Project: Patchwork

II: Re|Flection


Info
Musikrichtung: Progrock

VÖ: 16.03.2018

(Progressive Promotion)

Gesamtspielzeit: 72:06

Internet:

http://www.projectpatchwork.de


Nein, nicht Project Pitchfork – mit elektrolurchigen Klängen haben Project: Patchwork nichts am Hut, und trotz einer Kohorte von Gastmusikern, vor allem Gastsängern handelt es sich auch nicht um ein Rockopernprojekt, ja nicht mal um ein Konzeptalbum im engeren Sinne, obwohl ein markantes Gitarrenthema, im Intro „(P)Reflection“ entwickelt, sich auch durch den ersten „richtigen“ Song „Struggle And Agony“ zieht und im weiteren Verlauf der insgesamt 72 Minuten nochmal an markanter Stelle wiederkehrt, nämlich als Rahmenobjekt im Closer „Reflection“. „Schon der Name drückt es aus, Project: Patchwork ist keine Band mit einem festen line-up. Im Grunde besteht Project: Patchwork nur aus zwei Personen, Peter Koll (thebody) und Gerd Albers (thebrain). Hinzu kommen in jeder Produktion viele Musiker und anderweitig beteiligte Personen, so dass sich das ‚Gesicht‘ von PP ständig etwas ändert.“ So lesen wir die Grundlagen für das Projekt, das anno 2015 mit Tales From A Hidden Dream sein Debüt vorlegte und nun mit Re|Flection den Zweitling folgen läßt. Da der Erstling auch hier vorhanden ist, aber noch auf dem großen Stapel der Ungehörten ruht, sind dem Rezensenten keine Schilderungen etwaiger Entwicklungsschritte möglich (den ganz aktuell erschienenen Drittling Ultima Ratio besitzt er noch gar nicht).
Aber ein Aspekt fällt markant auf: die zentrale Beteiligung von Marek Arnold – von ihm selbst zwar bescheiden kleingeredet, dem Hörer in der Einordnung aber markant hilfreich, denn der Progrockfreund kennt ihn von einer ganzen Kohorte überwiegend hochklassiger Formationen, allen voran den leider verblichenen Toxic Smile. Auf Re|Flection ist er in technischer Funktion für den Mix und Teile der Aufnahmen verantwortlich, aber auch als Musiker involviert – als Keyboarder, als Zentralverantwortlicher für die Blasinstrumente – und in drei Songs auch ins Songwriting eingebunden, beispielsweise in „Yearning For Confraternity“, wo wir zudem noch Michael Brödel aka Larry B. als Vokalist erleben, der bekanntlich auch Fronter von Toxic Smile war. Verwundert es da noch, dass man sich diesen siebenminütigen, an der Grenze zum Progmetal angesiedelten Progrocker, ausgestattet mit einem frenetischen Gitarrensolo von Markus Steffen (ja, der von Sieges Even bzw. Subsignal), auch im (ja nun leider nicht weiter anwachsenden) Repertoire von Toxic Smile vorstellen könnte? Den noch etwas eklektizistischeren Ansatz von „Worried Citizens“ (ein sarkastischer Kommentar Albers‘ zur verbreiteten Denkweise, Ausländer primär als Gefahr für die hiesige Gesellschaft anzusehen) wiederum könnte man bei Seven Steps To The Green Door, einer der aktiven Arnold-Formationen, ankoppeln, hier zwischen kernigem Classic Rock und verschiedensten eher progressiv anmutenden Elementen pendelnd und lediglich im mit heavenly voices ausgestatteten und schunkelkompatiblen „Refugees welcome“-Part ein wenig übers musikalische Ziel hinausschießend, während das mehrminütige Gitarrenoutro (David M. Scholtz) über indigenen Percussions die angestrebte kulturelle Befruchtung viel eleganter deutlich macht. „Fear Of Loss“, der andere Song mit Lead Vocals von Larry B., kommt mit einer gewissen Pink-Floyd-Schlagseite um die Ecke, zumal Arnolds Saxophon hier auch die Gedanken des Hörers zum Wish You Were Here-Album lenkt – aber Martin Schnella, der für das Gros der Gitarrenarbeit auf Re|Flection verantwortlich zeichnet, sorgt im Mittelteil dafür, dass David Gilmour vor Schreck eher aus dem Bett gefallen wäre, sind die Rhythmusgitarren hier doch mit einer angedüsterten und äußerst fetten Metalkante versehen, was man, wenn man das Album in der gegebenen Reihenfolge durchhört, allerdings auch schon in „Struggle And Agony“ festgestellt hat, und da denkt der Kenner dann wiederum an Flaming Row, auf dessen Elinoire-Debüt Schnella auch schon derartigen Stoff untergebracht (und Arnold gleichfalls mitgearbeitet) hatte.
