Uraufführung des desinfizierten Phönix: Mnozil Brass im Leipziger Gewandhaus
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Künstler: Mnozil Brass
Zeit: 01.06.2022
Ort: Leipzig, Gewandhaus, Großer Saal
Fotograf: Daniela Matejschak (Bandfoto)
Internet: http://www.mnozilbrass.at
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„Pandaemonium“ hätte das 2020er Tourmotto von Mnozil Brass lauten sollen, aber dann öffnete sich die Büchse der Pandora und setzte ein gewisses Virus frei, so dass die Tour in jenem Jahr nicht stattfinden konnte und somit auch der in selbige integrierte Gig im Leipziger Gewandhaus nicht. Der Ersatztermin anno 2021 fiel ebenfalls der pandemischen Lage zum Opfer, aber der Ersatztermin des Ersatztermins kann nun 2022 endlich stattfinden – allerdings hat sich das Tourmotto geändert. „Pandaemonium“ fanden die Musiker nicht mehr ganz so passend, sind sie als Freischaffende doch ebenjenem mit gewisser Mühe entronnen und wollten daher lieber etwas Positiveres (außer gewissen Tests natürlich). Sie entschieden sich für „Phönix“, damit in konstruktiver Weise assoziierend, dass sich die Kulturwelt nunmehr im Stile besagten Vogels wieder aus der Asche erheben möge und Mnozil Brass vornedran.
Das Publikum im gut gefüllten Großen Saal des Leipziger Gewandhauses ist offensichtlich ganz ähnlicher Meinung und von Anfang an gut gelaunt – obwohl die sieben Blechbläser die ersten Minuten gar keine Musik machen, sondern mit einer Schauspieleinlage loslegen, für die die Pandemie und die Hygienemaßnahmen einen passenden Rahmen abgeben. Bioschutzanzüge und Desinfektionsmethoden von Instrumenten spielen eine Rolle, und wir lernen, dass Blechbläser in der Lage sind, Desinfektionsmittel in ähnlicher Weise einzusetzen wie weiland von einem gewissen verstrahlten US-Präsidenten propagiert, wobei es sich bei Mnozil Brass natürlich um eine Substanz mit gewissem Alkoholgehalt handelt. Die erfolgreich Desinfizierten greifen dann schrittweise zu ihren Blechblasinstrumenten, und es gibt endlich auch Musik zu hören, wobei schon das erste Stück mit seinem wüsten Mix aus „Ave Maria“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ klarmacht, dass sich bei den sieben Österreichern im positiven Sinne nichts verändert hat – sie verwursten alles, was sich irgendwie für komödiantisch angehauchte Blechbläsermusik eignet und nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dabei fällt im Set auf, dass sie diesmal noch stärker als bei den beiden bisherigen Konzerterlebnissen des Rezensenten anno 2004 bzw. 2016 auf große Medleys setzen und nur sehr wenige Einzelsongs spielen. Das Ganze geht mit musikalischen und/oder schauspielerischen Einlagen dann auch atmosphärisch nahezu komplett durch und kommt mit einer Ausnahme komplett ohne Ansagen aus, nachdem schon 2016 nur wenige solche getätigt worden waren und diese zumeist auch noch in einem barbarischen Spanisch, was ihren praktischen Nutzwert ad absurdum geführt hatte.
