Musikalische Europameisterschaft im Kleinen: Gotthard, The New Roses und Eclipse in Markneukirchen
Doppeltes Risiko: An diesem Freitagabend bestreitet die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Männer das Eröffnungsspiel der EM gegen Schottland, und zudem liegt der Eintrittspreis des Konzertes mit knapp 70 Euro für eine eher strukturschwache Region wie das Vogtland in einer Höhe, wo sich mancher potentielle Interessent das Hingehen mehrfach überlegen muß. Ergo besteht durchaus die Gefahr, dass dieses Drei-Band-Package aus drei verschiedenen europäischen Ländern, von denen zwei auch bei der EM dabei sind, vor einer weitgehend leeren Halle spielen muß – aber dieses Szenario tritt nicht ein: Die Musikhalle in der Instrumentenbauerstadt Markneukirchen, ein relativ großer und relativ neuer Mehrzweckbau, ist zu dieser musikalischen Europameisterschaft im Kleinen zwar nicht über-, aber doch recht gut gefüllt. Die meisten Besucher haben offenkundig auch die relativ kurzfristige Vorverlegung des Anpfiffs von 19.30 auf 19.00 Uhr mitbekommen, und so spielen Eclipse vor bereits zahlreichen Anwesenden – auch der Rezensent nimmt seinen üblichen Platz direkt vor dem Mischpult wenige Minuten vor dem pünktlichen Beginn ein. Von den Schweden kennt er nur ein einziges Album, und Second To None ist mittlerweile 20 Jahre alt und im Set entsprechend unterrepräsentiert, mit anderen Worten: gar nicht vertreten – der Gig läuft offiziell im Rahmen der Tour zum aktuellen, 2023 erschienenen Album Megalomanium, und da ist für den Backkatalog beim ersten Support natürlich noch weniger Platz als sonst schon, sofern dort keine unverzichtbaren Klassiker verewigt worden waren, was bei diesem gutklassigen, aber nicht weltbewegenden Album nicht der Fall ist. Die Schweden eröffnen mit einem Intro, in dem jeweils ein Hardrock- bzw. Metalklassiker (Rainbow, Maiden etc. pp.) nach einigen Sekunden weitergescratcht wird, ehe der flotte Opener „Apocalypse Blues“ klarmacht, dass das Quartett immer noch im klassischen Melodic Rock an der Grenze zum Melodic Metal siedelt. Die eher hintergründig agierenden Keyboards kommen vom Band, Sänger Erik (der sie im Studio einspielt) agiert live statt dessen an der zweiten Gitarre. Ab „The Storm“ bauen die Schweden zudem auch geschickt Akustikelemente ein, die ebenfalls vom Band kommen, aber bestimmte Songs strukturell durchaus aufzuwerten in der Lage sind. „Anthem“ gestaltet sich sogar lange Zeit als komplette Akustikballade, ehe im Schlußteil doch noch harte Klänge zutagetreten. Flotte Partykracher wie „Saturday Night (Hallelujah)“ mixen sich gekonnt mit harten Nummern wie dem schweren „Black Rain“, das im Mittelteil in speedige Raserei verfällt, oder dem abermals mit Akustikelementen ausstaffierten „The Downfall Of Eden“. Auch „Runaways“ erklingt – das ist der Song, mit dem die Schweden 2016 beim Melodifestivalen, dem schwedischen Vorausscheid für den ESC, antraten, und nachdem besonders der Vokalist schon bisher auch der Bühnenaktivposten gewesen war, gibt es hier noch ein paar Showelemente obendrauf, mit denen man auch bei besagtem Wettbewerb hätte Punkte sammeln können. Der Drummer klettert auch schon mal auf sein Instrument und feuert das Publikum auf den Bassdrums stehend an. Die Leadstimme bewegt sich im Normalbereich und macht eine gute Figur, die beiden anderen Saitenspieler singen Backings, die oftmals wie klassische AOR-Chorelemente arrangiert sind, und der Leadgitarrist verdient für sein phantasievolles Spiel zusätzliche Erwähnung, während der Bassist im ansonsten gut ausbalancierten und nicht zu lauten Sound irgendwie nicht richtig eingebunden wirkt. „Twilight“ verarbeitet im Schlußteil Beethovens Götterfunken-Thema, und das finale „Viva La Victoria“ bringt die Halle nochmal kollektiv zum Mitsingen und -hüpfen. Es herrscht also allgemein schon hier prima Stimmung, und die Band erntet reichlich Applaus. Ein anwesender einstiger CrossOver-Redaktionskollege fühlt sich an die Landsleute Supreme Majesty erinnert, was durchaus nicht fern liegt, wobei diese allerdings zumindest im Studio die Keys weiter in den Vordergrund stellten und sich der Mixtur zugleich aber von der Metal-Seite aus näherten, während Eclipse offenbar aus dem Rock kommen. Aber wer