Annäherung versus Distanz: Jex Thoth mit Doctor Cyclops und Bismut in Jena
Schön zu sehen, dass man sich als Kultureinrichtungen mit ähnlicher Zielgruppe nicht als Konkurrenz begreifen muß, sondern ein Miteinander zum beiderseitigen Vorteil anstrebt: Die besonders bei der Studentenschaft beliebten Clubs Rosenkeller und Kulturbahnhof kooperieren für dieses Konzert, welchselbiges in letzterem stattfindet, da ersterer für die zu erwartende Publikumsanzahl keinen ausreichend großen Raum hat. Und die Erwartung trifft ein: Der Kulturbahnhof ist zwar nicht ganz so dicht gefüllt wie beispielsweise bei Don Airey knapp zwei Monate zuvor, aber die Zahl der Anwesenden kann sich zumindest der Rezensent in keinem der ihm bekannten Räume des Rosenkellers vorstellen. Den Reigen der drei Bands eröffnen Bismut, die in ihrer Dreiviertelstunde Spielzeit gerade mal vier Songs unterbringen und dem Rezensenten, als er hinterher nach den Songtiteln fragt, erzählen, dass sie diese noch bis Oktober geheimhalten wollen – dann soll nämlich ihr Debütalbum erscheinen, das genau diese vier Songs enthalten wird, auch in der Reihenfolge, wie sie an diesem Abend erklungen sind. „Psych Desert Metal“ nennt sich der Stil in der Eigendefinition des Trios aus Nijmegen, und obwohl der Psychedelikfaktor insgesamt geringere Werte annimmt als der Wüstenmetalfaktor, trifft diese Beschreibung durchaus zu. Der erste Song wird beispielsweise von extrem doomigen Passagen gerahmt, bevor er sich im Hauptteil aber deutlich tempovariabler zeigt, während der zweite von Anfang an die Tempi geschickt variiert, dann aber in ein feistes Doomoutro mündet. Allerdings wirken die Entwicklungen innerhalb der Songs stets organisch, nicht bemüht, und so entsteht auch einiges an Spannung, was hilft, die doch beachtlichen Songlängen ohne Gähnanfälle zu bewältigen. Alles fließt also, auch die Spielfreude der Band überzeugt, und der klare und druckvolle, aber nicht überlaute Sound tut sein Scherflein dazu, wobei zwischen Song 1 und 2 ein markanter Wechsel des Drumsounds auffällt, der danach viel heller anmutet als zuvor. Gesang gibt es übrigens keinen, wenngleich ein Mikrofon am rechten Bühnenrand steht – aber das benutzt der dort postierte Gitarrist nicht mal für die Ansagen, sondern hält auch diese unverstärkt. Insgesamt hinterlassen die Niederländer einen sehr sympathischen Eindruck, und da sie einiges an groovigen Passagen eingebaut haben, geraten auch diverse Tanzbeine im Publikum schon in Bewegung. Nur wer die Musik auch konserviert mitnehmen möchte, hat Pech: Am Merchstand gibt es handbedruckte T-Shirts und kostenlose Aufkleber, aber keine Tonträger. Also Geduld bis Oktober (und es soll auch eine Vinyledition veröffentlicht werden) ... Anders gelagert sind die Strukturprobleme gleich daneben am Merchstand von Doctor Cyclops: Die haben nämlich ihre Shirts zuvor so reichlich verkauft, dass nur noch zwei Restexemplare vorhanden sind, während das Angebot an Tonträgern noch reichhaltig ist und auch hier neben CDs auch Vinyl umfaßt. Passend dazu klingen die Italiener in der Tat nach einer Band aus der Vinylära: Sie agieren in der Manier eines klassischen Siebziger-Powertrios, und was am Anfang bisweilen einen noch etwas spröden Eindruck hinterläßt, entwickelt mit fortlaufender Spielzeit immer mehr Charme. Liveroutine hat die Band auch reichlich – sie begeht justament ihr zehnjähriges Bestehen als Liveband, ist manchem Besucher bereits bekannt, da sie vor drei Jahren schon mal im Kulturbahnhof gastierte, und hat einen Die-Hard-Fan namens Erwin am Start, der ihr überallhin nachreist und