Tote Gänseblümchen singen doch: The Dead Daisies und Thundermother in Leipzig
Bei Thundermother hat es unlängst ziemlich gedonnert: Vier der fünf Musikerinnen verließen die Band, so dass Bandgründerin/Gitarristin Filippa Nässil plötzlich allein dastand. Aber sie schaffte es, in kürzester Zeit wieder ein arbeitsfähiges Quartett zu schmieden, das exakt vier Wochen vor dem Leipzig-Gig seine Live-Feuertaufe in Stockholm erlebte und seither so enorm an Routine gewonnen hat, dass man vermutet, die Mädels spielten schon lange zusammen, was zumindest bei Filippa und Bassistin Sara Pettersson aufgrund einer gemeinsamen Band namens Hifly auch zutrifft. Aber auch Schlagzeugerin Emlee Johansson beherrscht ihr Instrument perfekt und spielt zudem nicht den bei Rock-Drummerinnen öfter anzutreffenden leicht polterigen, sondern einen kraftvoll-geradeaus orientierten Stil, der Thundermothers Musik sehr entgegenkommt. Das Quartett widmet sich dem Classic Rock, der The Who ebenso zu seinen Einflüssen zu zählen scheint wie Kiss oder die Backyard Babies, und der Titel der aktuellen Single „We Fight For Rock N Roll“ darf in gewisser Weise als programmatisch gewertet werden, da das Quartett ihn nicht nur im übertragenen Sinne mit Leben erfüllt (also Rock’n‘Roll als Überbegriff für die gesamte derzeitige Rockwelt), sondern tatsächlich hier und da auch klassische R’n’R-Elemente auszumachen sind. Das ergibt ein zumindest über eine knappe Dreiviertelstunde Konzert gut funktionierendes Gebräu, und auch eine zweite Gitarre oder ein Keyboard werden von Nichtkennern der Band durchaus nicht vermißt, zumal das Klanggewand nicht überlaut, aber trotzdem druckvoll und dabei recht klar ausfällt, so dass man alles gut nachvollziehen kann, was gerade bei der sparsamen Arrangementstruktur besonders wichtig ist, um nicht das Gefühl der Leere aufkommen zu lassen. Der einzige kleine Schwachpunkt ist Sängerin Guernica Mancini (auch sie Schwedin, obwohl die Namensstruktur anderes vermuten läßt), und das bezieht sich nicht auf ihren Gesang (da macht sie nämlich eine prima Figur und erinnert an eine kernigere Version von Ex-Nightwish-Chanteuse Anette Olzon), sondern auf ihr etwas hilflos wirkendes Bühnenverhalten: Eigentlich kann sie allein aus optischen Gründen ein überwiegend männliches Publikum mühelos um den Finger wickeln, aber sie nutzt diese Chance nicht, wirkt bei den Ansagen unsicher, klebt in den Songs am Mikrofonständer und weiß in den Solopassagen offenbar nicht so richtig, was sie anfangen soll. Da ist Filippa im Verbund mit Sara der totale Gegenpol – bühnenaktiv, spielfreudig und einnehmend holen sie die Kastanien aus dem Feuer, und Filippa rennt schließlich während eines langen Solos mitsamt ihrer Gitarre durchs begeisterte Publikum im reichlich halbvollen Saal. Nur der Make-up-Berater des Quartetts muß sich aufgrund der seltsamen augenbindenartigen Bemalung die Frage gefallen lassen, was das nun wieder bedeuten sollte. Unterm Strich bleibt eine gute Rockshow, die genau das getan hat, was man von einem Supportact erwartet: Er heizt die Leute gut an, stiehlt dem Headliner aber nicht die Show. Selbiger Headliner betritt nahezu Punkt 21 Uhr die Bühne. Der Bandname The Dead Daisies könnte bei Nichteingeweihten die Erwartungshaltung einer Düstercombo hervorrufen – doch weit gefehlt: Das Quintett steht auch in seiner aktuellen von vielen Besetzungen für knackigen Hardrock alter Schule mit grundpositiver Attitüde. Gitarrist David Lowy, der mal ein paar Jahre bei den Angels gespielt und 2012 The Dead Daisies gegründet hat, hat es immer wieder geschafft, seine Band nicht wie ein Ersatzteillager, sondern wie eine eingeschworene Truppe wirken zu lassen, auch wenn sich in den fünf Jahren der bisherigen Existenz die prominenten Mitglieder nur so die Klinke in die Hand gaben. Aktuell ist übrigens kein Keyboarder mit auf Tour, und das erweist sich an diesem Abend in Leipzig als Positivum: Der Sound ist sowieso schon überlaut und an den wenigen Stellen, wo markante Tastensounds eingesampelt werden, auch übersatt und damit undurchsichtig, während ansonsten trotz der immensen Lautstärke alle Feinheiten klar durchzuhören sind. Der Hardrock von The Dead Daisies atmet durchaus Siebziger-Spirit, aber die konkreten Vorbilder sind dann doch eher in den Achtzigern zu finden, und dass die gitarrenlastigen beiden Spätachtziger-Whitesnake-Alben dazugehören, ergibt in der derzeitigen Besetzung natürlich besonders viel Sinn, denn so wie Yngwie Malmsteen einst Ex-Rainbow-Musiker „sammelte“, so „sammelt“ Lowy offenbar ehemalige Whitesnake-Mitstreiter, die aktuell immerhin 60% des Line-ups stellen. Da Lowy selber nicht dazugehört und der Sänger naturgemäß nicht in Frage kommt (oder glaubt jemand, David Coverdale würde ernsthaft daran denken, hier einzusteigen?), bleiben die drei anderen Planstellen: Drummer Brian Tichy, Bassist Marco Mendoza und als jüngster Neuzugang Gitarrist Doug Aldrich, der