Mnozil Brass stehen anno 2022 im 30. Jahr ihrer Existenz – ob das der Grund war, das Spektrum diesmal noch weiter nach außen zu rücken, müssen andere Menschen entscheiden. Schon länger bekannt ist, dass es sich bei dem Septett auch um ausgezeichnete Sänger handelt, wenn man sich beispielsweise mal an ihre auch auf der „Seven“-DVD festgehaltene Fassung von „Bohemian Rhapsody“ aus dem frühen 21. Jahrhundert erinnert. Diesmal gibt es gleich mehrfach A-Cappella-Nummern, bisweilen tatsächlich mal nur ein Song, bisweilen aber auch hier wüste Mixturen, wozu dann etwa die Schauspieleinlage einer katholischen Chorprobe mitsamt Selbstkasteiung paßt, wo aus der Requiem-Sequenz „Pie Jesu“ schrittweise populäres Liedgut über Beischlaf und andere irdische Vergnügungen wird. Erstklassig agiert auch Posaunist Zoltán Kiss in seiner Rolle als Gangstarapper, nur echt mit dicker Goldkette, die dann in einem zirkusreifen Wurf auf seinen Instrumentenkollegen (und bandinternen Zahlmeister) Gerhard Füßl übergeht. Neu, zumindest für den Rezensenten, ist allerdings die Ausdehnung der Instrumentenpalette gen Holz seitens der Trompeter Robert Rother und Roman Rindberger, die in je einer Nummer zur Sopraninoflöte respektive zur Rauschpfeife greifen und damit eine reizvolle Erweiterung der Klangfarbenpalette liefern, ohne dass man freilich das Gefühl hätte, die reinen Blechbläsernummern, die summiert nach wie vor den Löwenanteil im Set stellen, hätten ihren Reiz verloren – ganz im Gegenteil: Gerade die Medleys geraten zum lustigen Melodieerinnerungsversuch (danke für Mussorgskis „Gnomus“!), und dass dem Septett spieltechnisch niemand etwas vormacht, ist sowieso klar. Aber auch hier gibt es noch einen Gleicheren unter den Gleichen, wie auch das Bandinfoblatt schon publik macht: „Ein beliebtes Spiel in der Gruppe ist, Zoltan ganz verteufelt schwere Noten auf’s Pult zu legen und zu schauen, ob er’s spielen kann. Und er kann! Und wie!! Er hat eine Technik auf der Posaune, die uns immer wieder verblüfft. Bandintern laufen bereits Wetten, wer als erster etwas schreibt, was für ihn nicht mehr spielbar ist. Je höher und tiefer, je lauter und leiser, je schnell und noch schneller es dahingeht, umso lieber ist es ihm.“ Und das bestätigt der gebürtige Ungar im Konzert auch ein ums andere Mal und entlockt seiner Posaune nicht selten Töne, die man nicht unbedingt mit diesem Instrument in Verbindung bringen würde, auf sowohl humoristische als auch ganz ernstgemeinte Weise. Das ist der markante Unterschied zu 90% der kompositorischen Neutöner der zweiten Hälfte des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts, deren Suche nach alternativen Geräuschen, die mit Musikinstrumenten zu erzeugen sind, nicht selten eher verkrampft anmutet und von Mnozil Brass in der saukomischen Nummer „Uraufführung“ gekonnt parodiert wird – und das von Thomas Gansch ins Publikum gerufene Titelwort stellt die oben erwähnte einzige Ansage des Sets dar. Apropos Thomas Gansch: Der Cheftrompeter stellt nicht nur mit seinem Bewegungsdrang, seiner roten Latzhose und seiner Spezialbautrompete mit Knick im Trichteransatz neben Zoltán den Paradiesvogel der Formation dar, sondern ist seinem Ziel, den Haarwuchs der anderen Bandmitglieder zu sich zu transferieren, auch wieder ein Stück nähergekommen ...
So entspinnen sich zwei Stunden Blechbläser-Comedy höchsten Ranges, wobei im Gegensatz zu 2016, als dem Programm nach hinten heraus ein wenig der Drive verlorengegangen war, die 2022er Variante diesbezüglich ausgewogener konzipiert ist, und das zirkusreife Kunststück von Leonhard Paul als erste Zugabe (er spielt mit seinen vier Gliedmaßen vier Instrumente, die ihm von seinen Kollegen hingehalten werden, während ein fünfter ihm letztlich noch den Stuhl unterm Hintern wegzieht) wird immer noch bedächtig, aber nicht ganz so langatmig eingeleitet. Mit dem A-Cappella-Stück „Abends will ich schlafen gehn“ entlassen Mnozil Brass ein zu Recht begeistertes Publikum. „Amazing, absolutely amazing“, meint der amerikanische Austauschstudent auf dem Platz rechts neben dem Rezensenten, der das Septett an diesem Abend auch zum dritten Mal erlebt, wobei seine ersten beiden Male allerdings in Frankfurt und in Denver, Colorado stattfanden. Recht hat er!
Roland Ludwig
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