Von Schwedisch bis Georgisch mit dem Oregon State University Chamber Choir in Leipzig
Der Deutsche Wetterdienst warnt für diesen Abend vor schweren Gewittern in fast ganz Deutschland, aber eine erklecklich große Zahl von Menschen läßt sich nicht daran hindern, dem Ruf in die Leipziger Nikolaikirche zu folgen, wo das erste Konzert der aktuellen Europatour des Oregon State University Chamber Choir ansteht. Vor der Pandemie war der Chor schon mehrfach östlich des Atlantik unterwegs, aber die aktuelle Tour ist die erste nach der Pandemie, und da es sich um ein studentisches Ensemble mit entsprechender Fluktuation handelt, dürfte diese Tour für die meisten der Sänger die erste in der Alten Welt sein, freilich nicht für Chorleiter Steven M. Zielke, dem die gesamte Gesangsausbildung an der Oregon State University untersteht und der schon häufig on the road war. Der etwa 30-köpfige Chor – allesamt in Schwarz, die Herren zusätzlich mit orangefarbener Krawatte – steigt mit einem Jubilar des Jahres 2023 ins Programm ein: William Byrd, einer der maßgeblichen englischen Renaissancekomponisten, starb 1623. Zielke nimmt „Sing Joyfully“ sehr flüssig, so dass tatsächlich ein fröhlicher Eindruck entsteht, wenngleich vom Text wenig zu verstehen ist – das Ohr braucht etwas Zeit, um sich an die Soundverhältnisse in der Kirche zu gewöhnen, und so läuft noch einiges linienhaft ineinander, wenngleich die hohe Klangkultur schon hier auffällt. Dass das Ensemble die Verknüpfung von Alt und Neu prima bewältigen würde, ahnt man dann schon in Drew Collins’ Bearbeitung von Hildegard von Bingens „O Frondens Virga“, das gregorianisch anmutend anhebt, sehr behutsam aufgebaut wird, vor allem die Frauenstimmen viel Äther hinzugeben läßt und schrittweise immer stärker dramatisiert wird. Ab Mendelssohns „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ hat das Ohr dann auch die Soundverhältnisse durchdrungen, so dass man hier deutlich mehr Text versteht und den Studenten eine achtbare Leistung attestieren kann, was etwa die Aussprache des für Amerikaner immer problematischen ü angeht, wobei die Umsetzung dieser Nummer an diesem Abend generell viel Ruhe atmet. Anton Bruckners „Os justi“ wiederum macht die orgelregisterartige Klangschichtung sehr deutlich, und die Bässe agieren im richtigen Moment sehr raumgreifend. Für ein völlig andersartiges Highlight sorgt das schwedische Volkslied „Trilo“ im Arrangement von Bengt Ollen: Die Damen außer Altsolistin Jessica Beaver gehen nach hinten und erzeugen windartige Geräusche, greifen aber nur selten mit regulären Chorklängen ein, während die Herren links und rechts an den Wänden Vokalisen erzeugen, über denen sich die Altistin sehr bedächtig entwickelt, dirigiert übrigens nicht von Zielke, sondern von Steven Evans-Renteria, der ansonsten im Chor-Tenor singt und noch einige andere Sonderfunktionen ausübt. Das Stück endet mit so großer Spannung, dass es links außen jemand nicht aushält und schon zu klatschen beginnt, ehe die letzte Klangwoge gerollt kam. In „Esto Les Digo“ von Kinley Lange übernimmt Chailyn Luceroi das Dirigentenpult. Das eigenartig harmonisierte Stück lebt von seiner Laut-Leise-Dynamik und beinhaltet sehr gute weibliche Soli im Finale. „Warning To The Rich“ von Thomas Jenefelt bietet erneut ein sehr ideenreiches Arrangement: Der Chor artikuliert sich in einem Mix aus Vokalisen, Flüstern, Sprechen bis hin zum Gelächter, immer appellierender werdend, während Solist Paul Denison gekonnt die Rolle als Prediger ausfüllt, der den Text aus dem Jakobusbrief umsetzt. Die Spannung im Finale weiß auch hier nachhaltig zu beeindrucken, und diesmal klatscht niemand verfrüht. „Even