Politische Kontroversen und grandiose Musik: Roger Waters in München
Roger Waters hat 2017 mit dem Album Is This the Life We Really Want? seit langem wieder einmal eine Scheibe veröffentlicht und damit ein musikalisches Lebenszeichen von sich gegeben. Die anschließende Us And Them-Tour begann im Mai 2017 und endet Ende 2018 mit einem Südamerika-Abstecher. Eigentlich der Hammer, vor allem wenn man bedenkt, dass Roger Waters mittlerweile 74 Jahre alt ist. Er war und ist ein streitbarer Charakter. Das zeigt sich allein schon in der Tatsache, dass das Konzert in München kurz vor der Absage seitens des Münchener Bürgermeisters stand. Er wollte die Genehmigung für die Olympiahalle aufgrund Waters kritischer Äußerungen zu Israel zurückziehen, was rechtlich allerdings dann doch nicht so einfach durchsetzbar war. Waters vergleicht die Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit dem Apartheidsystem von Südafrika. Politik ist das eine – Musik ist das andere. Mir geht und ging es beim Besuch von Konzerten schon immer mehr um die Musik, als um die persönliche Einstellung der jeweiligen Musiker. Ich finde es gut, dass sich Roger Waters im Kampf um Menschenrechte einsetzt, gehe jedoch nicht deshalb auf das Konzert. Schon am Parkplatz des Olympiaparks ist einiges los. Etliche Fans wollen sich diese Möglichkeit des Konzertbesuchs nicht entgehen lassen, schließlich ist es der einzige Abstecher in Süddeutschland. Das Licht geht um 20.00 Uhr aus und auf der riesigen Leinwand hinter der Bühne sitzt eine Frau am Strand. Es tut sich ansonsten nicht viel, das Ganze dauert ca. 20 Minuten und dann beginnt das Konzert. Die Frau ist noch oft während des Konzerts zu sehen. Das düstere Intro der Dark Side Of The Moon-Scheibe ertönt und dann kommt gleich „Breathe“. Der Einstieg passt für mich perfekt, hier stimmt einfach alles. Phantastische Hintergrundeinspielungen harmonieren mit dem textlichen Inhalt. Die Olympiahalle ist nicht ganz voll, der Platz neben mir bleibt während des Konzerts leer. Der wummernde Bass von Roger Waters leitet das monströse „One Of These Days“ ein, das beim Publikum gut ankommt. Waters ist sichtlich in die Jahre gekommen, macht jedoch keinesfalls den Eindruck, 74 Jahre alt zu sein. Er ist sehr drahtig, beweglich, agil und seine Leidenschaft für Menschenrechte und gegen Ungerechtigkeit scheinen eher noch gewachsen zu sein. Für mich könnte der Sound, der für Olympiahallen-Verhältnisse wirklich sehr gut ist, noch um einiges lauter sein. „Time“ ist mit seinem zeitlosen Text über die Endlichkeit des menschlichen Daseins immer ein Highlight, „The Great Gig In The Sky“ wird von den beiden blondierten Background-Sängerinnen Jess Wolfe und Holly Laessig mitreißend gesungen. Danach singt Waters drei Stücke seiner neuen Soloscheibe, die gut sind, aber keinesfalls an die Großtaten von früher heran reichen. „Wish You Were Here“ klingt klasse, wird jedoch durch Waters‘ Gesang ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Hier hätte er besser seinen Gitarristen Jonathan Wilson singen lassen, der stimmlich David Gilmour sehr nahekommt und zusammen mit dem zweiten Gitarristen Dave Kilminster einen hervorragenden Job abliefert. Bekannte Helikopter-Geräusche leiten zum The Wall-Teil über. Spätestens hier regt mich das lahmarschige Publikum mächtig auf. Bei „Another Brick In The Wall“ klatschen zumindest auf unserer Seite gefühlt nur drei Leute mit. Ich, der Mann neben mir und mein Mitfahrer Micha – was für eine Enttäuschung! Und warum das Ganze? Weil wirklich jeder Depp sein Smartphone zückt und das Ganze filmen muss. Die beiden vor mir filmen wirklich das komplette Konzert, hier kann keine Stimmung aufkommen. Vor zehn Jahren war vermutlich auf jeder Beerdigung mehr Action! Danach gibt’s dann schon saftig Applaus und die Band verabschiedet sich in die Halbzeitpause. Während der Pause wird auf den riesigen Leinwänden zum Widerstand gegen Mark Zuckerberg, Sebastian Kurz, Rechtspopulismus generell, Plastik in den Ozeanen, Tierversuche usw. aufgerufen. Etliche Fans lesen sich das Ganze durch und applaudieren hin und wieder. Ich gehe auf die Toilette und hol mir was zu