justament auch einen aktuellen, noch unkonservierten Song gewidmet bekommt. Dieser, „Thornfields“ oder so ähnlich betitelt, steht in der Setlist unmittelbar vor „Night Fever“, dem ersten Song, den die Band jemals geschrieben hat, und ermöglicht so einen interessanten Entwicklungscheck, der zutagefördert, dass das neue Material ein gutes Stück kompakter und geradliniger zu Werke geht als das alte – „Night Fever“ etwa mäandert erstmal durch zwei lange Instrumentalintros, bevor der Hauptteil des Songs losgeht, während andere Songs zu diesem Zeitpunkt schon fast wieder zu Ende sind. „Sky Falls“, ein anderer neuer und gleichfalls noch unkonservierter Song, der den Hauptset beschließt und recht flott ausfällt, unterstreicht diese These, aber vom Himmel gefallen sind solche schnelleren und kompakteren Nummern, die wie eine Transformierung des 70er-Rocks in die Jetztzeit wirken, ohne aber irgendwelche explizit als modern einzustufenden Elemente implantiert bekommen zu haben, natürlich nicht, wie etwa „Lonely Devil“ unter Beweis stellt, und Bandhistoriker erinnern sich gar, dass Doctor Cyclops auf ihrer ersten EP neben den altbritischen Psychedelikern Leaf Hound auch die Ramones gecovert hatten. Aber auch eine rein doomige Nummer wie „Witches‘ Tale“ weiß ohne Wenn und Aber zu überzeugen, wenngleich der Sänger hier wie andernorts bisweilen an seine stimmlichen Grenzen stößt, wenn er im leicht angerauhten Sektor in die Höhe geht, während er ansonsten zumeist überzeugen kann. Auch optisch bildet er, nebenher noch Gitarre spielend, einen markanten Ankerpunkt, sieht er doch aus wie ein Mix aus Klaus Lage und einem Waldschrat, während der Bassist mit seinem giftgrünen Metallica-Shirt einen Kontrapunkt markiert. Viel Spielfreude entwickeln jedenfalls alle drei Musiker, und da auch hier der Sound klar und relativ druckvoll, aber noch nicht zu laut ist und das Trio generell einen sehr sympathischen Eindruck hinterläßt, entwickelt sich auch hier schnell eine gute Stimmung im Saal, erste Headbanger beginnen aktiv zu werden, und die vom Publikum eingeforderte Zugabe wird trotz nur noch knappen Zeitpolsters gewährt – eine gekonnte Version von „Witchfinder General“ der gleichnamigen Band. Jex Thoth werden szeneintern hoch gehandelt, im Bestand des Rezensenten befindet sich bisher allerdings nur eine Drei-Track-EP (Witness von 2010, eingespielt mit einer abgesehen von Bandkopf/Sängerin Jessica noch völlig anderen Besetzung), so dass er einigermaßen gespannt ist, was die Band zu bieten hat. Am Ende des Gigs steht leider Ernüchterung, die sich aus mehreren Faktoren speist. Da wäre zum einen die Musik selbst. Jex Thoth spielen eine Art Epic Doom und machen das durchaus nicht schlecht, aber eben auch nicht überragend gut. Möglicherweise liegt der zumindest live alles andere als überwältigende Faktor darin begründet, dass nur ein Gitarrist dabei ist, also bei dessen häufigen Leadverpflichtungen eine Rhythmusgitarre fehlt. Aber selbst wenn keine Leads zu spielen sind, fasert das Riffing nicht selten zu stark aus, um einen festen Grund für die Songs abzugeben, was der Baß, der nicht als Doppelung der Rhythmusgitarre, sondern als eigenständige Stimme konzipiert ist, nicht kompensieren kann und die Orgel zumindest an diesem Abend auch nicht: Der Sound ist im Opener noch klar und gut, aber rätselhafterweise dreht der Soundmensch die Anlage dann immer weiter auf, und im überlauten Bereich beginnt die Orgel mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten, nur noch gelegentlich an besonders markanten Stellen in den akustischen Vordergrund tretend. Das ist