Vanguard
Vanguard
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Etwas bekannter als ihre deutschen Namensvettern wurden die schwedischen Vanguard, aber auch bei ihnen reichte es nicht, um sich langfristig in der Szene zu etablieren. Gegründet 1982 als Poleaxe, entschloß sich die Band im Folgejahr zu einem Namenswechsel, als Bandgründer/Gitarrist PeO Axelsson die Formation verließ und mit King’s Club abermals eine neue Band gründete, in der er aber nunmehr Baß spielte. Das verbleibende Quartett holte Stefan Rosell als neuen Zweitgitarristen, benannte sich wie erwähnt in Vanguard um und plünderte 1984 die Bandkasse, um eine Vier-Track-EP mit dem Titel V (was natürlich als Initial des Bandnamens anzusehen ist und nicht etwa als eine römische Fünf) aufzunehmen. Das Ganze erschien als Eigenproduktion, aber der Vertrieb RDC schaffte es immerhin, die Scheibe außer in Schweden auch noch in Frankreich und England in die Läden zu kriegen. Große Erfolge erreichte die Band damit allerdings nicht, zumal ein Angebot, mit Heavy Load auf Japan-Tour zu gehen, wegen der Kassenlage nicht angenommen werden konnte. Statt dessen änderten Vanguard ihren Stil von klassischem Melodic Metal hin zu AOR, wie es Europe vorgemacht hatten, und wuchsen zum Sextett, indem sie einen Keyboarder integrierten. Beim 1987er Rock-SM-Bandwettbewerb schnitten sie ziemlich gut ab, aber ein neues Demo brachte keinen Erfolg, und nachdem 1988 noch ein Drummerwechsel stattgefunden hatte, stellten Vanguard alsbald ihre Aktivitäten ein, offensichtlich intern uneins, wie sie weitermachen sollten, was zur Gründung zweier neuer Bands führte, wobei aber weder Avenue (später Lone Ranger) noch Déjà vu groß herauskamen.
Die vorliegende CD, nunmehr als selbstbetitelt veröffentlicht, enthält das Gros des konservierten Schaffens von Vanguard, wenn nicht sogar das Gesamtwerk. Den Auftakt bildet naturgemäß die 1984er EP, mit der deutlich wird, dass die Schweden zweifellos in der Lage waren, kernigen Melodic Metal auf die Beine zu stellen, der den Kollegen Europe, die im gleichen Jahr Wings Of Tomorrow veröffentlichten, hier und da durchaus nahekommt und sie in puncto Härte sogar etwas in den Schatten stellt. Dabei bildet die midtempolastige A-Seite die schwächere, aber trotzdem noch gutklassige, wobei vor allem der Refrain von „H.M. Paradise“ im Ohr bleibt. Das Highlight stellt aber zweifellos „Beast On The Run“ dar, der Opener der B-Seite, mit einem Akustikgitarrensolo anhebend und später in einen druckvollen Brecher umschaltend, den die galoppierenden Rhythmusgitarren markant antreiben, obwohl Drummer Eric Lindesvärd nicht ins Speedtempo wechselt. Das macht er dann nur im letzten EP-Track „Lady Of Madness“, aber auch da nur in zwei Zwischenspielen, während auch der Rest des Songs im liebgewonnenen Midtempo-Areal verbleibt. Strukturell auffällig ist hier das Hauptsolo über einer fehlenden Rhythmusgitarre, obwohl Vanguard das als Stilmittel eigentlich nicht nötig hatten, da sie ja über zwei Gitarristen verfügten. Die beiden entpuppen sich auch als Könner ihres Fachs – schon das Soloduell im Opener „Scars For The Future“ macht Laune, und kerniges Riffing hervorbringen können sie auch. Als Schwachpunkt muß die nicht immer sicher wirkende Stimme von Ralf Wernborg diagnostiziert werden, wenngleich auch hier Ansätze zu mehr Souveränität erkennbar sind.
