Francoeur, F. u.a. (Kossenko, A.)

Festin Royal du Mariage du Comte d'Artois (Versailles 1773)


Info
Musikrichtung: Barock / Frühklassik / Orchester

VÖ: 08.09.2023

(CVS / Note 1 / 2 CD / DDD / 2022 / CVS 101)

Gesamtspielzeit: 125:56



ABSOLUTISMUS-DÄMMERUNG

Krisenzeiten fördern mitunter die Kreativität … oder rufen die Traditionsbewahrer auf den Plan: Der beginnenden Absolutismus-Dämmerung in Frankreich begegnete Ludwig XV. in den 1770er Jahren nicht nur mit dynastiesichernder Hochzeitspolitik, sondern auf Anraten seiner Minister auch mit verschwenderischen Festaktivitäten (die Folgen sollte sein Nachfolger unter der Guillotine ausbaden).
Und natürlich spielte die Musik dabei eine besondere Rolle. In Anlehnung an Michel Richards Delalandes köstliche Tafelmusiken für Ludwig XIV. stellte der verdiente Komponist François Francœur für die Hochzeitsdinners des Grafen von Artois (des späteren Karl X.) 1773 entsprechende Suiten mit Auszügen erfolgreicher Opern und Ballette zusammen. Ein Monument der französischen Kultur, eine klingende Demonstration ihrer Möglichkeiten, eine Feier des musikalischen Luxus und der Schönheit.

Dabei berücksichtigte Francœur neben eigenen Werken auch zahlreich Stücke anderer prominenter, mitunter bereits verstorbener Tonsetzer, deren Werke sich freilich im Repertoire hielten. Francœur hatte wenig Skrupel, sie gegebenenfalls für seine Zwecke „passend“ zu machen, sie abzuändern und neu zu orchestrieren. Und so bereichern Rameau, Mondonville oder Royer die musikalische Menüfolge neben ihren damals noch lebenden Nachfolgern, die heute allerdings weit weniger bekannt sind. Die Generation nach Rameau bis hin zu Gluck geriet ebenso in Vergessenheit wie diejenige zwischen Lully und Rameau. Doch hier hört man zumindest mal einzelne Sätze von Jean-Claude Trial, Joseph Hyacinthe Ferrand, Louis Granier oder Bernard Bury, um einige von ihnen zu nennen.
Dies ist nicht der einzige Verdienst dieser Produktion, mit denen Alexis Kossenko und sein Ensemble-Doppel „Les Ambassadeurs“ und „La Grande Ecurie“ aufwarten. Man hört die Musik zudem in jener sinfonischen Besetzung, die seinerzeit bei so einem Event üblich geworden war: 70 Mitwirkende zählt die Besetzungsliste, davon allein 12 Celli und 4 Kontrabässe, 4 Hörner, 5 Oboen und 6 Fagotte. Ursprünglich war das Ensemble wohl noch größer, es umfasste 79 Musizierende: Erst kurz vor Start des Projekts fand der Kontrabassist Michael Greenberg eine genaue Aufstellung der damals eingesetzten Kräfte im Archiv. Diese Quelle war genauer als der zuvor zu Rate gezogene historische Bericht. Doch die kleineren Verschiebungen, die sich daraus ergeben würden, fallen nicht weiter ins Gewicht, die großen Proportionen stimmen.