schade, denn gerade die Tasteninstrumente scheinen für einen erklecklichen Teil des Reizes des musikalischen Materials der Band zu sorgen, wobei allerdings auch hier festzuhalten ist, dass gemäß dem Eindruck dieses Abends Jex Thoth nichts machen, was Bands wie Left Hand Solution nicht schon vor 20 Jahren ähnlich (und besser) gemacht haben. Da hilft auch Jessicas vielseitige und durchaus kompetente Stimme nicht – die Sängerin sorgt statt dessen für einen anderen Problemfall, indem sie als Showelement an ihren Händen irgendwelche Kartuschen befestigt hat, aus denen sie gelegentlich eine Substanz abbrennt, die einen alles andere als angenehmen Geruch verströmt. Eher Geschmackssache dürfte wiederum ihr Ausdruckstanz auf der Bühne sein, und der in dieser Kunstform keinerlei Hintergrundwissen besitzende Rezensent äußert sich daher nicht dazu. Das Wort „Show“ leitet dann allerdings zum Hauptproblem über: Jex Thoth versuchen ein düster-distanziertes Gesamtkunstwerk zu inszenieren und so unnahbar wie möglich zu wirken. Die Bühne ist also eher spärlich beleuchtet, und Ansagen gibt es keine einzige, was zwischen den Songs dann zu folgender eigenartiger Situation führt: Nach dem Songende applaudiert das Publikum freundlich, nach dem zeitnahen Abebben des Applauses aber tritt peinliche Stille ein, bis irgendwann der nächste Song beginnt. Sannhet und Sum Of R, die dreieinhalb Wochen früher an gleicher Stelle (siehe Review auf diesen Seiten) gleichfalls ohne Ansagen arbeiteten, lösten dieses Problem, indem immer irgendein Geräusch durchgängig erklang, und sie bedankten sich am Setende dann noch beim Publikum, während von Jex Thoth überhaupt keine Äußerung kommt. Der Distanzversuch muß allerdings schon aufgrund der räumlichen Komponente scheitern, denn um vom Backstageareal auf die Bühne des Kulturbahnhofs zu gelangen, müssen die Musiker den Zuschauerraum durchqueren, und um das nicht mehrfach machen zu müssen, bleiben die Musiker am Ende des regulären Sets üblicherweise gleich auf der Bühne und spielen eventuelle Zugaben, ohne vorher abgegangen zu sein. Jex Thoth dagegen gehen von der Bühne und müssen somit insgesamt viermal durchs Publikum. Bevor jemand fragt: Im Rosenkeller wäre das nicht anders oder aufgrund der Enge der Gänge noch extremer gewesen. Durch die beschriebenen Problemfälle funktioniert aber das ganze distanzierte Gesamtkonzept nicht mehr, die angestrebte Atmosphäre will sich nicht einstellen, und damit bleibt als Bewertungskriterium lediglich die Musik selbst übrig. Die hat wie gesagt durchaus ihre interessanten Momente (der Quasi-Gothic-Hit – Titel sind Schall und Rauch – am Ende des regulären Sets etwa macht durchaus Laune, wenngleich auch das möglicherweise gar nicht so gemeint war), ist aber schwierig angeordnet, da die Band mit drei äußerst trägen Doomnummern startet und erst ab Song 4 etwas mehr Variationsbreite ins Tempo legt, und hinterläßt summiert einen überwiegend soliden, aber keinesfalls herausragenden Eindruck. Auch die Anwesenden sind zumindest partiell irritiert vom Distanzversuch der Band, wenngleich auch hier mancher Doombanger sein Haupthaar kreisen läßt, und für den relativ dichten Füllstand des Clubs fällt der Applaus relativ gesehen eher mager aus. Ob Jex Thoth mehr als die eine letztlich gespielte Zugabe eingeplant hatten, muß offenbleiben – aber in der Gesamtbetrachtung sind sie trotz ihres Headlinerstatus mit Abstand die schwächste Band des Abends, der mit zwei starken Acts trotzdem eine beachtliche Qualitätsquote erzielen kann. Roland Ludwig |
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