Lully, J.-B. (Sardelli, F. M.)

Acis et Galatée


Info
Musikrichtung: Barock / Oper

VÖ: 19.05.2023

(Dynamics / Naxos / DVD / 2022 / Dynamics 37971)

Gesamtspielzeit: 112:00



DURCHWACHSEN

Die Aufführung von Werken Jean-Baptiste Lullys außerhalb von Frankreich sind noch immer etwas Besonderes – und in Italien eine absolute Rarität. Dabei wurde Lully in Florenz 1632 als Giovanni-Battista Lulli geboren. Dass er später in Frankreich eine einzigartige Karriere als Hofmusiker machte, ein Alternativmodell zur italienischen Oper kreierte und schließlich französischer Staatsbürger wurde, hat seine italienische Herkunft weitgehend verblassen lassen.
Um diese zu erinnern, so der Dirigent Federico Maria Sardelli, gehöre Lully auch in seine alte Heimat. Und so hat er Lullys letzte vollendete Oper, das heroische Ballett "Acis et Galatée" von 1686, im Teatro del Maggio Musicale Fiorentino auf die Bühne gebracht. Ein Werk also, dass etwas "leichter", zumindest übersichtlicher ist als eine der großen Musiktragödien. Hier mischen sich Ernst und Humor, Tanz, Gesang und Spiel auf charmante Weise, wobei die musikalischen Reize keineswegs zu kurz kommen.

Das Orchester spielt auf „Original-Instrumenten“ historisch informiert. Was auffällt, ist der straffe, rhythmisch skandierende Ansatz sowie der scharf, mitunter säuerlich timbrierte, eher einfarbige und nicht immer ganz intonationssaubere Klang. Die prägnante Phrasierung, die die deklamatorischen wie tanzlustigen Wurzeln der französischen Oper fast schon etwas übertrieben evoziert, ist ein Markenzeichen dieser Interpretation. Da passt es, dass Sardelli mit einem barocken Tambourstab gelegentlich den Takt schlägt und sogar perkussiv mitstampft (eine Praxis, für die es keine wirklichen historischen Belege gibt).
Vor allem die Tänze profitieren vom raschen Puls und entwickeln einen gehörigen Schmiss, während der Gesang durch die hüpfende Phrasierung etwas unruhig kontrapunktiert wird. Aber möglicherweise sind die Interpreten damit näher an den historischen Tatsachen als andere Einspielungen, die die Linien weicher zeichnen. Es ist am Ende sicher auch Geschmacksache.

Geschmacksache ist auch die Inszenierung: Dafür hat der Experte Benjamin Lazar zusammen Elizabeth Calleo die barocke Gestik und Choreografie wiederbelebt, erzählt damit die Geschichte auch genau so, wie sie im Libretto steht, ohne doppelten Regietheater-Boden: Verliebte Paare, ein eifersüchtiger einäugiger Rivale mit Riesenkräften, Drama und Komik, eine tragische Wendung und am Ende natürlich die unverzichtbare Heldenapotheose – das alles wird mit einfachen Mitteln in Szene gesetzt. Die Kostüme zitieren barocke Konventionen mit modernen Materialien, eine Art Straßentheater-Varieteé-Comic-Look in einer Waldkulisse mit durchaus parodistischen Zügen, wie man am "Teppich-und-Fell-Reste"-Mantel der Diana oder dem zotteligen Manga-Monster-Look des Polyphem sehen kann. Leider wirkt das Ganze auch etwas "aus dem Fundus" und zusammen mit der geziert-pathetische Gestik oft auch unfreiwillig komisch.

Sängerisch ist das Ganze durchwachsen: Ziemlich viel Licht gibt es bei den Damen, bei denen die aparte Galatée der Elena Harsányi stimmlich ebenso überzeugt wie Valeria da Grotta oder Francesca Lombardi Mazulli in der Rolle ihrer Gefährtinnen oder diverser Göttinnen. Bei den Herren setzt Luigi De Donato als Polyphem mit variabler Bassbartionstimme kräftige Akzente. Dagegen mühen sich die Herren in hoher Tenorlage, insbesondere der Sänger des Acis, Jean-François Lombard, dessen Register unausgewogen sind. Nach einem noch adäquaten Beginn scheint er wegen der plötzlich krähenden Höhen wie mit zwei Stimmen zu singen. Sebastian Monti neigt in der Höhe hingegen zu einer schluchzenden Tongebung. Der unsichtbare Chor macht seine Sache gut.

Alles in allem ein nur teilweise überzeugender Beitrag zur Lully-Diskographie und -Aufführungspraxis, der beim Orchesterklang zwar Akzente setzt und im zugespitzten höfisch-französischen Ton ein gewisses italienisches Temperament entdeckt, sängerisch aber gerade bei der männlichen Hauptrolle nicht befriedigt.



Georg Henkel



Besetzung

Jean-François Lombard, Elena Harsányi, Valeria La Grotta, Francesca Lombardi Mazzulli, Markus van Arsdale u. a.

Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino

Federico Maria Sardelli, Leitung



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>