Hexx
Entangled In Sin
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Hexx machten in den 1980ern eine Entwicklung durch, die sich reziprok zu derjenigen der allermeisten anderen Metalbands verhielt. Wurden jene mit jedem Album immer kontrollierter, zugänglicher oder, um einen Kampfbegriff zu verwenden, kommerzieller, so wandelten sich Hexx von einer reinrassigen Power-Metal-Combo, die die Alben No Escape und Under The Spell veröffentlichte, zu einer Formation, die sich im Grenzbereich zwischen Thrash und Death Metal aufhielt. Die beiden EPs Quest For Sanity und Watery Graves, die in jener Phase entstanden, besitzt der Rezensent nicht, wohl aber den einzigen Longplayer aus jener Phase, Morbid Reality, der auch noch mit relativ komplexen Songstrukturen verwirrte, auf geteilte Meinungen stieß und letztlich die Formation auf den Bandfriedhof beförderte. Von ebenjenem kehrte sie anno 2017 mit dem Album Wrath Of The Reaper zurück, nun wieder im gewohnten Power-Metal-Gewand und von Kollege Mario mit 14 Zählern bedacht.
Entangled In Sin stellt nun den zweiten Longplayer der „neuen alten“ Hexx dar. Ob abermals eine Entwicklung wie die eingangs beschriebene stattfindet, die Amis also erneut in härtere Gefilde abdriften, bleibt natürlich erstmal abzuwarten – auf Entangled In Sin bleiben sie jedenfalls vorerst im klassischen Power Metal, halten diesen aber mit bestimmten Elementen auch in andere Areale andockbar, worunter als erstes die Stimme von Eddy Vega zu nennen wäre. Der kreischt zwar im Opener „Watching Me Burn“ phasenweise wie David Wayne, wechselt aber im nachfolgenden Titeltrack eher in shoutende Gefilde, mit denen er auch eine Thrashband fronten könnte, während die gelegentlich eingestreuten zurückhaltenderen Momente etwas von Bruce Dickinson haben, allerdings nicht ganz mit dessen Melodiehaltevermögen ausgestattet werden konnten, wie die immer leicht vorm Abkippen befindlich anmutende Stimme in den Strophen von „Beautiful Lies“ deutlich macht. Zur darunterliegenden Musik paßt das Gebotene in der Allgemeinbetrachtung jedenfalls gut. Neben Bandkopf/Alleinkomponist Dan Watson ist mit John Shafer noch ein weiteres Hexx-Altmitglied von der Partie –Shafer war indes derjenige, der in der oben erwähnten Thrash-/Death-Phase hinter dem Kit saß. Von wildem Geknüppel hält er sich in den zehn neuen Songs allerdings ebensoweit entfernt wie von aneinandergereihten Taktverschiebungen. Dafür setzt er etwa in „Vultures Gather Round“ oder „Beautiful Lies“ auf klassische Ufta-Ufta-Beats im Uptempo, was vor allem erstgenannter Nummer einen ganz leichten Punk-Touch verleiht, den ja viele Metalbands der ersten Generation latent mit sich herumtrugen. „Power Mad“ mit seinen relativ schnellen Stakkati rückt auf der Scheibe vielleicht am nächsten an Thrash-Gefilde heran, überschreitet die Grenze vom Power Metal zum Thrash indes letztlich doch nicht, läßt aber das Phänomen erkennen, dass Entangled In Sin auf seiner A-Seite vom stampfenden Midtempo-Opener „Watching Me Burn“ bis hin zu eben „Power Mad“ immer schneller wird.
Würde sich diese Entwicklung auf der B-Seite fortsetzen, landeten wir am Ende zwar tatsächlich im wilden Geknüppel – aber die Formulierung assoziiert bereits, dass diese Variante im hypothetischen Bereich bleibt. Den aktuellen Power-Metal-Kurs unterstützen auch die aktuellen Bandkollegen. Vom neuen Vokalisten war schon die Rede, Bassist Don Wood, der einzige relative Jungspund in der Besetzung, trägt auf dem Bandfoto ein Shirt mit einem klassischen Hexx-Motiv, und Zweitgitarrist Bob Wright (ja, genau, der Brocas-Helm-Kopf!) ist zwar nicht am Songwriting beteiligt, teilt sich mit Watson aber in die Soloarbeit, was in traditioneller Manier im Booklet auch aufgeführt wird. In „Power Mad“ duellieren sich die beiden in klassischer Weise, und der Gewinner ist der Zuhörer, dem dieses Stilelement viel Freude zu bringen in der Lage ist, sofern man eben auf Classic Metal steht. Watson hat natürlich nichts verlernt, und Wright ist gleichfalls einer aus der Riege der alten erfahrenen Hasen, die sowohl die Lead- als auch die Rhythmusarbeit wirkungsvoll ausgestalten können.
