Kleines Zwischentief oder die besten Jahre hinter sich? Richie Sambora live in Stuttgart.
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Die genauen Umstände des „Ausscheidens“ von Richie Sambora bei seiner eigentlichen Band Bon Jovi werden wohl nie genau geklärt werden. Auf jeden Fall waren Bon Jovi letztes Jahr auf Deutschlandtour ohne Richie Sambora und mit seinem sehr vitalen und überaus engagierten Ersatz Phil X unterwegs. Umso erfreulicher, dass sich der Gitarrist mit der Reibeisenstimme heuer für ein paar Konzerte in hiesigen Landen angekündigt hat. Es sind in Stuttgart deutlich weniger Tickets verkauft wurden als eigentlich geplant. Das Konzert wurde von dem riesigen Beethovensaal in den Hegelsaal verlegt, der unbestuhlt 3000 Zuschauer fasst. Typisch für Stuttgarter Rockkonzerte sind auch hier wieder die „Drei Musketiere“ unterwegs. Die drei - zwei Männer und eine Frau - kaufen übrige Tickets auf und verkaufen diese an einer anderen Ecke für etliche Euros mehr. Und das, obwohl es noch Tickets an der Abendkasse gibt! Dies war auch schon bei Status Quo der Fall. Einer der drei bezeichnet sich als „Hartz IV-Empfänger, der für günstiges Geld einmal im Leben seine Lieblingsband sehen möchte“. Zumindest steht das auf seinem Schild - wie schon bei Status Quo. Diesmal hat er ein Bon Jovi-Shirt an - immer passend zum Anlass.
Das Publikum ist an diesem Abend kunterbunt gemischt. Es sind sehr viele junge Fans da, etliche „Altrocker“ und typisches Premieren- und Champagnerpublikum. Der Hegelsaal ist gut gefüllt und ich gehe davon aus, dass fast ausverkauft ist. Um 20 Uhr geht das Licht aus und zwei Leute betreten die Bühne. Sie können jedoch zuerst nicht loslegen, weil es der Soundmann tatsächlich nicht schafft, das Intro abzustellen. Es ist eine Frau und ein Mann mit Akustikgitarre bewaffnet, die im Unplugged-Stil auf Deutsch ein Lied präsentieren. Dies kommt beim Publikum überraschend gut an. Die beiden spielen noch zwei Songs und verlassen dann wieder die Bühne. Ein Name wurde genannt, ging jedoch im Sound unter. Sie wären einen Tag vorher gefragt worden, ob sie für Mr. Sambora eröffnen könnten. Normalerweise sind sie mit einer kompletten Band unterwegs. Die restlichen Bandmitglieder hatten aber keine Zeit.
Nach einer übertrieben langen Pause von fast 50 Minuten geht erneut das Licht aus und das Konzert von Richie Sambora soll beginnen. Mr. Sambora betritt aus dem Hintergrund die Bühne und ist mit seinem typischen Schlapphut und einem weißen Jackett bekleidet. Er sieht etwas ramponiert aus und macht auf mich einen entweder betrunkenen oder bekoksten Eindruck. Nach dem ersten Song glaube ich eher beides. Seine Bewegungen sind behäbig und unkoordiniert, der Gesang zwar laut und klar, aber nicht sicher, ohne Gefühl und eher mäßig gut. Von den Instrumenten ist zu Beginn eigentlich nur seine Gitarre, mit Abstrichen der Bass und übermäßig laut das Schlagzeug zu hören. Viele der Konzertbesucher sind auch ein bisschen erstaunt, was sie da vorgesetzt bekommen. Der Jubel ist sehr verhalten und für ein Konzert echt mickrig.
Mr. Sambora macht vom Start weg den Eindruck eines satten, überheblichen Rockstars, der es eigentlich gar nicht mehr nötig hat, sich anzustrengen. Die restlichen Musiker sind zwar musikalisch sehr gut, passen jedoch in keinster Weise als Band irgendwie zusammen. Der Schlagzeuger beispielsweise ist absolut übermotiviert und zertrümmert nahezu jeden Song. Und was auch schnell klar wird: Richie ist kein Frontmann! Seine Ansagen sind seltsam, seine Sprache verwaschen und er macht sich nicht einmal die Mühe, deutlich zu sprechen. So kommt keinerlei Kommunikation mit dem Publikum auf. Was auch geradezu lächerlich wirkt: Er fragt Fans, was sie hören wollen. Einmal tut er so, als kann er die Rufe nicht verstehen und entgegnet, er wäre taub. Anschließend meint er, einen unglaublich guten Witz gerissen zu haben und wundert sich, dass außer ihm keiner lacht. Dann zieht er auf der Bühne seine Weste aus, präsentiert seinen Bauch und meint, er müsse sich jetzt eine neue Weste anziehen, die alte wäre verschwitzt.