„All Night Long“ setzt die Werkschau auf der CD fort; der Song wurde 1987 eingespielt, also schon mit dem Keyboarder an Bord, und macht den erwähnten stilistischen Schritt vom Melodic Metal zum AOR deutlich. Auch hier finden sich Solopassagen ohne unterlegte Rhythmusgitarre, obwohl auch zu dieser Zeit noch zwei Gitarristen vorhanden gewesen sein müssen – also wird dieses Element tatsächlich was zu bedeuten haben. Der Sänger agiert etwas tiefer und kräftiger und hinterläßt hier tatsächlich schon einen besseren Eindruck, wenngleich er vom Idealbild des großen AOR-Crooners immer noch ein Stück entfernt bleibt. Der Song (eine Eigenkomposition, kein Rainbow-Cover) erschien im Zuge des erwähnten Bandwettbewerbs auf einem Sampler namens Double Up, aber auch davon konnten Vanguard nicht profitieren. Dass sie kompositorisch mit den Großen der neuen Zunft mithalten konnten, zeigt das Material vom im gleichen Jahr entstandenen Demo: „Crime Of Passion“ pendelt geschickt zwischen Verharrungen und dem geliebten Midtempo hin und her, „Searching“ zäht das Midtempo leicht an und offeriert Wernborgs wohl beste im Vanguard-Kontext konservierte Leistung als Sänger, überzeugt aber auch kompositorisch – man würde sich nicht wundern, eine solche Nummer auf einer Scheibe der Genregrößen wiederzufinden, und dort stört auch das leicht technisiert wirkende Schlagzeug nicht. Außerdem ist das mit doppelläufigen Gitarren ausstaffierte Hauptsolo ebenso simpel wie wirkungsvoll.
Der letzte Song der CD ist ein Proberaummitschnitt aus dem Jahr 1986, und zwar von „Sugar Sugar“ von The Archies, einer Nummer, die die Generation des Rezensenten eher aus dem Werbefernsehen kennt (remember „Ich steh‘ auf Canderel“?). Auch beim Umwandeln ganz anders gelagerten Materials in ihren jeweiligen Stil, hier schon AOR-lastig, machten Vanguard also eine gute Figur, und die altertümlich klingende Orgel verleiht der Nummer einen speziellen Reiz, so dass man auch über die etwas dumpfe Soundqualität hinwegsehen kann. Frage wäre nur noch, wer hier die Orgel spielt – gemäß den Liner Notes ist Keyboarder Per-Anders Forsén erst 1987 dazugestoßen. Da unter dem Gitarrensolo eine Rhythmusgitarre liegt, scheidet die Variante, dass einer der beiden Gitarristen ersatzweise in die Tasten greift, aus. Ansonsten gestaltet sich das Booklet aber recht informativ und ist zudem mit zahlreichen historischen Bildern ausgestattet.
In editorischer Hinsicht hätte man sich freilich noch zwei Dinge gewünscht. Zum einen bleibt unklar, ob das 1987er Demo nur die beiden auf der CD gelandeten Tracks enthielt oder ob welche unversilbert blieben. Zum anderen findet Erwähnung, dass 2007 zum 25jährigen Bandjubiläum ein Reuniongig stattfand (auf der Bilderseite ist 2004 genannt, vermutlich ein Tippfehler) und man zudem vier neue Songs spielte. Ob es davon etwas Konserviertes gibt oder auch von frühem Poleaxe-Material, das noch stark nach Black Sabbath geklungen haben und Songtitel wie „Witchcraft“ oder „Black Night Woman“ getragen haben soll, darüber hingegen schweigt sich das Booklet leider auch aus. Auf der CD gelandet ist davon jedenfalls nichts, und so könnte es sein, dass die 35 Minuten Musik tatsächlich das maximal Verwertbare aus dem Vanguard-Schaffen darstellen. Da auch Janne Stark beim digitalen Aufbereiten der EP gute Arbeit geleistet hat, gibt es keinen Grund für Schweden-Metal-Historiker, sich das Material nicht zuzulegen, zumal man sozusagen Ohrenzeuge einer für die damaligen Zeit typischen stilistischen Entwicklung wird, für die Europe nur das bekannteste Beispiel darstellen und die aber in durchaus nicht jedem Fall so gutklassige Ergebnisse gezeitigt hat wie bei ihnen oder eben auch bei Vanguard. Dass hier 1987 keine Plattenfirma auf das Demomaterial angesprungen ist, erscheint rückblickend ziemlich rätselhaft.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Scare For The Future | 4:11 |
2 | H.M. Paradise | 3:08 |
3 | Beast On The Run | 4:18 |
4 | Lady Of Madness | 5:27 |
5 | All Night Long | 5:13 |
6 | Crime Of Passion | 3:52 |
7 | Searching | 4:27 |
8 | Sugar Sugar | 4:19 |
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Besetzung |
Ralf Wernborg (Voc)
Sven-Eric Wernborg (Git)
Stefan Rosell (Git)
Per-Anders Forsén (Keys, 5-7)
Mikael Andersson (B)
Eric Lindesvärd (Dr)
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