Bach, J. S. (Bernhardt, V.)

Das Wohltemperierte Klavier – Teil 1


Info
Musikrichtung: Barock Cembalo

VÖ: 08.07.2020

(Caliope / Klassik Center Kassel / 2 CD / DDD 2019/ Best. Nr. CAL2070)

Gesamtspielzeit: 119:28



KERNIG UND VIRTUOS

Dass diese Einspielung von J. S. Bachs erstem Band des „Wohltemperierten Klaviers“ die erste auf einem Cembalo mit bassverstärkendem 16-Fuß-Register ist, macht sie sicherlich besonders interessant für alle Liebhaber historischer Tasteninstrumente. Darüber hinaus erweist sich der Interpret Vincent Bernhardt auch als überzeugender Gestalter.
Sein Spiel ist in der Phrasierung und Artikulation sehr klar, pointiert, mitunter auch etwas harsch – das Prädikat „feurig“, mit der die Aufnahme beworben wird, passt – und selbst bei den insgesamt flotten, manchmal rasanten Tempi sitzt jeder Ton. Mit dieser Präzision eröffnet sich Bernhardt Spielräume, um die unterschiedlichen Charaktere der Präludium und Fugen immer wieder aufs Neue prägnant heraus zu musizieren. Dem konzertant motorischen Schwung auf der einen Seite entspricht ein genaues Timing auf der anderen Seite; da werden dann auch die häufigen Generalpausenpausen zu kunstvoll gedehnten Spannungspunkten, bei denen die Musik – bzw. der Hörer – buchstäblich die Luft anhält, bevor Bachs unwiderstehliche harmonische und kontrapunktische Fortschreitungen in ihre nächste virtuose Runde gehen.

Spannend lesen sich Bernhardts Ausführungen im Booklet. Seine musikwissenschaftlichen Untersuchungen der Autographe und die Dekodierung der Verzierungszeichen werden unmittelbar in klingende Praxis überführt, ob es sich nun um differenziert ausgearbeitete Triller oder die oft kurz und knackig hingesetzten Schlussakkorde handelt (ohne Ritardandi): Das alles wird mit Bezug auf die bestehende Forschung vorgestellt, diskutiert und dann in der Ausführung undogmatisch und überzeugend präsentiert. Durch Bernhardts philologisch fundierten und zugleich musikantischen Ansatz kann sich der Zyklus bei allem Reichtum im Detail doch in großer Geschlossenheit präsentieren: als eine Klavier- und Kompositionsschule ersten Ranges – und ein packendes Hörvergnügen, dass der barocken Lust an Gegensätzen huldigt.

Und da kommt das famose Instrument ins Spiel, das sich an ein Modell von Christian Zell aus dem Jahr 1728 anlehnt und 2018 von Matthias Cramer gebaut wurde. Es hat vier Register; zu der üblichen Disposition mit zwei 8- und einem 4-Fuß-Register kommen noch ein 16-Fuß und ein Lautenzug. Bach hat solche Instrumente geschätzt und auch bei seinen Konzerten im Zimmermannschen Kaffeehaus in Leipzig stand ihm ein solch großes Instrument zur Verfügung.
Der Klang ist voll und reif, dabei von einer gewissen metallischen Brillanz und insgesamt obertöniger als bei den samtiger und dunkler timbrierten französischen Modellen – gewissermaßen etwas „herrisch“ und durchdringend und sicherlich für konzertierendes Musizieren im Ensemble bestens geeignet. Hört man Bachs Solo-Zyklus Nonstop, kann der Klang dieses Instruments durchaus auch anstrengend sein.
Das 16-Fuß-Register sorgt für ein starkes Fundament und verleiht den Stücken bei voller Registrierung eine sozusagen rustikale Majestät. Jedoch weiß der Interpret dabei die richtigen Akzente zu setzen und die „größere“ und „kleinere“ Besetzung in unterschiedlichen Kombinationen flexibel zu handhaben, um die nötigen Kontraste zu erzielen.
Bernhardt nutzt gleich die ersten Stücke, um daraus eine klingenden Visitenkarte seines Instruments zu machen, wobei ihm da besonders die beiden ersten Präludien entgegenkommen, die Bach ja fast ausschließlich aus Passagenwerk komponiert hat. Das sind nicht nur Lockerungsübungen für die Finger, sondern auch Klangfarbenstudien, die das Instrument in seinen Möglichkeiten vorstellen: Feingliedrig und silbrig tönt das C-Dur Präludium in der „normalen“ Registrierung, rauschhaft dunkel und kernig „rockt“ dagegen das Gegenstück in C-Moll. Elegant und schlank klingt die C-Dur-Fuge, mit orgelhafter Gravität trumpft die in C-Moll auf. Mitunter experimentiert Bernhardt mit „hohlen“ Registrierungen, wenn er das 16-Fuß-Register mit einem einzelnen 8- oder 4-Fuß-Register kombiniert – Vorbild sind hier die farbigen Registrierungen in der sächsischen Orgelmusik, deren Quellen Bernhardt, der wie weiland J. S. Bach auch Organist ist, inspiriert haben. Und auch der Lautenzug kommt einmal als gezupfte Bass-Stimme zum Einsatz.

Ein ausgewogenes und plastisches Klangbild rundet diese gelungene Einspielung ab. Bleibt nur zu hoffen, dass der 2. Teil des Wohltemperierten Klaviers in der gleichen Besetzung folgt!



Georg Henkel



Besetzung

Vincent Bernhardt, Cemablo


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