Musikalisch gehen die Songs durchaus in Ordnung, wenn man auch Songs wie „Lay Your Hands On Me“ bei seiner Stammband vor allem gesanglich um Welten besser gehört hat. Gitarrentechnisch kann man ihm überhaupt nichts vorwerfen: Er rockt ohne Ende und geht manchmal sogar relativ brutal zur Sache. Dies gefällt mir sehr gut und zeigt, dass er bei Bon Jovi vor allem auf den letzten Alben zu Recht unzufrieden gewesen sein muss. Sein Gesang bessert sich im Laufe der Zeit, ist jedoch um einiges von der Form seiner Studio-LPs entfernt. „Rosie“ singt er tatsächlich als Wunsch aus der Menge, der Song kommt sogar sehr gut an. Warum er eine tolle Nummer wie diese nicht regulär spielt, ist mir jedoch ein absolutes Rätsel. Unklar ist mir auch, warum er die Gitarristin Orianthi überhaupt mitgenommen hat. Sie hängt ziemlich verloren am rechten Bühnenrand herum und klampft unspektakulär und reichlich unmotiviert herum. Dabei ist ihre Gitarre so leise gemischt, dass man sie fast nicht hört und so den Eindruck bekommt, sie spielt gar nicht mit. Auch sie trägt einen Hut und man kann ihr Gesicht dadurch fast kaum erkennen. Die restliche Band nimmt ebenso keinen Kontakt zum Publikum auf und spielt ihren Stiefel herunter. Sehr negativ finde ich, dass Mr. Sambora nicht einmal seine Band vorstellt. Wenigstens Orianthi hätte er vorstellen können. Sie ist immerhin als Special Guest auf der Eintrittskarte und auf den Plakaten vermerkt. Ein Lied singen die beiden zusammen. Doch auch hier wird ihr Gesang leiser gedreht als der von Richie Sambora. Und er würgt ihren Gesang teilweise recht brutal mit seinem Organ ab - von Duett kann hier wirklich keine Rede sein.
Über die Auswahl der Songs lässt sich streiten. Es geht eher gemächlich zu und so wird oft die Akustik-Klampfe ausgepackt. Dies ist an sich in Ordnung, ich hätte mir jedoch ein paar Rocksongs mehr gewünscht. Dies wird deutlich, als „Livin‘ On A Prayer“ als Unplugged-Version präsentiert wird. Die meisten singen den regulären Refrain mit, was mich nicht überrascht. „I’ll Be There For You“ ist seine Paradenummer und die gerät auch wirklich gut. Die Überraschung des Abends ist für mich „These Days“. Die Nummer startet als Reggae-Nummer und geht dann in das bekannte Songschema über. Aber auch hier werden seine stimmlichen Defizite deutlich. Ganz wie sein ehemaliger Brötchengeber Jon Bon Jovi muss er sich mittlerweile doch schon sehr anstrengen, wenn es an die höheren Lagen geht. Doch dabei unterstützt ihn der ausgezeichnete Backing-Gesang. Beobachtet man hier die „Backgroundsänger“ fällt jedoch ziemlich schnell auf, dass selbst wenn im Hintergrund niemand mitsingt, ein satter Background-Gesang ertönt. Dies fällt nicht nur mir auf und ich frage mich, ob er so etwas wirklich nötig hat. Bei „Lean On Me“ möchte Richie eine Stimmung wie in einer Kirche haben und fordert die Fans auf, mitzumachen. Dabei hat er fünf Gitarristen auf die Bühne eingeladen, die mit Akustikgitarren spielen und immer wieder eine Strophe übernehmen. Er erklärt nicht, warum er das macht oder was das für eine Aktion ist. So fragen sich viele, was das soll. Aber auch der Song trägt nicht zur besseren Stimmung bei sondern plätschert vor sich hin. Als Zugabe kommt noch sein Überhit „Wanted Dead Or Alive“, der für tolle Publikumsreaktionen sorgt. Etliche Fans bekommen jedoch genau diesen Song gar nicht mehr mit, weil sie schon ein paar Lieder vorher die Halle verlassen haben.
Nach fast zweieinhalb Stunden ist der Auftritt vorbei. Richie bedankt sich beim Publikum für die Unterstützung und verlässt die Bühne. Ich bin sehr enttäuscht, da ich mir ein komplett anderes Konzert vorgestellt hatte. Sambora war uninspiriert, undiszipliniert, zu lässig und einfach nicht halb so engagiert wie die meisten Musiker, die man normalerweise live zu sehen bekommt. Wenn man bedenkt, dass die Zuschauer 50 Euro und mehr für die Karte bezahlt haben, ist dies nicht in Ordnung. Im Nachhinein wäre ich für dieses Geld definitiv nicht auf das Konzert gegangen. Bleibt zu hoffen, dass er sich am Riemen reißt und ihm jemand klar macht, dass er in dieser Verfassung nicht auf die Bühne sollte. So wird er auch bei Bon Jovi sicherlich nicht mehr unterkommen!
Setliste:
A Song for You
Every Road Leads Home to You
Nowadays
Lay Your Hands on Me
Stranger in This Town
Burn the Candle Down
Seven Years Gone
The Distance
Rosie
Taking a Chance on the Wind
Weathering the Storm
You Don't Wanna Know
Storybook Love
I'll Be There for You
Lean on Me
Livin' on a Prayer
Get Up, Stand Up
These Days
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Bridge Over Troubled Water
Wanted Dead or Alive
Stefan Graßl
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