackliste |
1 | Mutt Romney Blues |
2 |
Brother is Gone |
3 |
The Wall Street Part of Town |
4 |
Guantanamo |
5 |
Cold Cold Feelings |
6 |
Going to Tampa |
7 |
Kool-Aid |
8 |
The 90 and the 9 |
9 |
Take Your Hands Off It |
10 |
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Besetzung |
Ry Cooder: voc, guitars, mand, bg
Joachim Cooder: dr
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