Den Migrationshintergrund schwarzbunt ausmalen: Schwarzkaffee zu Gast beim Jazzklub Altenburg
Tschornyi Kofje gehörten in den Mittachtzigern in der Sowjetunion zu den Pionieren der Weiterentwicklung des klassischen Hardrocks zum Metal, auch wenn sie bald einen Schritt zurück und partiell einen zur Seite tätigen sollten. In den Frühneunzigern versuchten sie unter der Bandnamensübersetzung Black Coffee und mit englischen Lyrics auch international Fuß zu fassen, scheiterten aber und konzentrierten sich in der Folge unter ihrem althergebrachten Namen unter Rückkehr zu russischem Gesang wieder auf den heimischen, nunmehr postsowjetischen Markt, was sie noch heute tun – es irrt also, wer glaubt, Dmitri Warschawski und seine Mitstreiter seien jetzt etwa nach Deutschland umgesiedelt und würden ihr Glück mit einer deutschsprachigen Band versuchen. Nein, die an diesem Abend im Rahmen der Konzertreihe des Jazzklubs Altenburg spielende Formation namens Schwarzkaffee hat zwar auch Bandmitglieder mit eigenem oder zumindest familiärem Migrationshintergrund in ihren Reihen, aber sie siedeln alle in einem imaginären Korridor zwischen Halle und Dresden mit Zentrum in Leipzig, und sie sind „erst“ seit etwa einer Dekade aktiv, nachdem Bandkopf/Bassist Hendrik Herchenbach, den der Leipzig-Szenehistoriker noch von travel Agency in Erinnerung haben könnte, Lust verspürte, mal wieder in einer richtigen Funkband zu spielen, die er dann kurzerhand ins Leben rief. Die aktuelle Besetzung besteht aus acht Personen, die sich an diesem Abend in der historischen Werkhalle des Paul-Gustavus-Hauses auf eine etwas enge Bühne quetschen müssen, welche dafür kurioserweise eine beträchtliche Höhe aufweist, was das Stagediven zu einer etwas gefährlichen Angelegenheit machen würde. Aber Personen, die von der Bühne springen, sind an diesem Abend nicht anwesend, sieht man von Hendrik ab, der sich einmal genötigt sieht, nach unten zu kommen und einen akustischen Störenfried zurechtzuweisen. Das soll freilich nicht bedeuten, die Stimmung sei schlecht gewesen: Zwar ist in der Tat irgendwie eine Distanz zwischen Band und Publikum zu spüren, aber die nimmt im Verlauf des Gigs immer weiter ab. Zu diesem Zweck spielen Schwarzkaffee allerdings auch die richtige Musik: Funk, angereichert mit diversen nahe oder auch nicht ganz so nahe verwandten Genres. Sänger Raschid verwandelt sich bedarfsweise auch in einen Rapper, ohne zu sehr in Klischeebilder abzudriften, während diverse von Olgas Keyboardsoli auch in einer Siebziger- oder einer Spacerockband prima aufgehoben wären. Wenn Raschid sich dann auch noch in einen Gitarrenhelden verwandelt, haben wir etwa im Mittelteil von „Strobo“ astreinen Siebzigerhardrock vor uns, und das, obwohl der Song eigentlich das erst viel später zu größerer Verbreitung gekommene Beleuchtungselement thematisiert, das an diesem Abend durch den Lichtmann übrigens manuell imitiert wird, da die Beleuchtungsanlage kein Stroboskop aufweist. Zu diesem Zeitpunkt im zweiten Set ist die Stimmung im Saal dann auch schon auf ziemlich hohem Niveau, was einiger Anlaufzeit bedurft hat, zumal ein guter Teil der Anwesenden den ersten Set noch beim Bier draußen im Hof des Paul-Gustavus-Hauses stand. Allerdings hat auch Set 1 schon einige starke Kompositionen enthalten, etwa das auch videotechnisch antestbare „I Choose“, das zugleich die allgemeine Botschaft vorgibt, dass man sich das Leben deutlich leichter machen kann, wenn man beschließt, glücklich zu sein. Passend dazu legt Drummer Andreas, optisch übrigens etwas an Che Guevara erinnernd, zumeist einen recht flotten, aber im tanzbaren Bereich bleibenden Beat vor, der zugleich variantenreich genug ausfällt, um auch beim reinen Zuhören das Interesse wachzuhalten. Seltsamerweise stehen mit „Under This Sky“ und dem ganz neuen, an diesem Abend erstmals überhaupt live gespielten „On Time“ zwei eher zurückhaltende Kompositionen am Ende des ersten Sets – typischer wäre wohl gewesen, die Leute mit einem Feger in die Pause zu schicken. Zudem ist im ersten Set der Sound zwar ziemlich klar, aber noch nicht ganz ideal ausbalanciert. Das klappt im zweiten besser: Der voluminösere Baß übernimmt nun stilgerecht eine Führungsrolle, und die anfangs bisweilen einen Tick zu lauten Bläser werden einen Deut zurückgenommen, so dass ein ausgewogenes, druckvolles, aber nicht überlautes Klanggewand entsteht. Von den Bläsern gibt es übrigens drei, nämlich einen Posaunisten, einen Trompeter und den in ein auf seltsame Weise Folklore und Futurismus paarendes Kostüm gehüllten Saxophonisten Tim. Der sorgt in etlichen Kompositionen scheinbar für ein avantgardistisches Element, indem er Soli in Tonarten spielt, die mit dem von den anderen Bandmitgliedern ausgerollten Teppich wenig zu tun haben, was zwar anstrengend, in einigen Fällen aber richtig interessant ist und dem jeweiligen Werk ungeahnte Facetten abgewinnt. Allerdings erfährt man später, dass er an diesem Abend seinen ersten Gig mit der Band spielt ... Die „Hitdichte“ ist im zweiten Set höher: „Hands Up“, der Titeltrack des aktuellen Schwarzkaffee-Albums, macht Platz für das wenig subtil betitelte, aber wirkungsvolle „I Like Your Ass“, „Praise The Lord“ wäre in anderem Kontext als eine starke NGL-Komposition durchgegangen, und über das bereits gelobte „Strobo“ erreichen wir die einzige Fremdkomposition des Sets: das Ideal-Cover „Keine Heimat“, das einigen älteren Besuchern Freudentränen beschert, aber auch ohne spezielle persönliche Anbindung hoch zu punkten weiß. Ohne Zugaben werden Schwarzkaffee natürlich nicht entlassen, packen mit dem Closer „Grace“ in Gestalt einer gefühlvollen Akustikballade noch eine weitere Facette ihres Schaffens obendrauf und setzen damit den Schlußpunkt unter einen mit zunehmender Spieldauer immer stärker packenden Gig. Und da im gesamten Text noch keine Gelegenheit war, Sängerin Tina für ihre enorm vielseitige vokale Leistung wie für die souverän ausgefüllte Rolle als Frontfrau zu loben (im Rahmen der platztechnischen Möglichkeiten springt sie wie ein Gummiball über die Bühne, und man würde sie gerne mal auf einer richtig großen Bühne erleben), gibt diese Feststellung gleich ein passendes Schlußwort ab. Setlist Schwarzkaffee: It’s Alright Get The Hash I Choose Return Of The Freak Reincarnation Love Reflex Under This Sky On Time -- Hands Up I Like Your Ass Big Fish Dangerous Praise The Lord Strobo Keine Heimat -- WGTA Grace Roland Ludwig |
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