Wie man mit Schminke die Welt erobert: Die Anfangsjahre von KISS
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Paul Stanley und Gene Simmons sind die einzigen noch verbliebenen Originalmitglieder der Rocklegende KISS, und daher weckt eine Biografie der Amerikaner über die Anfangstage der Band, bei der diese beiden als Co-Autoren benannt sind, wohl durchaus Interesse. Weitaus interessanter wird das Buch Die Geschichte von KISS – unsere Anfangsjahre, welches mit Ken Sharp entstand, aber auch durch die Tatsache, dass auch Peter Criss und Ace Frehley, welche KISS nacheinander Anfang der Achtziger verließen, um dann Mitte der Neunziger für einige Jahre wieder zurückzukehren (mittlerweile aber erneut nicht mehr dabei sind) ebenfalls zu Wort kommen.
Ex-Mitglieder einer Band haben haben halt doch oft eher eine kritischere Sichtweise auf die Vergangenheit als aktuelle Mitstreiter, doch kritische Worte gibt es in diesem Buch über KISS im Allgemeinen oder auch speziell über Stanley und Simmons von Criss und Frehley natürlich nicht (andeutungsweise gibt es neben anerkennenden Worten auch kritische Anmerkungen über Criss und Frehley...). Aber da es in diesem Buch um die Anfangsjahre von KISS und somit nur um die Jahre von 1972-1975 geht, kann da natürlich keine schmutzige Wäsche späterer Jahre gewaschen werden, denn in dieser Zeit war das Quartett ja noch auf dem (gemeinsamen) Weg nach oben – und der war wahrlich kein Selbstläufer, wie das Buch ausführlich beschreibt. Musikalisch muss die Musik der frühen KISS jeder für sich selbst bewerten, rein optisch wurde die Band aber zunächst nur als Gimmick-Band belächelt und wurde eher ignoriert und selten erst genommen. Vor allem der Weg ins Radio sollte sich für die vier als recht schwer erweisen, und somit wären KISS ohne ihren eisernen Willen und vor allem ohne die tatkräftige und finanzielle Unterstützung des neu gegründeten Labels Casablanca Records um Neil Bogart wohl nur eine geschminkte Randnotiz der Musikgeschichte geblieben.
Vor allem durch ihre für damalige Zeiten recht spektakulären (und teuren) Live-Shows, die anfangs noch buchstäblich über die Dörfer führten, machten KISS sich in den Jahren 1973-1975 einen Namen in Amerika, der richtige Durchbruch gelang nach den eher mäßig erfolgreichen und schnell hintereinander eingespielten Alben KISS, Hotter Than Hell und Dressed To Kill aber erst mit dem Live-Album Alive!. Und genau an dieser Stelle hört das Buch über die Anfangsjahre auf. Wer sich also einen gesamten Überblick über die Geschichte von KISS machen möchte und über den Aus-, Wiederein- und erneuten Ausstieg von Criss und Frehley, oder etwas über Vinnie Vincent, Eric Carr, Eric Singer oder Tommy Thayer lesen möchte, muss zu anderen Büchern greifen, denn hier geht es wirklich nur um die ersten Jahre bis zum einsetzenden Erfolg – aber dafür recht ausführlich, fundiert und mit vielen wertvollen Hintergrundinformationen.
Rein stilistisch wirkt das Buch dabei wie eine überlange Talkshow und ist etwas gewöhnungsbedürftig: Es gibt einen kurzen Einleitungssatz, und dann geben neben Paul Stanley, Gene Simmons, Peter Criss oder Ace Frehley sonstige Wegbegleiter wie Manager, Konzertveranstalter, Mitglieder der Road-Crew, Fans, Journalisten oder Musiker, die vor oder - was eigentlich schlimmer war - nach KISS auftraten, ihren Senf zur Geschichte der Band oder zu persönlichen Erlebnissen. Recht prominente Namen der damaligen Zeit sind dabei: Mitglieder von Argent (Russ Ballard und Rod Argent), Slade (Noddy Holder, DaveHill, Jim Lea und Dan Powell), Nazareth (Dan McCafferty), Uriah Heep (Mick Box), Status Quo (Francis Rossi), Black Sabbath (Geezer Butler), Rush (Alex Lifeson und Geddy Lee), The Ramones (Dee Dee, Joey, Johnny Marky und Tommy Ramone) kommen ebenso zu Wort wie Alice Cooper, Suzi Quatro, Todd Rundgreen, Bob Seger, Donna Summer oder Fotograf Fin Costello (Deep Purple, Uriah Heep, Rush) – meist werden diese nur mit kurzen Statements zitiert, bei denen aber leider nie klar ist, wann sie getätigt und aus welchem (Interview-)Zusammenhang sie gerissen wurden. Es wirkt zumindest etwas sehr befremdlich in diesem Zusammenhang auch Beiträge von Label-Gründer Neil Bogart zu lesen, der bereits 1982 verstorben ist. Und auch Joey († 2001), Dee Dee († 2002) und Johnny Ramone († 2004) kommen hier nochmal posthum zu Wort. Wer hier also wirklich etwas aktiv und aktuell bzw. bewusst speziell zu diesem Buch beigetragen hat, wird nicht klar und auch leider im Vorwort nicht erläutert.
Was das Buch als roten Faden zusammenhält ist aber die Art, wie alle Beitragenden anscheinend den Mythos KISS huldigen: im Nachhinein waren natürlich alle möglichen Ereignisse und Erlebnisse „magisch“ (gibt es für solche Bücher ein abgegriffeneres Wort als dieses?), alle hatten eine „tolle Zeit“, die Band war auf einer Mission, hatte eine Vision und fast jeder der Beitragenden wusste schon lange vor dem Durchbruch von KISS, dass diese später einmal eine ganz große Band werden.... Fans werden all diese verklärenden Worte lieben, allgemein Interessierte geht die Selbstbeweihräucherung nach einigen Seiten aber vielleicht fast genauso auf die Nerven wie das inflationär benutzte und gefühlt in vierstelliger Anzahl abgedruckte [lacht] in den Statements der Beitragenden. Vom Stil und Anspruch erinnert das Buch somit leider an einen oberflächlichen und unkritischen Making-Of-Beitrag eines Kino-Blockbusters im nächtlichen Privatfernsehen.
Pünktlich zum 40jährigen Jubiläum der Bandgründung erscheint dieses Buch, und wer den Geschäftssinn von Gene Simmons kennt (man lese nur sein Buch Sex Money Kiss), muss wohl fast zwangsläufig mit einer Fortsetzung rechnen. Sehenswert sind in diesem Buch vor allem die Abbildungen, die nicht nur KISS in ihren Anfangstagen zeigen (zum Teil sogar ungeschminkt), sondern sogar die Zeitungsanzeigen, über diese sich diese zusammengefunden haben oder handgeschriebene Songtexte aus vergangenen Zeiten. Privates bleibt dagegen sowohl bei den Fotos als auch im Text völlig außen vor.
Fazit: Die Geschichte von KISS – unsere Anfangsjahre ist für KISS-Jünger nicht zuletzt aufgrund der Ausführlichkeit und Detailverliebtheit sicherlich eine lohnende Pflichtlektüre. Es geht dabei in diesem Buch zwar nicht in erster Linie um die Musik von KISS, sondern vor allem darum, wie man diese verpackt und verkauft hat. Und somit werden hier wesentlich mehr Worte über Outfit, Schminke, Kostüme und präsentierte Shows verloren als über die Musik. Aber dies passt doch auch irgendwie zu KISS.
Jürgen Weber
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