So entwickelt sich schon in der ersten Hälfte ein buntes Potpourri des Progrock mit gewisser Metalkante, das sich von irren Experimenten fernhält, aber trotzdem gewisse Erschließungszeit braucht. Sowas wie Hits zu schreiben hat Albers bis dahin nämlich nicht für nötig gehalten, obwohl das erwähnte zentrale Gitarrenthema durchaus eingängig ausfällt. Danach tut er’s allerdings – natürlich im proggigen Kontext: Das folkig angehauchte „First Disorder“, vokalisiert von Magdalena Büchel und auf dem Digipack zu „Fist Disorder“ versaubeutelt, besitzt durchaus hohes Zugänglichkeitspotential, und das von Olaf Kobbe gesungene „Inferno“ behandelt zwar ein heikles Thema (nämlich zu Straftaten führenden religiösen Wahn), stellt sich musikalisch aber als fast reinrassiger Melodic Rock ohne jegliche Experimente dar, in dem lediglich die erwähnten feisten Schnella-Gitarren einige Abgründe symbolisieren. Gut, mit knapp über sechs Minuten ist der Song, obwohl von den acht großen Progrocknummern die kürzeste, immer noch viel zu lang fürs Formatradio – also müßte einer der drei „Kurzbeiträge“ her, nicht das Intro und auch nicht das Outro, sondern die zauberhafte, von Jessica Schmalle vokalisierte dreieinhalbminütige Akustikballade „Last Horizon“: nicht ganz so eingängig wie sagen wir mal Transatlantics „We All Need Some Light“, aber trotzdem im positiven Sinne massenkompatibel, wenngleich textlich den Tod von Albers‘ Schwiegergroßmutter aufarbeitend, also auch nicht gerade das, was man gängigerweise zu Hits verarbeitet. Wem das alles freilich zuviel der Zugänglichkeit war, der bekommt nun vor dem Outro noch die beiden längsten, jeweils knapp vor der Zehnminutenmarke ins Ziel kommenden Songs des Albums vorgesetzt – und wird sich gleich in „Of Sheeps And Wolves“ trotzdem verwundert umschauen, denn in diesem Song treten Albers und Co-Komponist Arnold sozusagen das Erbe der alten DDR-Artrocker an und erschaffen eine Nummer, die vom Feeling her sowohl zu Lift als auch zur Stern-Combo Meißen (bei welchletzterer Arnold im aktuellen Jahrtausend bekanntlich auch für einige Jahre gespielt hat, ihre Stilistik also aus dem Effeff kennt) gepaßt hätte, wenngleich Schnellas Gitarren auch hier wieder ganz tief in den Eingeweiden herumwühlen und Texter Albers mit der Anfälligkeit des Menschen für Populismus ein weiteres heißes Eisen hervorholt, das zum Zeitpunkt der Rezension (Pandemie, Ukraine-Krieg ...) noch eine ganz neue Qualität an Aktualität gewonnen hat, auf die man als zumindest halbwegs vernunftbegabter Mensch liebend gern verzichtet hätte. Einen politischen Hintergrund besitzt auch „A Winter’s Tale“: Albers arbeitet seine Beziehung zu einer Frau namens Conny Winter auf, was keine Zukunft hatte, da der antifaschistische Schutzwall zu dieser Zeit noch im Wege stand. Seltsamerweise singt Melanie Mau hier nicht nur, sondern ist auch als Texterin angegeben und nicht etwa Albers selbst – eine Konstellation, die ohne nähere Hintergrundinformationen nicht aufgelöst werden kann. Musikalisch trifft auf diesen Song allerdings das Gleiche zu wie auf „Of Sheeps And Wolves“, mit einer kleinen Zunahme der balladesken Elemente. So ergibt sich das etwas überraschende Bild, dass die hintere Hälfte des Albums deutlich geradliniger und eingängiger ausgefallen ist als die vordere, wobei der Unterschied freilich nicht so gravierend ausfällt, dass man etwa völlig verschiedene Zielgruppen konstatieren müßte: Re|Flection bleibt generell Progrock ohne Wenn und Aber, gutklassiger und technisch keine Wünsche offenlassender noch dazu, wenn man davon absieht, dass man im Booklet zwar kurze Erläuterungen zu den Songs und einige Textzeilenausschnitte serviert bekommt, aber halt nicht die kompletten Lyrics. Dafür darf man beim Cover lange philosophieren, wie herum man das denn nun halten sollte ...



Roland Ludwig



Trackliste
1(P)ReFlection2:08
2Struggle And Agony8:09
3Yearning For Confraternity7:03
4Worried Citizens9:21
5Fear Of Loss6:16
6First Disorder7:21
7Inferno6:05
8Last Horizon3:22
9Of Sheeps And Wolves9:28
10A Winter’s Tale9:54
11ReFlection2:57
Besetzung

Gerd Albers (Dr)
Peter Koll (Technik)
und viele musikalische Gäste


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