Napalm Death
Utilitarian
|
|
|
Der Rezensent präferiert im härteren Bereich zwar den etwas melodischeren Sektor, aber die eine oder andere Grind-Scheibe steht hier auch im Regal, um gelegentlich hervorgeholt und zum Durchpusten der Gehörgänge genutzt zu werden. Wenn es sich dann nicht um puren Lärm, sondern um strukturierte Aggression handelt, kommt noch ein Interessefaktor hinzu, und dafür bieten Napalm Death eine prima Voraussetzung. Im bisher durchgehörten Teil der Kollektion stehen der 1988er Früh-Klassiker From Enslavement To Obliteration, das 2005er Werk The Code Is Red... Long Live The Code und das trotz seines Titels offizielle Livealbum Bootlegged In Japan aus dem Jahr 1998, das einen bunten Strauß der frühen Klassikernummern enthält, natürlich inclusive des legendären Zweisekünders „You Suffer“.
Nun gesellt sich Utilitarian hinzu, original 2012 erschienen und 2021 als offenbar songtechnisch identischer Re-Release noch einmal auf den Markt geworfen – dass die Encyclopedia Metallum auch eine 9-Track-Variante für den Erstrelease angibt, dürfte ein Fehler sein, da das gerade mal reichlich die Hälfte der 2021er Platte wäre. Deren 16 Nummern enthalten zudem zumindest für den Rezensenten, der zahlreiche weitere Napalm-Death-Alben nicht besitzt, eine größere Handvoll Überraschungen.
Das geht gleich mit dem instrumentalen Intro „Circumspect“ los – Napalm Death mit bombastischem Arrangement (sind das im Hintergrund sogar Keyboards?) und halbcleanen Gitarren hat zumindest der Rezensent noch nie gehört, und wüßte man nicht, um welche Band es hier geht, könnte danach noch fast jede Sorte von Metalalbum losbrechen. „Errors In The Signals“ positioniert sich dann erstmal in der Schnittmenge zwischen Grindcore und Death Metal, ehe „Everyday Pox“ mit einem abermaligen fast melodicrockkompatiblen Gitarrenlauf und dem Gastmusiker für Vielfalt sorgt: Kein Geringerer als John Zorn steuerte hier Saxophonparts bei, die natürlich nichts mit dem Einsatz dieses Instrumentes meinetwegen bei Foreigner oder Gerry Rafferty zu tun haben, sondern avantgardistische Geräusche transportieren, die aber trotzdem als saxophonerzeugt wahrnehmbar bleiben. Die nächste Überraschung lauert an Nr. 5: In „The Wolf I Feed“ singt zwischendurch jemand clean. Ob das Barney Greenway ist oder die ebenfalls an den Vocals beteiligten Shane Embury oder Mitch Harris, bleibt unklar, aber jedenfalls paßt der Gesang prima als Auflockerung ins zwischenzeitlich etwas heftigere Getrümmer. Aber die britisch-amerikanische Freundschaft weiß immer noch eins draufzusetzen: „Fall On Their Swords“ an Position 7 klingt nicht nur wie ein traditionsmetallischer Songtitel, der Song nimmt zwischenzeitlich auch markant Tempo heraus und baut einen schicksalhaften großen Chorgesang ein, den man von jeder Epic-Metal-Band hätte erwarten können, aber wohl kaum von Napalm Death. Weil der Band dieses Stilmittel so gut gefallen hat, wendet sie es in „Blank Look About Face“ und in „Leper Colony“ gleich nochmal an. Da mutet das für Genreverhältnisse schon fast zurückhaltende helle Shouting in „Orders Of Magnitude“ schon fast gewöhnlich an, auch wenn es im Verlaufe dieses Songs immer extremer wird und letztlich auch blackmetalkompatibel wäre. Punkrock dagegen gehört schon seit jeher zu den Grundsubstanzen des Grindcore, und so verwundert es nicht, dass das Quartett auch auf Utilitarian die eine oder andere extremere Ausprägung dieses Stils pflegt, etwa in „Collision Course“. Generell bleibt allerdings festzuhalten, dass unter den dem Rezensenten bekannten Napalm-Death-Platten Utilitarian die klar langsamste ist, was freilich relativ zu betrachten bleibt, da es einerseits mit Songs wie „Think Tank Trials“ immer noch Nummern gibt, in denen Danny Herrera so viele Schläge setzt wie eine Doomband auf einem ganzen Album, und andererseits auch eine derart „langsame“ Napalm-Death-Platte immer noch schneller ausfällt als 99,999% aller anderen Releases im harten Sektor. Für pure Geschwindigkeitsfanatiker und Menschen, die den Sound einer vielbefahrenen Eisenbahnstrecke mögen, ist bei Utilitarian trotzdem Vorsicht geboten, während alle, die im Grind Vielfalt zu schätzen wissen, hier auf ihre Kosten kommen werden.
Auffällig ist die Struktur des Albums: Wer die Nennung der Songnumerierung bisher verfolgt hat, wird feststellen, dass die Songs mit ungewöhnlichen Elementen an den ungeraden Positionen stehen. Das ändert sich erst mit „Leper Colony“ an Position 12, das wie erwähnt die tiefen Männerchöre auffährt, die man auch direkt vorher in „Blank Look About Face“ an Position 11 schon gehört hat. An Position 13 hingegen kommt „Nom De Guerre“, nach dem verzerrten Vokaleinsatz klassischen Grind auffahrend und mit nur knapp über einer Minute Länge auch eine für solchen typische Spielzeit aufweisend. Aber auch „Analysis Paralysis“ bleibt trotz verdreifachter Spielzeit im traditionellen Grind, von einem Break mit auffällig verhallten Gitarren abgesehen, und „Opposites Repellent“ geht in Spielzeit wie Stil dann wieder ganz weit zurück. „A Gag Reflex“, ein paar schwedisch-deathig anmutende Gitarren einschmuggelnd, schließt ein zumindest den Rezensenten musikalisch ziemlich überrascht habendes bärenstarkes Album ab, das in puncto Lyrics (viel Kapitalismuskritik) und Artwork (dazu passend, konsequent schwarz-weiß bis auf das gelbe Bandlogo auf dem Cover) hingegen auf angestammtem Territorium bleibt.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Circumspect | 2:17 |
2 | Errors In The Signals | 3:02 |
3 | Everyday Pox | 2:12 |
4 | Protection Racket | 4:00 |
5 | The Wolf I Feed | 2:57 |
6 | Quarantined | 2:47 |
7 | Fall On Their Swords | 3:57 |
8 | Collision Course | 3:14 |
9 | Orders Of Magnitude | 3:21 |
10 | Think Tank Trials | 2:27 |
11 | Blank Look About Face | 3:12 |
12 | Leper Colony | 3:23 |
13 | Nom De Guerre | 1:07 |
14 | Analysis Paralysis | 3:23 |
15 | Opposites Repellent | 1:22 |
16 | A Gag Reflex | 3:30 |
|
|
|
|
|
Besetzung |
Barney Greenway (Voc)
Mitch Harris (Git, Voc)
Shane Embury (B, Voc)
Danny Herrera (Dr)
|
|
|
|