Mehr Verruchtheit als so mancher Layla-Song: Ten Years After live in Nürnberg




Info
Künstler: Ten Years After

Zeit: 11.08.2022

Ort: Nürnberg - Hirsch

Fotograf: Karin Turba


Die diesjährige Tour steht unter dem Motto „50th Anniversary“. Das alleine ist schon beeindruckend! Von der Ur-Besetzung sind mittlerweile noch Keyboarder Chick Churchill und Schlagzeuger Ric Lee am Start. Komplettiert wird die Band mit Bassist Colin Hodgkinson und Sänger und Gitarrist Marcus Bonfanti, die seit 2014 dabei sind. Das Publikum überschreitet heute locker die 65-Plus-Marke. Das überrascht nicht angesichts der Tatsache, dass bis auf „Jungspund“ Bonfanti alle Musiker bereits 76 Jahre alt sind!

Mit etwas Verspätung betreten Ten Years After die Bühne, um mit „Land Of The Vandals“ vom 2017 erschienenen Album „A Sting In The Tale“ loszulegen. Man merkt den Musikern optisch ihr Alter an, keine Frage. Aber an der Spielfreude und Begeisterung tut dies keinen Abbruch. Dreh- und Angelpunkt der Show ist Marcus Bonfanti. Er ist ständig in Bewegung, nimmt viel Kontakt zum Publikum auf und feuert mit seiner Gitarre aus allen Rohren. Es gelingt ihm mühelos, Fans und Mitmusiker zu begeistern. Bei ihm sieht alles so einfach aus. Und dabei spielt er herausragende Gitarrensoli und veredelt „One Of These Days“ noch mit einem genialen Bluesharp-Solo. Mit Bassist Hodgkinson spielt er immer wieder sehenswerte Soloduelle, die sich gewaschen haben. Die Hymne „Love Like A Man“ und das herausragende „Good Morning Little Schoolgirl“ werden dabei zur Spielwiese für ihre Improvisationsfreude. Hodgkinson ist sichtlich erfreut über seinen Partner auf Augenhöhe. Für mich ist er einer der Besten seines Fachs. Alleine ihm beim Bass-Spielen auf die Finger zu schauen, ist für mich schon das Eintrittsgeld wert. Bonfanti animiert Churchill bei „Hear Me Calling“ zu einem bahnbrechenden Orgelduell, das mit großem Beifall bedacht wird. Churchills Orgelsound kommt hervorragend rüber und bildet einen wichtigen Eckpfeiler für den Bühnensound von Ten Years After.

Eine Premiere stellt für mich das Akustikset dar. Ich hätte nie gedacht, dass die Band so etwas jemals spielen würde. Dazu setzen sich Lee, Bonfanti und Hodgkinson an den Bühnenrand und zocken zusammen die drei Uralt-Nummern „Portable People“, „Don’t Want You Woman“ und „Losing The Dogs“. Lee erzählt dabei mit viel britischem Humor die Hintergründe der jeweiligen Stücke. Auch hier ist kein Stimmungsabfall zu erkennen, Publikum und Band haben sichtlich Spaß an dieser Neuerung.

Sein bekanntes Schlagzeug-Solo lässt Lee beim legendären „Hobbit“ vom Stapel. Dabei tobt er sich nach Herzenslust aus und entlockt seinem Drumkit Töne, die nicht von dieser Welt sind. Bei „Good Morning Little Schoolgirl“ geht richtig die Post ab. Bonfanti singt Weltklasse und der Rest der Band grinst spitzbübisch, wenn er die Textzeilen singt. Es hat schon was Ironisches, wenn diese „Großväter des Rock“ einen Song mit so einer Thematik spielen. Aber das ist Bluesrock, das ist genial und das hat wesentlich mehr Verruchtheit, als so mancher Layla-Song, über den gerade mächtig diskutiert wird.




„We are Ten Years After and now it’s time to go home!“ Nach dieser Ankündigung von Bonfanti dürfte klar sein was jetzt kommt: „I’m Going Home“. Mit dieser Woodstock-Hymne hat Ur-Gitarrist Alvin Lee die Band damals unsterblich gemacht. Das Stück kommt auch heute hervorragend an, der Großteil des Publikums tanzt dazu. Danach beenden die Musiker das reguläre Set. Die kurze Pause nutzt Konzertveranstalter Peter Harasim, um sich beim Publikum zu bedanken. Er freut sich, dass trotz der mehr als einjährigen coronabedingten Konzertverschiebung so viele Besucher den Weg in den Hirsch gefunden haben. Als Dankeschön erhält jeder, der heute Abend da war, 50 % Ermäßigung beim Konzert von Mahalia Barnes und Jade MacRae, die zusammen am 31. August im Hirsch auftreten. Das ist eine feine Geste, danke!

Das begeisterte Publikum lässt ihre Helden natürlich nicht ohne Zugaben von der Bühne. Die werden dann auch prompt geliefert. „I Say Yeah“ lässt die Fans im Hirsch noch einmal kollektiv ausrasten, hier singen alle mit. Die heiße Rock’n’Roll-Nummer „Choo Choo Mama“ brennt ein wahres musikalisches Feuerwerk ab. Lee und Hodgkinson treiben den Song unbarmherzig nach vorne, während ein völlig entfesselter Bonfanti sich mit Churchill sich um die Wette duelliert. Nach ca. 100 Minuten verlassen die Musiker unter riesigem Beifall des hervorragenden Nürnberger Publikums die Bühne. Lee kündigt währenddessen noch an, dass sie in Kürze am Merchandising-Stand für eine Autogrammstunde anwesend sind. Etwa 20 Minuten später setzt das Quartett dies in die Tat um. Sympathisch, lustig und relaxt erfüllen die Vier jeden Autogrammwunsch. Dabei werden auch viele Fanartikel gekauft, was aufgrund der fairen Preise kein Wunder ist.

So kann das gerne auch noch zukünftig weitergehen! Wer es auch nach so langer Zeit und in dem Alter noch schafft, eine solche Begeisterung und Euphorie zu entfachen, muss einfach auf die Bühne. Da spielt das Alter in meinen Augen keine Rolle. Mein Tipp: unbedingt live anschauen, so lange es noch geht!


Setlist:
Land of the Vandals
One of These Days
Hear Me Calling
Silverspoon Lady
I'd Love to Change the World
Portable People
Don't Want You Woman
Losing the Dogs
Love Like a Man
Hobbit
Spoonful (Willie Dixon cover)
Good Morning Little Schoolgirl
I Can't Keep From Crying Sometimes
I'm Going Home
---
I Say Yeah
Choo Choo Mama












Stefan Graßl



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>