Vivaldi, A. u.a. (Kopatchinskaja)
What’s next Vivaldi?
ECHT GEFÄHRLICH
Musik „mit allen Sinnen echt und gefährlich zu leben“, das sei ihr Ziel, so lässt uns Patricia Kopatchinskaja im Booklet dieses Konzeptalbums wissen. Und wie nicht anders zu erwarten, riskiert sie tatsächlich wiederum eine Gratwanderung: Gemeinsam mit dem Ensemble Il Giardino Armonico, das Anfang der 90er-Jahre mit Vivaldi-Sound an der Grenze zum Heavy Metal Furore machte, hat die Geigerin auf ihrer neuen CD populäre, hochvirtuose Concerti aus Vivaldis Feder mit kurzen, extra zu diesem Zweck in Auftrag gegebenen Stücken zeitgenössischer italienischer Komponisten gepaart.
Das geht über weite Strecken recht gut auf, wenn man das erste Drittel der CD außer Acht lässt. Gerade im Eröffnungsstück, dem bekannten „La Tempesta di Mare“, tun Solisten und Orchester des Guten nämlich doch zu viel: Da wird so druckvoll und geräuschhaft musiziert, dass man sich rund 30 Jahre zurückversetzt fühlt. Klar, damals war ein solcher Ansatz Avantgarde, doch mittlerweile lassen sich die daraus gewonnenen Einsichten auch stimmiger mit dem Geist verbinden, der der Musik bereits innewohnt. Und das ist nicht der Geist der „Piraten der Karibik“, den Kopachinskaja mit ihrer Kadenz am Ende des ersten Satzes ausdrücklich zitiert und heraufbeschwört. Das wirkt ähnlich überspannt, wie die rhythmisch skandierte, spontane Vokaleinlage der Mitwirkenden „Lazzo Parlando“. Und allein das hier durchweg praktizierte bruchlose und pausenfreie Aneinanderschneiden der Tracks führt noch nicht dazu, dass die Bestandteile schlüssig in Verbindung miteinander gesetzt würden. Vielmehr drohen die musikalischen Sinneinheiten durch manch abrupt freigestellte Effekte zu zerfallen. Die Fokussierung auf diese Effekte führt im Übrigen dazu, dass einige Passagen, in denen man einen solchen nicht platzieren zu können glaubte, fast konventionell und eher unidiomatisch wirken, so etwa bei den Schlusssätzen des „La Tempesta die Mare“ oder des Concerto RV 157.
Doch nach der Hybris des Anfangs gerät das Album ab Track 10 in ein anderes Fahrwasser und verbraucht sich damit weniger rasch: Zwar bleiben der Ansatz des Orchesters musikantisch und das Solo-Spiel hochvirtuos und druckvoll, doch geben die Ausführenden Vivaldis Musik von nun an mehr Luft zum Atmen und Ausschwingen. Die virtuosen Spitzlichter fügen sich organischer ein und wirken nicht mehr so ausgestellt. Auf verblüffende Effekte verzichtet Kopatchinskaja dabei jedoch – zum Glück – keineswegs. Es bleibt also spannend. Zugleich spielen im weiteren Verlauf die zeitgenössischen Stücke von Simone Movio, Marco Stroppa und Giovanni Sollima geschickter mit barocken Inspirationen und überführen sie in moderne Klangwelten, die ihren Reiz nicht zuletzt daraus beziehen, dass sie mit alten Instrumenten generiert werden. So wird letztendlich doch noch ein Bogen über die Stile und Jahrhunderte hinweg geschlagen, der trägt, für Überraschungen gut ist und der Altbekanntes in ein neues Licht rückt.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1-3 Vivaldi: Concerto „La Tempesta di mare“ RV 253
4 Lazzo parlante
5 A. Cattaneo: Estroso
6-8 Vivaldi: Concerto RV 157
9 L. Francesconi: Spiccato
10-12 Vivaldi: Concerto RV 191
13 S. Movio: Incanto XIX
14-17 Vivaldi: Concerto RV 550
18 M. Stroppa: Dilano avvinto
19 G. Sollima: Moghul
20-22 Vivaldi: Concerto „Il Grosso Mogul“ RV 208
23 B. Bartok: Szól a Duda
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Besetzung |
Patricia Kopatchinskaja: Violine
Il Giardino Armonico
Giovanni Antonini: Ltg.
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