Odyssee durch die Welten des Klangmulms: Symphony X mit Savage Messiah in Dresden
Am Mittwochabend vor Himmelfahrt begibt sich offenbar die komplette in Deutschland ansässige polnische Gemeinde in die Heimat – dementsprechend dicht gefüllt ist die A4, und der Rezensent freut sich, dass er „nur“ vom Nossener Dreieck bis Dresden mit dem zähflüssigen bis sich stauenden Verkehr zu kämpfen hat und nicht die reichlich 100 Kilometer um Dresden herum bis Görlitz auch noch, auf denen es dem Verkehrsfunk gemäß ähnlich zugeht. Trotzdem reichen auch die 30 Kilometer vor Dresden, um sein komplettes Zeitpolster aufzufressen – als er sein Gefährt unterhalb der Kirche Dresden-Altbriesnitz abstellt, schlägt es vom Kirchturm gerade acht, was auch die angekündigte Startzeit des Konzertes im Beatpol ist. Bis er in jener Location ankommt, dauert es noch ein paar Minuten, und so spielen Savage Messiah bei seinem Eintreffen bereits ihren, wie sich herausstellt, zweiten Song, nämlich „Heretic In The Modern World“. Der Rezensent glaubt sich düster an irgendeines ihrer Frühwerke zu erinnern, ist mit dem jüngeren Schaffen von Bandkopf Dave Silver jedoch nicht vertraut – letzteres stellt naturgemäß allerdings das Gros des Sets. Problem: Die Qualitäten des Materials lassen sich unter den Soundverhältnissen dieses Abends allenfalls erahnen. Der Beatpol, den der Rezensent an diesem Abend zum ersten Mal besucht, entpuppt sich als Saal eines historischen Vorstadtgasthofes, irre hoch (nur echt mit riesiger Deckenkartusche) und irre schwer zu beschallen, da sich bei Überschreiten eines gewissen Lautstärkepegels und/oder einer gewissen Signaldichte sofort ein starkes Dominieren eines Grundgeräuschs einstellt, und das ist bei Hardcore oder Punk vielleicht nicht so das große Problem, bei melodischem Power Metal, wie ihn Savage Messiah spielen, aber schon. Der Soundmensch gibt sein Bestes und dreht die Anlage wohlweislich auch nicht sonderlich laut auf, aber ein halbwegs klares Bild ergibt sich nur in der Ballade „The Lights Are Going Out“, die prompt zu einem der Höhepunkte des Sets gerät, allerdings auch soundunabhängig ein gutes emotionales Händchen des Quintetts verrät. Nanu, Quintett? Ja, es ist links hinten ein – freilich kaum je zu hörender – Keyboarder dabei, obwohl die offizielle Bandbesetzung nur ein Quartett darstellt, aktuell mit neuem Leadgitarristen und neuem Drummer übrigens. Soweit man das unter den gegebenen Verhältnissen einschätzen kann, sind die beiden spieltechnisch gut integriert – zumindest die Leadgitarren lassen sich ähnlich messerscharf durchhören wie die Leadvocals, was angesichts der sonst eher mulmigen Verhältnisse noch stärker verwundert. Selbige Leadgitarren teilen sich Silver und sein neuer Sidekick, und der Chef liefert dazu auch eine starke Gesangsleistung im halbhohen bis hohen Bereich ab, wobei er weiter oben bisweilen leicht an Andi Deris erinnert. Auch die Spielfreude stimmt durchaus positiv, und obwohl Savage Messiah nichts prinzipiell Neues bieten, so läßt sich ihr melodienlastiger Metal, der gelegentlich an eine härtere Version von Axxis gemahnt, doch prinzipiell gut verdauen. Dass das Cover „Parachute“, original eine alte Countrynummer, durchaus keine herausgehobene Stellung im Material einnimmt, spricht jedenfalls für die Qualitäten der Eigenkompositionen. Im Intro von „The Fateful Dark“ zitieren Savage Messiah mal kurz Metallica, und diese ältere und überwiegend schleppende Nummer gerät zu einem der Highlights des Sets, befeuert nicht zuletzt dadurch, dass hier die Schlagzahl wieder einen etwas besseren Sound zuläßt. Auch die bisher eher laue Stimmung im Publikum steigt sprunghaft an und wird mit dem Setcloser „Down And Out“ auf hohem Niveau gehalten, in dem besonders der hymnische und mal mit hörbaren Keyboards durchwirkte Mittelteil überzeugt, wobei auffällt, dass der Keyboarder zwischendurch, wenn er planmäßig mal nichts zu tun hat, hinter seiner Tastatur Luftgitarre (!) spielt. Theoretisch also ein starker Gig der Briten, gäbe es da die beschriebenen praktischen Probleme nicht. Setlist Savage Messiah: Virtue Signal Heretic In The Modern World The Bitter Truth The Lights Are Going Out Under No Illusions What Dreams May Come Parachute The Fateful Dark Down And Out Dass die beschriebenen akustischen Gegebenheiten auch Auswirkungen auf den Gig von Symphony X haben würden, konnte sich der geneigte Progfan schon vorab an seinen zwölf Fingern abzählen, und der Beweis für diese These läßt nicht