Musik an sich


Reviews
Birth Control

Two Eggs; two Concerts


Info
Musikrichtung: Krautrock

VÖ: 28.06.2013 (1977/83)

(MiG / Intergroove)

Gesamtspielzeit: 156:49


Im Gegensatz zu vielen anderen Krautrock-Bands zählen Birth Control nicht zu den Lieblingen der Kritiker, auch in der verklärenden Rückschau nicht. Das von arte und dem Reclam-Verlag herausgegebene Rock-Lexikon Rock-Klassiker qualifiziert die Band, die mit „Gamma Ray“ immerhin einen der wichtigsten Hits der ganze Szene geliefert hat, in einem dahingeworfenen Nebensatz als „musikalische Katastrophe“ ab.

Das Label MiG ist da glücklicherweise etwas anders gestrickt und liefert uns zwei Momentaufnahmen von Birth Control, die – obwohl nur sechs Jahre zwischen ihnen liegen – einiges an musikgeschichtlicher Entwicklung deutlich machen. Allein ein erster äußerer Eindruck spricht Bände. Beide Konzerte nutzen die technisch mögliche Spielzeit einer CD fast optimal aus, bieten 1977 aber sechs und 1983 zwölf Titel. Das ausufernde Improvisieren der 70er galt 1983 nicht mehr.

Das 77er Konzert begann mit dem Titelsong des damals aktuellen Albums Backdoor Possibilities, das sich sehr progressiv gibt, und sowohl in Richtung Genesis, wie Richtung Jazz ausbaubar wäre, aber letztlich an einem herrlich groovenden (Hard) Rock festhalten wird. Sollte sich jemand aus dem Autoren-Kollektiv des o.g. Lexikons das Zusammenspiel von Feeling und Können allein in diesem Stück mit geöffneten Ohren zu Gemüte führen, dürfte er über die Vernünftigkeit seiner Teilhabe am besagten Lexikon in Zweifel geraten.
In den folgenden Stücken zeigen Birth Control, dass sie es sowohl ruhiger und emotionaler, wie auch abgefahren verwirrender drauf haben. Das massiv improvisierende „Meta Ventilator“, das nur live gespielt wurde und bislang offiziell kaum erhältlich war, spannt den Bogen von ELP-mäßigen Keyboards, bis zum instrumentalen Wahnsinn von Guru Guru oder Grobschnitt.
Ein tolles Konzert einer brillanten Band, die im Krautrock-Kontext zu den bodenständigsten Bands gehörte, ohne abgefahrene Ideen in irgendeiner Weise zurückzuweisen.

Das Progressive hat die Zeit der Band wohl etwas ausgetrieben. 1983 besinnen sich Birth Control wesentlich deutlicher auf ihre Hard Rock-Wurzeln. Knackige Rocker mit viel Orgel-Sounds, groovende Boogies und gefühlvolle Balladen bestimmen das von wesentlich kompakteren Darbietungen geprägte Konzert in der Hamburger Fabrik.
Damit begeben sich Birth Control, denen das Lebensrecht in der Krautrock-Szene immer wieder bestritten wurde, noch einmal deutlicher in den Bereich des „normalen“ (Hard)-Rock Geschäfts. Schlechter ist das nur, wenn man mit der ideologischen Krautrock-Brille herumläuft.
Und immerhin haben Birth Control hier ihren größten Klassiker am Start, der bei dem 77er Konzert fast schmerzhaft fehlt. „Gamma Ray“ kommt hier etwas anders arrangiert, aber mit wilden Solo-Improvisationen, die Birth Control fest in einer Liga mit Grobschnitt und Guru Guru verankern.

Der MiG-Release kommt im aufklappbaren Digi-Pack mit knappen Liner Notes.



Norbert von Fransecky



Trackliste
CD 1: Stadthalle Korbach, 1. Mai 1977
1 Backdoor Possibilities (10:46)
2 My Mind (7:34)
3 Behind grey Walls (6:45)
4 Meta Ventilator (22:37)
5 Fall down (4:08)
6 The Work is done (25:01)

CD 2: Fabrik Hamburg, 24. März 1983
1 The Work is done (5:14)
2 Don't call me up (5:36)
3 Nuclear Reactor (6:40)
4 Take Alarm (7:30)
5 Greedy Eyes (5:40)
6 The Day of Doom is coming (9:03)
7 The King of an Island (7:11)
8 Pick on me (9:15)
9 Gamma Ray (15:25)
10 Get down to your Fate (2:19)
11 Hoodoo Man (2:30)
12 Stop little Lady (3:27)
Besetzung

Bernd Loske (Dr, Lead Voc)
Bruno Frenzel (Git, Lead Voc <1983>, Back Voc)
Stefan Linke (Git <1983>, Lead Voc <1983>, Back Voc <1983>)
Zeus B. Held (Keys <1977>, Back Voc <1977>)
Ulrich Klein (Keys <1983>)
Horst Stachelhaus (B <1977>, Back Voc <1977>)
Jürgen Goldschmidt (B <1983>, Back Voc <1983>)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>