Sarcator

Alkahest


Info
Musikrichtung: Melodic (Death) Metal

VÖ: 04.11.2022

(Black Lion)

Gesamtspielzeit: 58:37

Internet:

http://www.blacklion.nu
http://www.facebook.com/sarcatorband


Neuer Stoff von den Russen Alkahest? Ach nee, die hießen ja Alkonost. Dann vielleicht welcher von den US-Doomern Alkahest oder gar von den längst verblichen geglaubten brasilianischen Blackies gleichen Namens? Nein, Alkahest ist nur der Titel des zweiten Albums von Sarcator, stellt sich heraus. Die Schweden treten den Beweis an, dass mittlerweile auch im melodischen Death Metal die zweite biologische Generation werkelt: Sänger/Gitarrist Mateo Tervonen ist der Sohn des von Crown Of Thorns bzw. The Crown bekannten Marko Tervonen und offenbar schon seit früher Kindheit in den Metal hineingewachsen – seine erste Band Metal Militia hatte er als Neunjähriger, und bei der Gründung von Sarcator war er dann immerhin schon 13.
Der Bandname ist eine Zusammensetzung aus Sarcofago und Kreator – der Rezensent kennt weder die beiden 2019er EPs noch das selbstbetitelte 2020er Debütalbum und kann daher nicht sagen, ob Sarcator dort einer der beiden patronymischen Combos nachgeeifert haben. Falls sie das getan haben sollten, stellt der Zweitling Alkahest (bei dessen Veröffentlichung war Tervonen jr. immer noch erst 17, die anderen drei nicht viel älter) eine Kehrtwendung um 180 Grad oder eine Weiterentwicklung mit Siebenmeilenstiefeln dar. Der nur dreiminütige Opener „Ascend“ bietet harschen Melodic Death in Reinkultur, bei dem Drummer Jesper Rosén nach Herzenslust Blastbeats einwerfen kann – und nach Durchhören der weiteren 55 Minuten stellt man baß erstaunt fest, dass auch dieser Song eine singuläre Erscheinung auf der Platte geblieben ist. Besagte 55 Minuten verteilen sich auf nur acht Songs, was also einen Schnitt von fast sieben Minuten ergibt. Der neue Zweitgitarrist Emil Eriksson scheint der Band enorm gut getan zu haben – er war streckenweise bereits am Songwriting beteiligt und teilt sich mit Tervonen auch die Leads. Und mit einem derart starken Team als Rückgrat trauen sich Sarcator enorm viel, spielen im Prinzip klassischen Metal mit gelegentlichem epischem Einschlag und ein paar progressiv anmutenden Schlenkern, beweisen grundsätzlich eine enorme Freude an der Detailarbeit und zeigen, dass sie in den Plattenschränken ihrer Väter offenbar mittlerweile eher Opeth oder Fates Warning entdeckt haben. Sie verzichten freilich sowohl auf den Siebziger-Touch Opeths als auch auf den avantgardistischen Anspruch Fates Warnings, und es ehrt sie, dass einem ganz spontan keine Band einfällt, an den sie in ihrer instrumentalen Komponente wirklich durchgängig erinnern. Der Gitarrensound hat manchmal etwas von In Flames zu The Jester Race-Zeiten, aber wie Sarcator ihn beispielsweise in „Dreameater“ mit angedüsterten Halbakustikelementen koppeln, stellt ihnen ein exzellentes Zeugnis aus. Da das neben dem zehnminütigen grandiosen Titeltrack einer der beiden Songs ist, für die Emil einen Co-Composer-Credit bekommen hat, könnte der jungen Band eine exzellente Zukunft bevorstehen, wenn sie es schafft, diese Besetzung und diese Qualität zu halten.
Von numetallischen oder metalcorigen Elementen halten sich die jungen Schweden konsequent fern – auch das kurze Gitarrenquietschen in der Einleitung von „The Long Lost“ erinnert eher an obskure Klangeinwürfe auf Sigh-Platten denn an irgendwelche Combos mit umgedrehten Basecaps. Das Bandfoto zeigt dementsprechend auch keine solchen, sondern vier jugendliche Langhaarige, die eigentlich gar nicht so skeptisch dreinblicken müßten angesichts dessen, was sie hier erschaffen haben. Klar, man braucht Geduld, um sich auf die breit ausgewalzten Klanglandschaften einzulassen – wer knackig arrangierte „Hits“ im frühen In-Flames-Stil sucht, wird hier beim genannten Opener fündig und dann nicht mehr. Und ein, zwei Schlenker noch treffsicherer zu arrangieren werden die jungen Schweden auf ihrer nächsten Platte sicher auch noch hinbekommen. Aber auf welchem Niveau sie hier schon angekommen sind, das bringt den Hörer, sofern er noch nicht