die einen schätzt, könnte auch die anderen mögen, und der Rezensent müßte eigentlich auch mal nachschauen bzw. -hören, was er in den 20 Jahren seit Second To None so verpaßt hat. Setlist Eclipse: Apocalypse Blues Got It! Falling To My Knees The Storm The Hardest Part Is Losing You Anthem Saturday Night (Hallelujah) Black Rain The Downfall Of Eden Runaways Twilight Viva La Victoria The New Roses sind seit ihrer Gründung offenbar quasi permanent auf Tour, wenn man so durch die Gigdates-Spalten der Musikgazetten schaut – der Rezensent sieht sie an diesem Abend aber zum ersten Mal. „Oh Pretty Woman“ kommt als Intro vom Band, ehe sich klassischer Hardrock mit viel Rock’n’Roll-Note entwickelt, dessen Basis eher in den USA als in Skandinavien zu liegen scheint. Wieso der Sänger die Ansagen halb in Englisch hält (das Bandhauptquartier steht in Wiesbaden), bleibt freilich sein Geheimnis – sollte der Anteil von Besuchern aus dem nahen Tschechien, die des Deutschen nicht mächtig sind, wirklich so groß sein, dass er das für nötig hält? Ein klassischer Entertainer ist er allerdings, zudem auch stimmlich ziemlich fit, bisweilen an eine kräftigere Version von Bryan Adams erinnernd, in ruhigeren Passagen aber auch ein klein wenig an den Boss. Dazu liefern alle vier instrumentalen Mitstreiter Backings ab, und das Material ist generell so angelegt, dass sich auch fürs Publikum reichlich Möglichkeiten zum Mitsingen bieten. „Grundsolide“ wäre für die Songs wohl das treffendste Wort, mit allen positiven wie negativen Begleiterscheinungen, die man mit ihm verbindet. Der grundsätzliche Unterhaltungswert ist nicht zu bestreiten, aber mit der Zeit stellt sich eine gewisse ermüdende Gleichförmigkeit ein, die auch nicht durch außergewöhnliche Leistungen an den Instrumenten oder am Mikrofon kompensiert wird. So bleiben letztlich nur die vier außergewöhnlicheren Songs der Setlist im Hirn hängen (oder fünf, wenn man das Intro mitzählt): die Halbballade „All I Ever Needed“, in der die stimmliche Ähnlichkeit zum Boss besonders auffällt, der mit ekstatischen Soli aufgepeppte flotte Boogie „Gimme Your Love“ sowie die beiden Coverversionen „Rockin’ In A Free World“ und „Old Time Rock’n’Roll“, letzteres am Setende stehend. Das Klangbild ist besser ausbalanciert (heißt: der Baß ist besser integriert – Keyboards müssen hier keine eingepaßt werden, statt dessen ab und zu aber noch eine dritte Gitarre, zu der der Vokalist bisweilen greift), aber auch ein Stück zu laut, der Lichtmann setzt zu häufig nervig blendende Scheinwerfer ein, und so wird der Rezensent, der den Stil der Formation grundsätzlich schätzt, an diesem Abend nur bedingt mit ihr warm. Auf das Gros der Anwesenden trifft das allerdings nicht zu – The New Roses werden abgefeiert, als hätten sie gerade den Rock’n’Roll erfunden. Auch Gotthard, die grundsätzlich prima in sein Beuteschema passen, hat der Rezensent noch nie live gesehen – Vergleiche, wie sich der auch schon wieder mehr als ein Jahrzehnt am Mikrofon stehende Nic in Relation zu seinem 2010 tragisch verunglückten legendären Vorgänger Steve auf der Bühne schlägt, können aus eigenem Erleben also nicht gezogen werden. Dass auch hier ein Gutteil der Ansagen in Englisch kommt, verwundert in diesem Falle nicht, denn schließlich steht das Gotthard-Hauptquartier im italienisch sprechenden Teil der Schweiz, wenngleich die Formation natürlich auch in der deutschsprachigen und in der frankophonen Eidgenossenschaft zahllose Anhänger hat – und auch im Vogtland, wie dieser Abend beweist: Die Feierstimmung ist nicht mehr ganz so „Was kostet die Welt“-ausgeprägt wie bei The New Roses, aber dafür gediegener und das Material ja auch deutlich vielschichtiger. Auf den speedigen Opener „Every Time I Die“, letztlich der einzige Beitrag des zwar schon vier Jahre alten, aber immer noch aktuellen und auch das Backdrop stellenden Albums #13, folgt überraschenderweise bereits an Position 2 das vom selbstbetitelten Debüt stammende Cover „Hush“ (in der Hardrockwelt populär gemacht von Deep Purple, original aber von Joe South), ohne dass man Gotthard aber deswegen attestieren müßte, sie hätten es nötig, sich mit fremden Federn zu schmücken – auch das eigene Material hält locker einen hohen Qualitätsstandard und eignet sich bestens dazu, im Publikum Emotionen zu wecken, etwa die sehnsuchtsvollen Gitarrenlinien in der Hymne „Feel What I Feel“. Außerdem besitzt der Schwenk vom aktuellsten (und tatsächlich dreizehnten) zum ersten Album auch symbolischen Charme, das Bandschaffen sozusagen zusammenzuklammern. Zu „Top Of The World“ hüpft der Vokalist wie ein Flummi über die Bühne, und dann fordert er die Anwesenden vor „What You Get“ auf, es ihm gleich zu tun: „This is the cardiac training part of the show!