Männer, die auf Pferde starren: Nine Treasures mit Fisted Mister in Jena
Komplette Neulinge auf europäischen Bühnen sind Nine Treasures nicht – seit sie anno 2013 den chinesischen Vorausscheid des Wacken Metal Battle gewonnen haben und beim Festival selbst auf dem 2. Platz gelandet sind, hat manche Spürnase schon Witterung aufgenommen, und so stehen im Sommer 2017 wieder etliche Europagigs an. In Jena aber gastiert die Truppe an diesem warmen Sommerabend zum ersten Mal. Als Support fungieren Fisted Mister, eine noch relativ neue Zusammenrottung von Musikern der lokalen Szene. „Hercules Propaganda gibt’s dann also offenbar nicht mehr“, meint ein Anwesender – Fritze Hercules (welch Namenswahl!) steht nunmehr Fisted Mister vor und bekleidet dort die Jobs des Leadsängers sowie des Gitarristen. In Triobesetzung rocken sich die Herren durch einen kurzweiligen, allerdings wenig Langzeitgedächtniseinnistungsneigung zeigenden Set und spielen knochentrockenen Hardrock mit diversen Punk- und Rock’n’Roll-Elementen, der im Opener zwar durch diverses Gitarrengedröhn auch noch die Option offenläßt, in den Stonerrock abzudriften, diese letztlich aber nicht einlöst. Die Songs präsentieren sich zumeist sehr kompakt, entbehren allerdings trotzdem nicht eines gewissen Gehalts an Details und Feinheiten, und auch der Drummer, obwohl in der sowieso noch jungen, erst 2016 gegründeten Band das Küken mit exakt zwei Proben Fisted-Mister-Praxis, tut exakt das, wofür er da ist, wackelt nicht, spielt auch die gelegentlichen Breaks sauber und bekommt für diese gute Leistung einen Extra-Applaus. Der Infotext auf der Clubseite behauptet übrigens, die Musiker hätten sich zusammengefunden, „um Bier zu trinken und eine Band zu gründen“, aber die Reihenfolge ist zumindest anhand dessen, was an diesem Abend etwas zu laut, aber relativ klar aus den Boxen schallt, nicht zwingend auf die Ziele zu projizieren, wenngleich Fritze die Bierflasche durchaus auch schon mal während eines Solos über den Gitarrenhals sausen läßt. Das gefällt den Anwesenden in der kleinen Durchgangstonne des Rosenkellers, und so fordern sie eine Zugabe ein, die, da Fisted Mister keine weiteren Songs in der Hinterhand haben, aus der Wiederholung einer bereits gespielten Nummer besteht. „Mongolian Folk Metal from China“, wie sich Nine Treasures bezeichnen, ist kein Widerspruch in sich, wie der Kenner der geographischen und politischen Verhältnisse Innerasiens weiß: Es gibt die Äußere und die Innere Mongolei – erstere bezeichnet den heutigen Staat Mongolei (oder Mongolische Volksrepublik, wie wir seinerzeit in der Schule lernten – übrigens der zweite sozialistische Staat der Welt, zu dessen Ehren prompt eine markante Bergformation im Nordkaukasus benannt wurde), zweitgenannte ist heute die drittgrößte Provinz Chinas, und die genannten Bezeichnungen beziehen sich auf eine sinozentrische Sichtweise, also wo die beiden Areale aus Sicht von Peking liegen. Kulturell hängen Äußere und Innere Mongolei allerdings trotz der politischen Grenzziehung nach wie vor zusammen und haben logischerweise die gleichen kulturellen Wurzeln, die von Nine Treasures in ihrer Musik verarbeitet werden: Alle fünf Bandmitglieder stammen aus der Inneren Mongolei, leben mittlerweile allerdings in Peking. Drei Studioalben haben sie bisher veröffentlicht, die ersten beiden sind mittlerweile via Einheit Produktionen als mit Bonustracks versehene Re-Releases auch hierzulande regulär erhältlich und ermöglichen dem metallischen Volk Einblick in eine hochinteressante Kulturwelt – vom Originalitätsfaktor mal ganz abgesehen: Zwar kennt der DDR-sozialisierte Rockhörer Babylons „Dshigiten-Legende“, die bereits in den