völlig übersättigt vom melodischen Death Metal ist, doch zum Staunen. Auch wenn der Drummer in den hinteren acht Songs nirgends mehr blastet, so agiert er doch gleichermaßen vielfältig wie treffsicher, das Können der Gitarristen wurde ja bereits gelobt, und Bassist Felix Lindkvist reiht sich problemlos in die Riege der Fähigen ein, auch wenn Tervonen sr., der für Aufnahmeleitung, Mix und Mastering zuständig war, den Baß nicht sonderlich dominant behandelt und daher ein relativ helles Klangbild erschaffen hat, das wiederum mit dem ebenfalls relativ hellen Gekreisch seines Filius korrespondiert. Der seinerseits hält sich von Klargesang komplett fern, auch seine für die Backings verantwortlichen Saitenkompagnons steuern keinen solchen bei, sondern kreischbrüllen eher noch etwas tiefer, wie „He Who Comes From The Dark“ zeigt. Mit einem Klarsänger wären Sarcator im puren klassischen Metal mit epischem Touch zu verorten, und das fast achtminütige Instrumental „Sorrow’s Verse“ macht deutlich, dass sie auch ohne Gesang Spannendes zu inszenieren in der Lage sind, falls bis dahin (das Stück steht an vorletzter Stelle des Albums) noch jemand an dieser These gezweifelt haben sollte. Da auch die Songs zuvor schon einiges an längeren Instrumentalpassagen enthalten hatten, dürften etwaige Zweifel allerdings schon früher weggewischt worden sein. Wenn der Drummer in „Devil Sun“ mal kurz völlig arhythmisch über seine Becken tanzt, entsteht beispielsweise ein Moment der großen Spannung, auch wenn dieser für die weitere Entwicklung des Songs keine Bedeutung hat. Dafür gerät seine eigentümliche Drumfigur aus der Einleitung von „Sorrow’s Verse“ letztlich strukturgestaltend. In diesem Song werfen Sarcator auch einige hintergründige Piano-Klänge ein, während sie sich sonst von Tasteninstrumenten komplett fernhalten und auch im Booklet nicht verraten, wer hier Klavier spielt. Dafür darf im Mittelteil auch mal der Basser solieren, aber selbst hier ist er so zurückhaltend eingemischt, dass man genau hinhören muß, um ihn richtig wahrzunehmen. Außerdem gibt es zweimal ein markantes Donnergeräusch im Hintergrund, möglicherweise eine Große Trommel aus dem Orchesterbestand. Hat man dann einmal gelernt, wo man akustisch den Baß zu suchen hat, nimmt man ihn auch im Intro des finalen Titeltracks besser wahr. Hier ziehen Sarcator in zehn Minuten nochmal alle Register ihres auf diesem Werk dominierenden Schaffens. Heißt praktisch: Das wilde Geblaste kehrt auch hier nicht zurück, obwohl der Drummer phasenweise schon recht treibend agiert und bis zu schnellen Stakkati vorstößt, und ansonsten holzen sich die Gitarristen durch Melodiendickichte, dass es nur so eine Freude ist. Außerdem darf der Basser rund um Minute 6 nochmal solieren, und diesmal hört man ihn auch besser. Nach Minute 6 tritt gar noch eine Art Spacerock-Eindruck hinzu, den es bisher in dieser Form gar nicht gegeben hat und den die jungen Musiker in den elterlichen Tonträgersammlungen vielleicht auf Tiamats Wildhoney entdeckt haben könnten, aber ihn natürlich stark weiterentwickelt haben.
So bleibt unterm Strich ein sehr starkes Melodic-Death-Metal-Werk, bei dem man den Death-Aspekt so weit in den Hintergrund gedrängt hat, dass es sinnvoll erscheint, diesen Teil in der Beschreibung einzuklammern – und wenn man den Opener skippt, könnte man Alkahest fast als Anfütterung für Leute verwenden, die sonst keinen Melodic Death mögen. Aber wie auch immer: Was die jungen Schweden auf ihrem Drittling abliefern werden, bleibt gespannt abzuwarten – ob man sich unbedingt auf die Suche nach dem Frühwerk machen muß, kann jeder nach einem vorsichtigen Hineinhören (das ist heutzutage im Zeitalter von Youtube und Spotify ja kein Problem mehr) selbst entscheiden.



Roland Ludwig



Trackliste
1Ascend3:03
2Perdition’s Hand5:40
3Grave Maggot Future4:46
4Dreameater7:29
5The Long Lost6:38
6He Who Comes From The Dark8:14
7Devil Sun5:01
8Sorrow’s Verse7:47
9Alkahest9:59
Besetzung

Mateo Tervonen (Voc, Git)
Emil Eriksson (Git)
Felix Lindkvist (B)
Jesper Rosén (Dr)



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