Ensiferum
Thalassic
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Lange ist’s her, dass ein komplettes Ensiferum-Album den Weg durch die hiesigen Boxen fand – Victory Songs müßte es gewesen sein, und das war noch tief in den Nullerjahren. Nun also Thalassic, das achte Studioalbum der Finnen, aus genanntem Grund nicht direkt mit seinen Vorgängeralben vergleichbar, jedenfalls nicht nach eigener Hörpraxis. Aber da hilft die Theorie zumindest ein kleines Stück weiter: Mit Pekka Montin haben Ensiferum einen neuen Keyboarder an Bord, und der übt im Nebenjob denjenigen eines zweiten Sängers aus und entpuppt sich als diesbezüglich äußerst fähig und vor allem powermetalkompatibel. Im dem Intro „Seafarer’s Dream“ folgenden „Rum, Women, Victory“ darf er jedenfalls nach nur einer reichlichen halben Minute dem herzhaften Eröffnungskreischer von Leadsänger Petri Lindroos einen hohen cleanen Vokalausbruch folgen lassen, für den ihn schon mal jede Italo-Metal-Band mit Kußhand verpflichtet hätte, während er in der zweiten Strophe dieses Liedes eine nicht ganz so hohe, aber nach wie vor gebirgsbachklare Linie fährt, deren Färbung ein wenig an Stratovarius-Kollege Timo Kotipelto erinnert, mehr aber noch an Roberto Tiranti auf den Labyrinth-Alben um die Jahrtausendwende.
Da Montin auch in den Folgesongs relativ oft zu Wort kommt, stellt sich die spannende Frage, ob auch die instrumentale Komponente eine stärker traditionsmetallische Ausrichtung eingenommen hat. „Rum, Women, Victory“ scheint zunächst nicht für diese These zu sprechen, würde dieser Song doch auch problemlos auf eines der Frühwerke der Band passen, von der erwähnten gesanglichen Aufweitung mal abgesehen. Aber schon „Andromeda“ stellt abgesehen von Lindroos‘ Gesang und einigen kurzen Ausbruchsandeutungen fast reinrassigen Midtempo-Power Metal neuzeitlicher Prägung dar, und „The Defence Of The Sampo“ hätten die Italometaller bei ihrem hypothetischen Beutezug im Norden gleich mit eingesackt, große Chorgesänge inclusive, wobei hier der Leadgesang ein wenig rauher und tiefer, aber immer noch klar melodisch ausfällt – gut möglich, dass wir hier Bassist Sami Hinkka hören, der gleichfalls an den Vocals beteiligt ist. Extremere Ausprägungen finden wir hier jedenfalls gar keine mehr, statt dessen handelt es sich um flotten Folk Metal mit einer großen Verharrung im gepfiffenen (!) Hauptsolo.
Das Stichwort Folk ist aber ein gutes: Wenn Ensiferum an einer Komponente ihres Bandsounds konsequent festhalten, so ist es der folkige Touch vieler Melodien, hauptsächlich aus den Gitarren, aber auch aus den Keyboards. Das trifft auch auf eine Nummer wie das erwähnte „Andromeda“ zu, wobei hier zudem andere Landsleute einflußtechnisch durchschimmern, nämlich Amorphis – und das einleitende Instrumentalthema von „For Sirens“ hätte auch dem Hirn von Tuomas Holopainen entsprungen sein können, wenngleich der Nightwish-Chefdenker es natürlich in andere Musik weiterentwickelt hätte als in den stampfenden Power Metal, den wir von Ensiferum in dieser Nummer zu hören bekommen, abermals mit Gesangsduetten Lindroos/Montin und zudem mit einigen Gitarrenharmonien, die verraten, dass die Komponistenriege aus Hinkka und Gitarrist Markus Toivonen irgendwann schon mal von Iron Maiden gehört haben könnte, wenngleich die Finnen dieses Stilelement gekonnt in ihre eigene musikalische Welt umsetzen. Das kurz vor einer Ballade stehende „One With The Sea“ fährt dann auch noch Gäste an Violine und Nyckelharpa auf, deren Beiträge den folkloristischen Aspekt wirkungsvoll verstärken. Dass Ensiferum aber generell ein gutes Händchen für Detailgestaltungen besitzen, das stellen sie an vielen Stellen von Thalassic unter Beweis. Dass sich das Album mit maritimen Themen beschäftigt und das orchestrale Intro „Seafarer’s Dream“ folgerichtig mit Wellenrauschen beginnt, kann man ja noch als normal ansehen, aber einen Hit wie „Rum, Women, Victory“ zu schreiben und diesen im Refrain mit einer eigenartigen Rhythmusverschiebung auszustatten, ohne dass der Hörer aber Gefahr läuft, irgendwie ins Stolpern zu geraten, das verrät die wahren Könner, die hier musizieren. Und überhaupt reiht sich hier ein Hit-Refrain an den anderen, wozu die neugewonnene Gesangsvielfalt natürlich auch ihr Scherflein beiträgt. Außerdem ist Thalassic wie erwähnt ein Konzeptalbum über maritime Themen, und da bietet es sich förmlich an, ein paar große Seemannschöre mit Mitgrölpotential einzuflechten, was Ensiferum auch tun, ohne dabei in zu platte Gefilde abzugleiten. In einem Punkt trifft die Seethematik allerdings auf einen Widerstreit zwischen Theorie und Praxis: 2016 hatten Ensiferum die Planstelle einer Keyboarderin nämlich durch die einer Akkordeonistin ersetzt, und deren Instrument wäre für seemännisches Liedgut natürlich speziell geeignet gewesen – aber auf dem neuen Album hören wir wie erwähnt den neuen Keyboarder, und ein Akkordeon taucht nicht mal mehr unter den gasthalber noch hinzutretenden Instrumenten auf.