“ Der Song ist allerdings deutlich schneller als sein Vorgänger – hier zu hüpfen erfordert also in der Tat einen merklich höheren Energieaufwand und wird von den meisten dann auch nicht sonderlich lange praktiziert, zumal das Durchschnittsalter der Anwesenden doch schon im etwas fortgeschrittenen Bereich zu liegen scheint. Im Intro dieses Songs hört man dann erstmals auch die hier markant eingesetzten Keyboards von Live-Dauergast Ernesto aka Lester deutlicher durch – bis dahin ist der Sound etwas zu verwaschen und mit zuviel Grundgeräusch belastet, was sich erst nach dem nun folgenden „Balladenblock“ markant zu mehr Klarheit hin wandelt. Vorher gibt’s noch ein bombastisches, aber kurzes Keyboardsolo und das treibende „Master Of Illusion“, ausstaffiert mit sehr markanter Lichtarbeit, bevor „Let It Rain“ nur von Nic und Lester bestritten wird. Wer ein wenig traurig ist, weil diese hochemotionale Nummer nur so kurz ausfällt, der bekommt mit dem noch emotionaleren „One Life, One Soul“ sogleich Trost gespendet, das mit Vocals, zwei Akustikgitarren und Keyboards von der Bühne ausgestaltet wird, während das Publikum gute Teile der Vocals mitformuliert. In der Powerballade „Remember It’s Me“ greift der Sänger noch zu einer weiteren Akustikgitarre, und damit schließt der „Balladenblock“ auf hohem Niveau ab. „Sweet Little Rock ’n’ Roller“ macht mit seinem klassischen Rock’n’Roll-Touch und dem Honky-Tonk-Piano aber auch jede Menge Hörspaß, während das lange Intro von „Starlight“ dem einen oder anderen Hörer ein Fragezeichen namens „Princess Of The Dawn“ ins Gesicht schreibt und sich letztlich eine Bombasthymne entwickelt, in der der Vokalist wieder dritte Gitarre spielt. Ein kurzes Talkbox-Intro von Leo führt dann zur Frage „Are you ready for ‚Mountain Mama‘?“ – ja, die Bergbewohner des Oberen Vogtlandes (und auch der aus dem Flachland angereiste Rezensent) sind bereit für diesen historischen Stampfer. Ein witziges Zählerspiel leitet über zu Flavios Drumsolo, und unter dem Setcloser liegt ein langes Sample, das aber den urtraditionellen und urwüchsigen Gotthard-Sound durchaus nicht pseudomodernisiert, sondern ihn punktuell sinnvoll erweitert. Es gehört natürlich zu „Lift U Up“, zu dem der Sänger auf den Schultern eines kräftigen Crewmitgliedes durchs Publikum reitet und nochmal das Letzte aus den Anwesenden herausholt. Das Letzte? Nein, natürlich müssen hier noch Zugaben sein, zunächst der Tränentreiber „Heaven“ mit seinem expressiv-epischen Finale und einigen der eher seltenen Soli von Zweitgitarrist Freddy, danach der feiste Stampfer „Anytime, Anywhere“ und, da das Auditorium noch immer keine Ruhe gibt, auch noch das von Manfred Mann popularisierte, aber von Bob Dylan stammende „Mighty Quinn“, zu dessen massivem Midtempo das Publikum hüpftechnisch die letzten Reserven lockermacht, ehe kurz vor Mitternacht der letzte Ton verklingt. Die deutsche Mannschaft hat derweil die Schotten mit 5:1 vom Platz gefegt, und Freddy kommentiert in seiner einzigen Ansage schmunzelnd: „Dass Ihr heute hier seid, kann zwei Ursachen haben: Entweder Ihr seid sicher, dass Deutschland sowieso gewinnt, oder Ihr seid wirklich wegen der Musik da.“ Das muß zwar nicht zwingend eine Entweder-Oder-Konstellation sein, aber gelohnt hat sich die Entscheidung pro Konzert für die allermeisten Anwesenden wohl allemal, und auch der Rezensent zieht musikalisch bereichert von dannen. Setlist Gotthard: Every Time I Die Hush Bang! Feel What I Feel Top Of The World What You Get Keyboard-Solo Master Of Illusion Let It Rain One Life, One Soul Remember It’s Me Sweet Little Rock ’n’ Roller Starlight Mountain Mama Drum-Solo Lift U Up -- Heaven Anytime, Anywhere Mighty Quinn Roland Ludwig |
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