Textverständliche Mengen der Gläubigen: Mendelssohns Paulus in der Dresdner Frauenkirche




Info
Künstler: Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera, Kammerchor der Dresdner Frauenkirche

Zeit: 16.05.2024

Ort: Gera, Theater

Fotograf: Tobias Ritz

Internet:
http://www.tpthueringen.de

Die Zusammenarbeit des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera mit dem Kammerchor der Dresdner Frauenkirche (Foto) wird bereits über etliche Jahre gepflegt, und das Programm der jeweiligen Konzerte erklingt dann nicht nur wie bei den regulären Orchesterkonzerten der Saison üblich zweimal in Gera und einmal in Altenburg, sondern zusätzlich auch noch einmal in der Frauenkirche in der sächsischen Metropole. Anno 2024 hat man „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy aufs Programm gesetzt, das erste der drei großen Oratorien des Leipziger Gewandhauskapellmeisters. Der Rezensent ist beim leider nicht sonderlich gut besuchten zweiten Geraer Konzert am Donnerstag vor Pfingsten dabei.
Der Chor erscheint im Habit und steht hinter dem Orchester. Schon in der Ouvertüre deutet Dirigent Matthias Grünert (auf dem Foto rechts) an, dass er die zur Verfügung stehende Palette ziemlich weit ausreizen will. Er formt das Geschehen zunächst sehr zart und behutsam, zieht den Klang eher in die Breite, schüttelt aber die folgende Lebendigkeit förmlich aus dem Ärmel und bringt auch überzeugenden Schlußbombast zuwege. Der Sangeskörper hingegen braucht ein wenig Anlaufzeit: Im Chor „Herr, der du bist der Gott“ agiert er noch etwas zu diffus, während die Einzelstimmen schon überzeugen können – als ein Ensemble findet er sich dann im Choral „Allein Gott in der Höh sei Ehr“, und gleich wird das Geschehen richtig stimmungsvoll, zumal Grünerts Weg, die Zeilen ruhig fließen zu lassen, die Zeilenenden aber markant zu akzentuieren, sich als gute Idee entpuppt. Von da an ist beim Chor jedenfalls viel in Butter, und auch die Theatralik weiß zu überzeugen, etwa die Lästerworte-Passage in „Dieser Mensch hört nicht auf zu reden Lästerworte“. Dass die Steinigung des Stephanus in „Sie aber stürmten auf ihn ein“ eher mäßig bedrohlich anmutet, stellt sich als geschickter Schachzug heraus, um für das spätere Wüten des Saulus noch etwas an dynamischer Steigerung offenzulassen, und das gelingt dann planmäßig auch, ohne dass dort der Chor im Einsatz ist. Einige Reserven tun sich allerdings durchaus noch auf: In „Siehe! Wir preisen selig“ finden der eher ruhige Flow des Chores und der vorwärtsdrängende Charakter des Orchesters nicht richtig zusammen, und speziell die ätherischen Passagen in Nr. 14, als Saulus auf dem Weg nach Damaskus dem Geist Jesu begegnet, hat man in anderen Aufführungen schon jenseitiger und ergreifender gehört, obwohl’s auch an diesem Abend alles andere als schlecht gemacht ist. Mitunter werden kleine technische Unsicherheiten wie in „Wachet auf! ruft uns die Stimme“ gleich beim Übergang von „Wa-“ auf „-chet“ durch eine richtig schöne klangfarbliche Gestaltung kompensiert, und eine ansehnliche Grundqualität unterschreitet der Chor zumindest im vom Rezensenten miterlebten Teil des Konzertes auch nicht.
Als erster der Solisten greift Romy Petrick ins Geschehen ein. Die Sopranistin kommt von der Oper her, und das hört man auch, aber das ist kein Nachteil – sie singt sehr deutlich und textverständlich, kann aber auch Dramatik mit Leichtigkeit umsetzen, wie schon in ihrem ersten Stück „Die Menge der Gläubigen“ deutlich wird. Und die bedächtig-jenseitige Klage in „Jerusalem! Die du tötest die Propheten“ wird nach hinten heraus immer jenseitiger. Altistin Wiebke Damboldt kombiniert in „Und zog mit einer Schar gen Jerusalem“ gekonnt ein sehr expressives Rezitativ mit einem geradlinigen Arioso und agiert ebenso sehr textverständlich. Letzteres trifft auch auf Tenor Christian Rathgeber und Bariton Tobias Berndt zu, wobei letzterer in „Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte“ in exzellenter Manier ab „Denn ich will die Übertreter deine Wege lehren“ in Aktionismus und ebenso geschickt in „Und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit“ zurück in den demütigen Gestus verfällt. Das Orchester entledigt sich der expressivitätsunterstützenden Aufgaben souverän, sei es in den scharfen Streichern im Lästerworte-Chor oder im stimmungsvollen Blech, das „Wachet auf! ruft uns die Stimme“ veredelt.
Die Rezension bleibt allerdings leider fragmentarisch: In Nr. 20, kurz vor Ende des ersten Teils, muß der Rezensent aufgrund eines gesundheitlichen Problems den Saal verlassen – alles, was nach dieser Rettungsarie des erblindeten Paulus (die dort irgendwie unlogisch positioniert ist, denn Ananias kommt erst in Nr. 21 zu ihm und macht ihn wieder sehend, während der Text von Nr. 20 assoziiert, dass das schon vorher passiert sein müßte) noch kommt, entzieht sich also einer Beurteilung. Das Konzertfragment aber hat trotz der erwähnten kleinen Unzulänglichkeiten definitiv Freude beim Hören bereitet.


Roland Ludwig



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