Melissa Etheridge live in der Meistersingerhalle Nürnberg
Melissa Etheridge ist ein Phänomen aus meiner Jugendzeit. Damals gab es fast jedes Wochenende in unserer Region sogenannte „Cover-Bands“, die in regelmäßigen Abständen auf diversen Veranstaltungen zu sehen waren. Jede Coverband hatte eine weibliche Sängerin, die dann mit großer Wahrscheinlichkeit das Stück „Like The Way I Do“ gespielt hat. Hier waren die weiblichen Gäste meist ziemlich angetan und bewegten sich tanzend vor der Bühne. Nach wie vor finde ich die Stimme von Melissa Etheridge einzigartig, mittlerweile kenne ich noch mehr von ihrem Repertoire. Eigentlich wollte ich mir bereits 2020 das Konzert anschauen, das nun mit zweijähriger coronabedingter Verspätung endlich nachgeholt werden kann. Vor der Meistersingerhalle tummeln sich schon viele Fans die sich freuen, wieder ein Konzert ihrer Lieblingskünstlerin sehen zu können. Die Meistersingerhalle in Nürnberg ist für mich ein Geheimtipp. Die Halle hat ein sehr vornehmes Ambiente und ideal für Konzerte. Sie bietet für jeden Gast eine tolle Sicht auf die Bühne und die Akustik ist vom Allerfeinsten. Melissa Etheridge lässt nicht lange bitten. Eine Vorband gibt es nicht, um 20 Uhr kommt die sympathische Amerikanerin ohne Intro oder sonstige Schnörkel auf die Bühne. Dabei hat sie neben ihrer Band als Begleitung ihre Akustikgitarre, mit der sie gleich von Beginn an richtig loslegt. Ganz im Stil eines Pete Townshend weiß sie ganz genau, dass man eine Akustikgitarre genauso massiv einsetzen kann wie eine E-Gitarre. „Ain’t It Heavy“ eröffnet den Abend, der keine Wünsche offenlässt. Der erste Song ist gerade angelaufen, als sich etwas ereignet, das ich so noch nicht bei einem bestuhlten Live-Konzert gesehen habe. Das Publikum erhebt sich komplett von den Sitzen und die Party beginnt. Etheridge hat durch ihre Power und ihre Art, mit dem Publikum zu agieren und Gitarre zu spielen, im Handumdrehen den ganzen Saal im Griff. Sie begrüßt das Publikum nach dem zweiten Stück mit dem Satz „Hello Nürnberg – thank you for waiting two years“, was mit Szenenapplaus bedacht wird. Die Verbindung zu ihren Fans ist spürbar. Der Zahn der Zeit scheint ihrer Stimme nichts anzuhaben. Es schmirgelt, es rockt, es röhrt – die Frau hat definitiv ein eindrucksvolles Rock-Organ, das sie sehr variabel einsetzen kann. Die Setlist besteht aus einer gelungenen Auswahl von älteren und neueren Stücken. Wobei man sagen muss, dass die neuen Stücke des Albums One Way Out so neu nicht sind. Einige davon sind alte Demos oder Stücke, die es bis jetzt nicht auf ein Album geschafft haben. Hier ist für mich kein Qualitätsverlust festzustellen. Alle Stücke werden von Etheridge und ihrer hervorragend aufspielenden Begleitband mit derselben Begeisterung zelebriert. Vor allem das neue Stück „As Cool As You Try“ kommt sehr gut an und klingt live noch besser als die Studio-Version. Dabei wechseln sich richtig krachige Rocker mit Gänsehautballaden ab. Etheridge spielt einen Großteil der Solos selbst. Sie hat einen ziemlich großen „Fuhrpark“ an Gitarren, der einige ziemlich ausgefallen E-Gitarrenmodelle umfasst. Was mir super gefällt: Hier werden nicht einfach nur Gitarren zur Schau gestellt, sondern der entsprechende Sound wird passgenau für den jeweiligen Song ausgesucht. Dass die Dame ihr Handwerk beherrscht, merkt jeder der sie einmal live gesehen hat. Selbst eine 12-saitige Akustikgitarre packt sie hin und wieder aus, der Effekt ist nahezu magisch. Dabei beschränkt sich Die Zeit vergeht dabei wie im Flug, das Konzert ist äußerst kurzweilig und total unterhaltsam. Nun kommt, was kommen muss. Mittlerweile hat man Durst und der wird mit einer beeindruckenden Version ihres Hits „Bring Me Some Water“ auf jeden Fall gestillt. Etheridge nutzt die Bühne in ihrer ganzen Breite und bedankt sich dabei ausgiebig bei ihren Fans. Die größte Überraschung ist für mich ihr wohl größter Hit „Like The Way I Do“. Dieser wird nicht in der bekannten Studio-Variante präsentiert, sondern richtig ordentlich zerpflückt, mit einigen Solos garniert und ist zwischendrin fast nicht mehr wiederzuerkennen. So etwas muss man sich auch erst mal trauen, für Etheridge ist das kein Problem. Diese Frau ist eine Vollblutmusikerin, die immer wieder neue musikalische Herausforderungen braucht. Das zeigt sich auch in ihrer Setlist, die sie teilweise Abend für Abend variiert. Wo sieht man das heutzutage noch? Danach und nach 120 Minuten ist endgültig Schluss. Etheridge und ihre Band verabschieden sich vom faszinierten Nürnberger Publikum, das die Musiker minutenlang feiert und mit großer Sicherheit einen hochkalorischen musikalischen Leckerbissen präsentiert bekommen hat. Stefan Graßl |
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