trinken, irgendwann müssen auch mal ganz profane Dinge erledigt werden. Der zweite Teil beginnt mit zwei Stücken der Animals-Scheibe. Dazu wird von der Hallendecke mit Leinwänden die Fabrikgelände des gleichnamigen Covers „errichtet“. Die Fabrik steht somit ziemlich nahe über den Köpfen der Fans im Innenraum, was ziemlich verrückt aussieht. Spätestens jetzt feuert Waters seine politischen Botschaften im Minutentakt raus. Bei „Pigs“ gerät das Ganze zur Schlammschlacht gegen den aktuellen US-Präsident Donald Trump, den er in SS-Uniform mit Hitlergruß oder mit kleinem Penis zeigt. Dazu lässt er ständig Sprüche von Trump einblenden, die dieser bereits während seiner Amtszeit von sich gegeben hat. Parallel dazu fliegt das berühmte Schwein über die Zuschauer hinweg, auf dem „Stay human“ bzw. „Bleibe menschlich“ prangert. Am Ende von „Pigs“ steht ganz groß „Trump ist ein Schwein“ auf der riesigen Leinwand – was von etlichen Zuschauern mit Beifall bedacht wird. Sehr verstörend finde ich, als Waters mit Schweinemaske und seine Mitmusiker, die mit Schafsmasken ausgestattet sind, Sekt trinken und in Richtung Publikum prosten. Das sieht schon sehr verrückt aus – der Typ hat definitiv einen Hang zum Grotesken und zur Gigantomanie. „Money“ ist und bleibt einer der besten Songs von Pink Floyd, hier bekommen sämtliche Politiker – unter anderem auch Angela Merkel beim G7-Gipfel – ihr Fett ab. Die Hintergrundeinblendungen passen hier auch wieder sehr gut, nichts wirkt überfrachtet. Die Dark Side Of The Moon-Trilogie aus „Us And Them“, „Brain Damage“ und „Eclipse“ beenden triumphal das reguläre Konzert. Am Ende von „Eclipse“ erscheint mithilfe von Lasern eine überdimensionale Pyramide über den Köpfen der Zuschauer im Innenraum, die nahezu die halbe Fläche dessen einnimmt. Einfach nur gigantisch, was für ein Effekt! Roger Waters kommt wieder zurück auf die Bühne und stellt selbstlos seine famos aufspielende Band vor. Man merkt, dass hier eine eingeschworene und eingespielte Gemeinschaft auf der Bühne steht. Waters bezieht Stellung zu den Vorwürfen des Münchener Bürgermeisters Dieter Reiter. Er vergleicht hier die diskutierte Konzertabsage mit der Verbrennung von Büchern, die während des Nationalsozialismus in Deutschland durchgeführt wurden. Ein überragendes „Comfortably Numb“ beendet das musikalisch hervorragende Konzert. Dazu regnet es Konfetti von der Hallendecke, das Publikum steht komplett und feiert ihren Helden. Waters zeigt sich zum Schluss noch sehr volksnah und klatscht alle Fans in der ersten Reihe persönlich ab – so was habe ich von ihm tatsächlich noch nie gesehen. Nach zweieinhalb Stunden endet das Konzert. Ich bin ziemlich hin und hergerissen. Musikalisch war es für mich ein Konzert der absoluten Superlative. Gut, „Mother“ und „Shine On You Crazy Diamond“ haben für mich gefehlt, aber alleine die Animals-Songs waren der Hammer. So wie unser Online-Magazin „Musik an sich“ heißt, gehe ich hauptsächlich wegen der Musik zu einem Konzert. Und die kam mir aufgrund der teilweise überfrachteten Hintergrundeinblendungen viel zu kurz. Die Musiker auf der Bühne inklusive Waters haben allesamt klasse gespielt, wurden aber eher zu akustischen Statisten degradiert. Der Übergang vom Kritisieren zum Beleidigen ist bei der Bühnenshow auch fließend, hier wäre definitiv weniger mehr gewesen. Und ständig bombende Panzer und weinende Kinder waren für mich auch manchmal ein bisschen zu viel des Guten. Fakt ist: das Konzert polarisiert wie Roger Waters natürlich auch. Trotzdem hat mir das Konzert 2006 in Leipzig wesentlich besser gefallen, weil damals die Musik definitiv im Vordergrund stand. Set 1: 1. Breathe 2. One of These Days 3. Times 4. Breathe (Reprise) 5. The Great Gig in the Sky 6. Welcome to the Machine 7. Déjà Vu 8. The Last Refugee 9. Picture That 10. Wish You Were Here 11. The Happiest Days of Our Lives 12. Another Brick in the Wall Part 2 13. Another Brick in the Wall Part 3 Set 2: 1. Dogs 2. Pigs (Three Different Ones) 3. Money 4. Us and Them 5. Smell the Roses 6. Brain Damage 7. Eclipse Zugabe: 8. Comfortably Numb Stefan Graßl |
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