Schumann, R. / Widmann, J. (Immler)
Das heiße Herz - Liederzyklen
MENSCHLICHE ABGRÜNDE
Der Komponist Jörg Widmann, Jg. 1973, macht kein Geheimnis daraus, in welcher Tradition sein Liederzyklus "Das heiße Herze" steht, zu dem er später auch eine Orchesterfassung erarbeitet hat: Schon die Auswahl der Gedichte von Heinrich Heine, Clemens Brentano oder aus "Des Knaben Wunderhorn" gemahnt an die Traditionslinie Schubert-Schumann-Mahler, erfährt aber ihre Ergänzung durch Texte von Klabund und Peter Härtling. Das zeugt unweigerlich von Mut, versucht die Neue Musik doch nur allzu gerne, solche Linien ironisch zu brechen oder zu negieren. Widmanns Ansatz ist ein anderer: Voller Respekt lässt er sich romantisch inspirieren, nimmt seine Anleihen bei Schumann wie bei Mahler, reichert die Tonsprache mit jazzigen Elementen, Weill´schen Einsprengseln und ähnlichem mehr an, dabei jedoch zu einem ganz eigenen, individuellen Ausdruck findend, der zugleich größten Wert auf Textauslegung und -verständlichkeit legt.
Das alles führt dazu, dass dieser Liederzyklus, obschon erstmals auf CD eingespielt und keineswegs epigonal, einem die Orientierung nicht verweigert, dem Hörer nicht übermäßig widerständig begegnet, sondern ihn mitnimmt auf eine geheimnisvolle Reise durch die stets aktuellen Wirrnisse von Liebeslust und Liebesleid, gespickt mit humorvollen Momenten, wie sie gerade in Klabunds ambiguen Texten angelegt ist. Der Zyklus findet seinen Höhe- und Schlussunkt in dem weit ausgreifenden und ergreifenden Lied "Einsam will ich untergehn". Auch und gerade hier: Sich so unverblümt in die Liedtradition zu stellen und sie fortzuspinnen, muss man sich erst einmal trauen. Aber es geht zumindest hier zu 100% auf.
Und dies ganz wesentlich auch deshalb, weil mit Christian Immler ein Liedinterpret gefunden wurde, der den innigen, ausdrucksstarken Vortrag ohne Schwulst und Übermaß pflegt, ebenfalls durchweg kompromisslos ringend um eine am Text nicht minder als an der Musik ausgerichtete Interpretation. Das schreitet auf diese Weise nicht über die menschlichen Abgründe hinab, sondern lotet sie konsequent aus, auch bis ins Theatralische hinein. Den komplexen Klavierpart versieht Andreas Frese so differenziert wie ausdrucksstark.
Die mit Widmanns-Werk sinnfällig kombinierten, vergleichsweise spät entstandenen und über weite Strecken wahrhaft abgründigen, tonal irrlichternden Schumann-Zyklen bieten Immler/Frese nicht minder intensiv dar.
Eine Produktion, die gekonnt die Brücke von der Romantik zur Gegenwart schlägt und alle Lied-Begeisterten sogleich für sich einnehmen wird.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1-4 Schumann: Lieder und Gesänge aus "Wilhelm Meister", op. 98a
5-11 Schumann: 6 Gedichte von N. Lenau und Requiem, op. 90
12-19 Widmann: Das heiße Herz (Weltersteinspielung) |
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Besetzung |
Christian Immler: Bassbariton
Andreas Frese: Klavier
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