When He Is Silent“ von Kim André Arnensen schließt den skandinavischen Teil des Programms mit einem brillanten Mix nordischer Kühle und aus dem Text sprechender Wärme des Vertrauens ab. Hatte der Chor schon bisher eine Reise um die halbe Welt unternommen und sich in etlichen weiteren Sprachen außer dem heimatlichen Englisch artikuliert, so setzt das Ensemble in der hinteren Programmhälfte noch etliches drauf, beginnend mit „Okro Mch’edlo“: Das von Carl Linch und Clayton Parr arrangierte Stück ist tatsächlich ein Protagonist der klassischen Vokalpolyphonie Georgiens und somit auch in dieser Sprache gehalten, die keinerlei Ähnlichkeiten zu einer anderen lebenden Sprache besitzt. „Die sind so vielseitig, ne?“ entfährt es der linken Nachbarin des Rezensenten nach diesem Stück, das von je fünf Damen und Herren gestaltet wird, eingeleitet von letzteren, etliche klassische Call-and-Response-Strukturen auffahrend, sehr dynamisch gehalten und, wie das in der georgischen Polyphonie so üblich ist, trotzdem alle auf den gleichen Schlußton mündend. Michael Barretts Arrangement von „Modimo“ hingegen ist in verschiedenen Zulu-Dialekten gehalten, der Chor gerät in Bewegung, stößt auch mal Juchzer aus, und das enorm frische Stück wird von zwei Percussionisten untermalt, nämlich Raymond Camancho und dem schon erwähnten Steven Evans-Renteria, die vor dem Chor sitzen, so dass das Ohr wieder ein wenig Zeit braucht, um sich auf die neuen Soundverhältnisse einzustellen. „Cántico de celebración“ von Leo Brouwer kommt zunächst wieder a cappella daher, besitzt einen flüssigen Grundbeat und bleibt doch im Ausdruck lange bedächtig, assoziiert also keine wilde Party – das ändert sich mit einem markanten Break, Maracas kommen zum Einsatz, und die Feierstimmung steigt stark an. Das Kontrastprogramm folgt auf dem Fuße: „Death Came A-Knockin’“ zeigt sich als klassischer Blues und lebt von den drei enorm starken Solistinnen Tia Leppert, Haley Flores und Chailyn Lucero, alle mit unterschiedlichen Stimmfärbungen ausgestattet. Grace Curran dominiert das eher bedächtige „Deep River“ solistisch hingegen vielleicht einen Deut zu stark – diesen einzigen kleinen Schwachpunkt des Konzertes (neben dem Aspekt, dass man Zielkes Ansagen schon in der zehnten Reihe, in der der Rezensent sitzt, nur noch schwer versteht) macht Sydney Guillaumes „Tchaka“ aber locker wett. Wundert man sich noch, dass der Komponist aus Oregon dem haitianischen Stück (in entsprechender Kreolsprache) möglicherweise einen etwas kontrollierteren Ton eingepflanzt haben könnte, so nimmt die Dynamik bald wieder recht wilde Züge an, bleibt allerdings abwechslungsreich und wechselt auch mal in großes Schwingen, bevor der Speedschluß enorm viel Energie transportiert und Steven Evans-Renteria nochmal herzhaft auf seine Drums einklöppeln darf. Das Multitalent ist dann in „Witness“ auch noch als Tenor-Solist gefragt, zusammen mit seinem Stimmkollegen Dylan Lewis und Bariton Jared Bowers, wobei hier besonders letzterer durch seine gekonnten Tonverschleifungen überzeugt, während die Tenöre lange Zeit recht gedeckt (und farblich hochinteressant, aber auch überdeckungsgefährdet) agieren, bis sich alles in einem strahlenden Finale auflöst. Viel Applaus und stehende Ovationen belohnen den Oregon State University Chamber Choir für dieses überwiegend sehr starke Konzert – eine Zugabe läßt sich Zielke aber nicht entlocken. „Schöne Stimmen“, ertönt es aus der Reihe vor dem Rezensenten, und dem ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Die Unwetter ziehen übrigens südlich und nördlich an Leipzig vorbei. Roland Ludwig |
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