Auf kleine Überraschungen muß man aber trotzdem gefaßt sein. „Internal Enemy“ nämlich, Opener der virtuellen B-Seite, läßt Shafer tatsächlich einige komplexere Rhythmen auspacken und landet in der Gesamtbetrachtung noch näher am Thrash als „Power Mad“. Der mit einem melodischen Gitarrenlauf anhebende klassische Midtempo-Stampfer „Strive The Grave“ stellt aber gleich darauf klar, dass die oben entwickelte These der weiteren Härtung über die Albumdistanz hinweg graue Theorie bleibt und die Praxis anders aussieht. Daran ändert auch das wieder mit einem recht flotten Stakkato-Rhythmus ausgestattete „Touch Of The Creature“ nichts, dessen weit ausschwingende Rhythmusgitarren in der Bridge einen der wenigen Momente im Schaffen von Hexx darstellen, in dem sie näher am Euro- als am Ami-Power Metal sind, was freilich nicht auf den Rest des Songs zutrifft. Frage bleibt allerdings, wer da im Finale so hoch kreischt. Wenn das Vega selbst ist, schließt sich gleich die nächste Frage an, nämlich warum er das nur hier tut und nicht weitreichender einsetzt. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine bewußte Entscheidung – der Vokalist hat gemäß dem Bandfoto auch schon etliche Jährchen auf dem Buckel, und wie einst in höchsten Höhen jubilierende Sangesknaben heute zu kämpfen haben, um die alten Vorgaben adäquat umzusetzen (wobei nicht wenige scheitern), das ließ sich ja in den letzten Jahren und Jahrzehnten eindrucksvoll beobachten.
Vergleicht man Entangled In Sin mit den beiden ersten Hexx-Scheiben, fällt auf, dass Watson überwiegend eine eher kompakte Herangehensweise an die Arrangements legt und nur in bestimmten Momenten gezielt in etwas epischere Gefilde wechselt – das tat er schon damals, und das tut er auch heute noch (dass es zwischenzeitlich anders war, wurde schon angedeutet). So stehen auch auf der neuen Scheibe mehrheitlich kompakte Drei- bis Vierminüter, und nach den Experiment-Anflügen mit „Power Mad“ und „Internal Enemy“ gibt es solche erst wieder in Richtung des Finales der Scheibe. „Wise To The Ways Of The World“, in der Tracklist auf der CD-Rückseite wohl ungeplant etwas verkürzt, koppelt schnellere und midtempolastige Passagen, und mit „Over But The Bleeding“ steht als Closer gar reinrassiger Epic Metal zu Buche, ausladendes Midtempo und diese ganz leicht schrammeligen Gitarren, wie man sie im Genre nicht selten findet, auffahrend, den letzten großen Solopart aber leider etwas ideenlos ausblendend. Da wäre sicher noch mehr herauszuholen gewesen, was allerdings Jammern auf hohem Niveau bleibt.
Die letzten drei Songs sind als Boni gekennzeichnet, die sich auf der CD befinden, jedoch nicht auf der LP. Zwei davon lassen sich herkunftsseitig problemlos identifizieren, der dritte (bzw. von der Reihenfolge her erste) jedoch nicht. „Signal 30 I-5“ stellt mit knapp sechs Minuten den längsten Song des ganzen Werks dar, abermals eine geschickte Kombination aus schnelleren und stampfenderen Parts bietend, aber ohne breiten epischen Touch. Woher dieser Song stammt, läßt sich nicht ergründen – eine historische Nummer dieses Titels gibt es im konservierten Schaffen der Formation jedenfalls nicht, im Gegensatz zu „Night Of Pain“ und „Terror“, bei denen es sich tatsächlich um Neueinspielungen vom Debüt No Escape handelt, die parallel auch auf einer Vinyl-Single veröffentlicht worden sind. Dennis Manzos Stimme wurde damals bisweilen als gewöhnungsbedürftig bezeichnet, aber so weit von Vega ist er gar nicht entfernt – und wer die Mittelzeilen des erstgenannten Songs eingesungen hat, der versteht sein Fach gleichfalls. Eine Zweitstimme finden wir auch in „Terror“, aber das Booklet gibt in beiden Fällen nicht an, wer sie singt, im Gegensatz zum mystischen Intro, das einem John Marshall zugeschrieben wird, bei dem es sich vermutlich aber nicht um den Metal-Church-Gitarristen handelt, der dem Achtziger-Metal-Anhänger wohl zuerst einfällt, wenn er diesen Namen hört. Hört man sich die beiden Zweitstimmenpassagen mal genau an, kommt einem fast der Verdacht, es sei Manzos alte Stimme, die hier noch einmal neu eingemischt wurde – verifizieren läßt sich dieser Verdacht freilich nicht.
Gewidmet ist Entangled In Sin übrigens Bill Peterson, dem 2019 verstorbenen Ur-Bassisten von Hexx, und dieser dürfte sicher mit Wohlwollen von seiner Wolke auf das Werk herab blicken – kein Überalbum, aber gutklassiger Power Metal wie schon auf den ersten beiden Scheiben und daher für Anhänger derselbigen ohne nachzudenken verhaftbar, sofern sie mit einem „älter“ wirkenden Gesang klarkommen.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Watching Me Burn | 4:33 |
2 | Entangled In Sin | 3:24 |
3 | Vultures Gather Round | 3:29 |
4 | Beautiful Lies | 5:06 |
5 | Power Mad | 4:51 |
6 | Internal Enemy | 3:56 |
7 | Strive The Grave | 4:18 |
8 | Touch Of The Creature | 3:19 |
9 | Wise To The Ways Of The World | 4:09 |
10 | Over But The Bleeding | 5:27 |
11 | Signal 30 I-5 | 5:52 |
12 | Night Of Pain | 3:01 |
13 | Terror | 3:51 |
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Besetzung |
Eddy Vega (Voc)
Dan Watson (Git)
Bob Wright (Git)
Don Wood (B)
John Shafer (Dr)
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