lange auf sich warten: Die Amerikaner eröffnen ihren Set mit „Iconoclast“, und dort haben Michael Romeo und Mike LePond nach dem orchestralen und choralen Intro über längere Strecken ein filigran gewebtes Geflecht auf ihren Saiteninstrumenten zu inszenieren – man sieht sie das auch spielen, aber aus den Boxen dringt kein filigran gewebtes Geflecht, sondern eine Art grobe Leinwand, zumal der Soundmensch (ein anderer als bei Savage Messiah, auch über ein anderes Pult arbeitend) den Fehler begeht, die Lautstärke gegenüber dem Supportact zu verdoppeln, was die Grundgeräuschdichte markant erhöht und dafür die Detaildurchhörbarkeit markant senkt, was natürlich schade ist, da es bei Symphony X bekanntlich nicht zuletzt auf die Details ankommt. Wenigstens bemüht sich der Soundmensch, zumindest die Solisten herauszuheben und auch Russell Allens Gesang durchgängig in den Vordergrund zu stellen – besonders letztgenanntes ein weises Unterfangen, zählt der Mann doch zu den Besten seiner Zunft, was er auch an diesem Abend wieder unter Beweis stellt. Auf seine Rückkehr hat man also gerne Tage, Wochen, Monate, Jahre gewartet – Underworld, das aktuelle Studioalbum von Symphony X, dessen Promotion die aktuelle Tour dient und das drei der zehn Songs der Setlist stellt, datiert bereits von 2015. Wir erinnern uns: 2017 erlitt Allen mit seiner Zweitband Adrenaline Mob einen Autounfall, bei dem deren Bassist ums Leben kam und er selbst schwere Verletzungen davontrug, von denen er sich nur langsam erholte. Sie haben den Sänger auch menschlich verändert, wie er in einer Ansage erklärt: Wenn man in so einer Situation einen seiner Freunde sterben sieht, wird man dankbar für jeden Tag und für jede Freude, die man selber erleben darf. So zeigt sich der Sänger auch nicht enttäuscht über den nur halben Füllstand des Beatpols, sondern dankt im Gegenteil jedem Anwesenden für sein Hiersein und wünscht sich, dass man von diesem Abend das Positive im Gedächtnis behalten solle. Diesen Wunsch erfüllt ihm der Rezensent natürlich gern, wenngleich die akustischen Probleme deswegen natürlich nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen. Aber wie schon bei Savage Messiah wird auch bei Symphony X die Ballade, hier „Without You“, zu einem gewissen Wendepunkt des Gigs. Die reduzierte Instrumentierung ermöglicht dem Soundmenschen nämlich, die Transparenz des Gesamtbildes etwas zu verbessern, was nachhaltige Wirkung zeigt: Auch in den Folgesongs haben Romeo und LePond nicht selten ähnliche Webarbeiten zu verrichten wie in „Iconoclast“, aber diesmal kann man deren Struktur zumindest etwas besser wahrnehmen. Die Stimmung im Rund verbessert sich gleichfalls, und Allen zettelt einige Mitsingpassagen an, was vom Auditorium dankbar angenommen wird. Die umjubelten „Sea Of Lies“, mit Veröffentlichungsjahr 1997, vom Albumdrittling The Divine Wings Of Tragedy stammend, das älteste Stück des Sets, und „Set The World On Fire“ markieren dann allerdings nach einer knappen Stunde bereits das Ende des Hauptsets – eine unerquickliche Kürze für einen Headlinergig gerade einer Progmetalband. Die Anwesenden fordern ausdauernd eine Zugabe ein, auf der abgedunkelten Bühne erscheint aber geraume Zeit nur ein Techniker, der an Romeos Gitarre arbeitet. Dann kommt nach einer gefühlten Ewigkeit die Band doch wieder und spielt eine Zugabe – und was für eine: den Titeltrack des 2002er Albums The Odyssey in voller Länge, und das ist immerhin eine knappe halbe Stunde. Der Soundmensch vollbringt hier seine beste Leistung des Sets – viel klarer als in dieser Zugabe kann man komplexen Progmetal vermutlich in dieser Räumlichkeit nicht abmischen. Die allgemeine Begeisterung kennt keine Grenzen, auch für den Rezensenten markiert dieser Song den Höhepunkt des Gigs, und mit Worten zu beschreiben ist dieses hochkomplexe und doch eingängige, im Vor-Schluß-Teil dazu mit einer der herzzerreißendsten jemals geschriebenen Melodien gesegnete Mammutwerk ohnehin nicht. So wendet sich die Problemlage doch noch zum Positiven, auch wenn wohl nicht nur der Rezensent jetzt den Wunsch hegt, diese Formation von Ausnahmekönnern noch einmal unter besseren akustischen Verhältnissen zu Gesicht und vor allem zu Gehör zu bekommen. Setlist Symphony X: Iconoclast Evolution (The Grand Design) Serpent‘s Kiss Nevermore Without You Domination Run With The Devil Sea Of Lies Set The World On Fire (The Lie Of Lies) -- The Odyssey Roland Ludwig |
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