Mittsiebzigern ein Thema aus dem gleichen Kulturkreis behandelte, aber musikalisch fand die Umsetzung weitgehend mit den üblichen europäischen Rockstilmitteln statt. Nine Treasures dagegen verfügen ebenfalls über eine klassische Rockbesetzung aus Gitarre, Baß und Drums (der Gitarrist singt nebenbei auch noch, der Bassist steuert einige Backings bei), ergänzen diese allerdings um eine Balalaika und eine mongolische Pferdekopfgeige, deren Spieler gelegentlich auch noch eine Maultrommel beisteuert, die allerdings im Soundgewand dieses Abends eher schwer zu vernehmen ist, während der Soundmensch ansonsten das Kunststück fertigbringt, diese schwierige Mixtur doch mit relativer Klarheit abzumischen, so daß die Folkinstrumente zwar akustisch ein wenig hinter den Rockinstrumenten zurückstehen, ihre intendierte Wirkung aber trotzdem entfalten können. Die Frage ist nun wie immer bei solchen Mixturen: Funktioniert das? Die Antwort ist im Falle von Nine Treasures ein klares Ja. Die Pferdekopfgeige übernimmt im wesentlichen die Rolle der Leadgitarre, die Balalaika fungiert meist als zusätzliches Rhythmusinstrument, und der Baß agiert so weit unten, daß er diesen beiden akustisch nicht im Wege steht, trotzdem aber mit der Gitarre die angestrebte Rockeinheit ergibt. Vom Exotenfaktor mal abgesehen machen Nine Treasures also auch autonom betrachtet richtig gute Musik, zudem hochgradig wirkungsvolle, denn obwohl der Platz in der Tonne eher begrenzt ist, schaffen es die Besucher doch, das Tanzbein zu schwingen, ohne ihre Nachbarn niederzumähen, und auch einige Headbanger werden gesichtet. Im Zweifel bleibt das Publikum zunächst, wie die verbale Kommunikation ausfallen würde – die Band singt in Mongolisch, ergo ist nicht zwingend von Kenntnissen der englischen Sprache auszugehen. Zumindest in einer basischen Form beherrscht der Sänger selbige aber doch, stellt sich nach dem vierten Song heraus, als die erste Ansage kommt: Der Wortschatz ist nicht eben groß, aber er genügt, um das Band zwischen Musiker und Publikum noch ein Stück fester zu zurren und sogar eine knappe Erklärung der Pferdekopfgeige (samt akustischer Demonstration, wie man auf einer solchen das Wiehern eines Pferdes demonstriert – die Mongolei ist, wie der Zoologiehistoriker weiß, die Heimat von Equus przewalskii, also dem Przewalski-Wildpferd als dem Stammvater der heutigen Hauspferde) einzuflechten. Der Gesang ist übrigens eher im klaren bis nur leicht angerauhten Bereich anzusiedeln (nur die Backings des Bassers fallen etwas herber aus), und auch der metallische Anteil liegt eher im traditionellen Power-Metal-Bereich – ein markanter Unterschied zu den personell verbandelten Szeneheroen Tengger Cavalry, die in extremeren Metalspielarten arbeiteten. Nine Treasures dagegen haben auf ihrem Debütalbum Metallicas „For Whom The Bell Tolls“ in Originaltempo und -härte gecovert, und obwohl sie diese Nummer in Jena nicht live spielen, gibt ihre Grundausrichtung einen Eindruck von dem, was im Konzert zu hören ist, allerdings mit großer Vielschichtigkeit von der Ballade bis zum harten Kanten, alles aber immer tanzbar bleibend. Das Publikum nutzt diese Steilvorlagen gern und feiert die Band für ihren etwas über einstündigen Auftritt gehörig, so daß eine Zugabe Pflicht ist. Die heißt übersetzt „Black Horse“ (schon zuvor hatten etliche Songs Titel mit Pferden), fällt relativ episch-vielschichtig aus und enthält die einzigen extrem schnellen Stakkati des ganzen Sets, die wie einst Dschinghis Khans Heere über den Boden donnern, hier aber nicht Tod und Verderben, sondern Zufriedenheit beim Publikum bringen. Klasse Gig! Roland Ludwig |
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