Neben Akkordeon-Fanatikern gehen auch Speedfreunde mit Hang zum Blastbeat auf Thalassic weitestgehend leer aus. In „Rum, Women, Victory“ wirft Janne Parviainen mal vorübergehend solche Passagen ein, dann aber erst wieder im Albumcloser „Cold Northland (Väinämöinen Part III)“ und auch da erst im hinteren Teil des Achtminüters, der sich bis dahin eher als angezähte Hymne gebärdet hat, wenngleich nicht ganz so angezäht wie der im Feeling ein wenig ähnliche (und nahezu gleichzeitig veröffentlichte) Closer des Nightwish-Albums Hvman. :||: Natvre., „Endlessness“. Ansonsten gibt es generell viel Midtempo auf der Scheibe, und wenn’s flotter wird, dann nicht selten im klassischen folkmetallischen Gestus wie etwa in „Midsummer Magic“, das von der Grundanlage her auch die frühen Subway to Sally hätten schreiben können. Ob auch diese relative Temporeduzierung schon auf den Alben der Zehnerjahre angelegt worden war, müssen detailliertere Kenner derselben beurteilen; der Rezensent beschränkt sich auf die Feststellung, dass unter den ihm bekannten Songs des 2012er Unsung Heroes-Albums auch schon etliche waren, die gerade durch ihre midtempolastige Ausrichtung Wirkung entfalteten. Ins Gesamtbild von Thalassic jedenfalls paßt die gewählte Tempoverteilung ausgezeichnet.
Der Digipack des Albums kommt noch mit zwei Bonustracks daher. In „Merille Lähtevä“ setzt das Quintett ein finnisches Traditional in lockeren Folk um, hier praktisch ohne Rock- oder gar Metalfaktor, dafür mit finnischem Originaltext in einer Art Sprechgesang, der erstaunlich gut zum musikalischen Unterbau paßt. Der andere Bonus ist eine Coverversion von „I’ll Stay By Your Side“, einer 1965er Single der dänischen Teenie-Band The Lollipops, aus der die Finnen massiven Power Metal gemacht haben, der ein wenig an einen Mix aus Morgana Lefay und Timo Rautiainen & Trio Niskalaukaus erinnert. Beide Nummern fallen einerseits etwas aus dem Albumkonzept heraus, sind aber musikalisch nicht so weit vom Albummaterial entfernt, dass sie etwa puren Fremdkörperstatus besäßen. So runden sie in dieser Form ein bärenstarkes Werk ab, auf dessen konkrete musikalische Ausprägung man sich freilich einzulassen bereit sein muß.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Seafarer’s Dream | 3:01 |
2 | Rum, Women, Victory | 4:16 |
3 | Andromeda | 4:04 |
4 | The Defence Of The Sampo | 4:50 |
5 | Run From The Crushing Tide | 4:22 |
6 | For Sirens | 4:40 |
7 | One With The Sea | 6:10 |
8 | Midsummer Magic | 3:42 |
9 | Cold Northland (Väinämöinen Part III) | 8:41 |
10 | Merille Lähtevä | 3:47 |
11 | I’ll Stay By Your Side | 2:49 |
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Besetzung |
Petri Lindroos (Voc, Git)
Markus Toivonen (Git)
Pekka Montin (Keys, Voc)
Sami Hinkka (B, Voc)
Janne Parviainen (Dr)
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