dem Material wohl am stärksten seinen Stempel aufdrückt und von dessen Ex-Bands sich gleich etliche als passende Vergleichsobjekte für den Sound der Toten Gänseblümchen eignen würden. Bleibt als Fünfter im Bunde der Sänger: John Corabi, vor reichlich zwei Dekaden mal kurz Vokalist bei Mötley Crüe, schleicht zwar ziemlich über die Bühne und scheint ein seltsames Temperaturgefühl zu haben (er steht in eine Art Pullover mit Schal gehüllt auf der Bühne im ziemlich warmen Hellraiser, während Aldrich eine knappe Lederweste trägt und Bühnenaktivposten Mendoza die zweite Sethälfte gleich ganz oben ohne spielt) – aber gesanglich präsentiert er sich in Topform, kreischt zwar nicht mehr ganz so heftig wie früher, erfüllt den Job eines klassischen Hardrocksängers aber ohne Wenn und Aber mit Leben. Außerdem ist er Vollprofi, was den Umgang mit dem Publikum angeht: Als er nach sieben, acht Songs merkt, dass das Publikum seine Animationsversuche anstrengend zu finden beginnt, reduziert er deren Intensität ein bißchen – und schon herrscht wieder allgemeine Zufriedenheit und Partystimmung, wofür die Toten Gänseblümchen ganz im Kontrast zu ihrem Bandnamen auch den richtigen Soundtrack bieten. Nicht umsonst heißt das aktuelle Album Make Some Noise und stellt für die Setlist neben diversen anderen Songs auch seinen Titeltrack mit einer großen Mitmacheinlage, die das Publikum auch schon in Song 3 als bestens gelaunt und in Form präsentiert. Interessanterweise verzichten The Dead Daisies nahezu komplett auf Balladen, einzig „Lock ‘n‘ Load“ tendiert ein wenig in diese Richtung und ist zudem der einzige Track des Abends, in dem Corabi, der bekanntlich auch ein erstklassiger Gitarrist ist, zur Sechssaitigen greift, hier allerdings zu einer Akustischen, welche die beiden Elektrischen von Aldrich und Lowy ergänzt. Wie es sich für diese Stilistik gehört, bekommen Gitarrist und Drummer Gelegenheiten für Solospots, wobei Tichy sein Kit in der zweiten Hälfte mit bloßen Händen bearbeitet – das hat man bei Whitesnake mit Tommy Aldridge auch schon gesehen, aber beeindruckend ist’s immer wieder. Neu hingegen, zumindest für den Rezensenten mit seinen vielen hundert bisher besuchten Konzerten, ist in dieser Konsequenz die Vorstellung der Bandmitglieder, zu denen jeweils ein normalerweise mindestens strophenlanger (oder mehrere Refrain- bzw. Motivwiederholungen umfassender) Ausschnitt eines Signaturliedes gespielt wird: Für den Australier Lowy ist das „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“, für den Mexikaner Mendoza „La Bamba“, dann hört’s allerdings auf mit den direkten Regionalbezügen: Für Aldrich erklingt „Black Night“, für Tichy „Run To The Hills“ und für Corabi schließlich „Heaven And Hell“. (Historiker erinnern sich, dass Asia das mal gemacht hatten, als Chris Slade bei ihnen trommelte: Zu seiner Vorstellung wurde „Thunderstruck“ angespielt. Aber sie bauten das nicht weiter aus.) Interessanterweise verlassen sich The Dead Daisies generell nur partiell auf das Material ihrer zwischenzeitlich drei Studioalben und covern sich munter durch die Hardrockwelt. Wer freilich Whitesnake- oder Mötley-Crüe-Material erwartet hat, der liegt falsch, denn darauf verzichtet das Quintett bewußt. Statt dessen darf sich das Publikum u.a. über „Fortunate Son“ (Creedence Clearwater Revival) oder die auch schon auf Konserve erschienene Beatles-Umsetzung „Helter Skelter“ freuen, und es fällt auf, dass die Wahl hier ausschließlich auf alte bis sehr alte Bands gefallen ist. Wer sich z.B. auf www.setlist.fm mal verschiedene Setlisten durchliest, stellt zudem fest, dass das Repertoire diesbezüglich recht groß ist und offenbar je nach Lust und Laune aktuell eine Auswahl getroffen wird. Im Finale des Leipzig-Gigs, als auch Mendoza mit seinem Saiteninstrument durchs Publikum zu rennen beginnt, nimmt die Coverdichte deutlich zu, es gibt u.a. noch Grand Funk Railroads „We’re An American Band“ und als letzte Zugabe das allseits mit letzter Kraft gefeierte „Highway Star“ aus dem Hause Deep Purple. Ob die Daisies-Eigenkompositionen in einigen Jahrzehnten gleichfalls als Kulturgut entsprechenden Status‘ eingestuft werden, bleibt zwar natürlich abzuwarten, aber der Mix aus viel Eigenem und etlichem Fremden ergibt zumindest an diesem Abend höchst unterhaltsame 100 Minuten Musik, bei denen allenfalls zu bemängeln wäre, dass ein, zwei schnellere Nummern in den ersten drei Vierteln das Ganze noch weiter aufgelockert und bereichert hätten. Aber angehörs des Gebotenen ist das nun wirklich Jammern auf hohem Niveau, und die Anwesenden im zur reichlichen Hälfte gefüllten Hellraiser (das ist für einen Mittwochabend mit Grillwetter und für die in Leipzig eigentlich relativ tote Stilrichtung äußerst achtbar!) ziehen fröhlich in die warme Mittsommernacht hinaus. Livefotos hat die Band zum Rezensionszeitpunkt online gestellt. Roland Ludwig |
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