Die Doppel-CD enthält insgesamt vier umfangreiche Suiten, zusammen etwas mehr als zwei Stunden Musik. Musikalisch ist das meiste davon unterhaltsam und geschickt gemacht. Allerdings wirken die Stücke der Nach-Rameau-Generation nicht gleichermaßen inspiriert, sondern eher wie retrospektive Arrangements wohlbekannter Gesten und Formeln, wie es die zwar ausladenden aber auch redundanten Chaconnes aus Francœurs Federn demonstrieren.
Der Übergang vom verspielten Rokoko zur Klassik ist in vollem im Gange, die von Francœur angepasste Instrumentation ist flächiger und fülliger, aber nicht unbedingt raffiniert. Das Spiel von „Les Ambassadeurs“ und „La Grande Ecurie“ ändert an diesem Eindruck nicht grundsätzlich etwas, es ist manchmal frisch, wirkt oft aber auch ausgebremst, bräsig. Manche Klangmischungen irritieren, wie die quäkige Kombination von Hörnern und Oboen (oder Klarinetten?) im „fröhlichen“ Teil eines Tanzes aus Francœurs „Ballet de la Paix“ (CD 1, Track 2) – ein unschöner Effekt, der sich auch andernorts wiederholt.

Überhaupt die Natur-Hörner: Sie sind fast durchweg im Einsatz, intonieren aber nicht immer sauber, denn manche der „neuen“ Töne sind für sie nicht gut erreichbar. Das lässt einen immer wieder zusammenzucken, arg ist z. B. beim Finale der 3. Suite auf CD 2, das aus zwei monumentalen Chaconnes von Francœur und Pierre-Montan Berton besteht – kaum zu glauben, dass die damaligen Zuhörenden das goutiert haben, vor allem das Ende von Francœurs Chaconne implodiert in einem Misston. War es wirklich nicht anders machbar? Und so geht es dann auch gleich in der 4. Suite weiter, wo ausgerechnet Rameaus 2. Ouvertüre aus „Zaïs“ und ein graziöses Menuett aus „La Temple de la Gloire“ unter die von Francœur hinzugesetzten Hörner kommen …

Fazit: Ein eher musikhistorisch interessantes denn musikalisch wirklich befriedigendes Projekt.



Georg Henkel



Trackliste
Bernard Bury: Air en chaconne vive - Air ajoute a Armide de Lully; Air lent & Rondeau leger aus "Hylas et Zelis"
Antoine Dauvergne: Air gay & Air tres vif aus "Enee et Lavinie"
Francois Francour: Ouvertüre, Premiere & Deuxieme Gavottes, Air en rondeau aus "Armide de Lully"; Air grave & Chaconne aus "Ballet de la Paix"; Ouverture - Scanderberg; Air gracieux & Premier et Deuxieme Rondeau aus "Pyrame et Thisbe"; Airs vif & Contredance aus "Recueil de differents airs de symphonie de M. Francoeur"; Air marque aus "Ballet de la Felicite"; Chaconne & Rondeau Gai aus "Le Prince de Noisy"; Air en rondeau aus "Rosiere de Salency"
Francois Francoeur & Francois Rebel: Premier Menuet (Rebel & Deuxieme Menuet (Fancoeur) aus "L'Europe Galante de Campra"
Jean-Claude Trial: Conctredanse vive aus "La Fete de Flore"
Joseph Hyacinthe Ferrand: Rondeau gracieux aus "Zelie"
Louis Granier: Air gracieux
Jean-Joseph Cassanea de Mondonville: Premier & Deuxieme Gavottes aus "Isbe"; Musette aus "Titon et l'Aurore"; Musette aus "Le Carnaval du Parnasse
Joseph-Nicolas-Pancrace Royer: Rondeau gracieux & Chasse en rondeau aus "Zaide"; Chaconne aus "Pyrrhus"
Pierre-Montan Berton: Air vif aus "Camille reine des Volsques de Campra"; Chaconne aus "Iphigenie en Tauride"
Jean-Philippe Rameau: Air majesteux & Marche aus "Les Fetes de l'Hymen et de l'Amour"; Premiere et Deuxieme Gavottes, Premier et Deuxieme Tambourins & Rondeau aus "Dardanus"; Zais-Ouvertüre; Menuet gracieux aus "Le Temple de la Gloire
Rene de Galard de Bearn (Marquis de Brassac): Air aus "L'Empire de l'Amour"
Besetzung

„Les Ambassadeurs“ und „La Grande Ecurie“

Alexis Kossenko, Leitung


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