Deutschlands größtes Reggae-Magazin steht mit der 50. Ausgabe in den Läden
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Gesprächspartner: Pete Lilly (verantwortlicher Redakteur)
Zeit: 16.06.2010
Ort: Berlin - Köln
Interview: E-Mail
Stil: Riddim
Internet: http://www.riddim.de
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Im Juli 2001, gerade stand die erste Ausgabe von musikansich.de im Netz, spazierte unser Gründungsmitglied Norbert von Fransecky durch einen Edeka-Markt und entdeckte zwischen Rock Hard, Metal Hammer, Rolling Stone, Eclipsed und diversen anderen Magazin etwas Neues. Riddim stand auf dem Cover.
Reggae spielte im Lebend des Norbert von zu dieser Zeit im Wesentlichen eine kleine und vor allem vergangene Rolle. Etwas Bob Marley, ein Dillinger-Album, eine Peter Tosh-Single, ein K-Tel Reggae Sampler, etwas Ska zwischen Specials und Madness – viel mehr stand im ansonsten nicht gerade kleinen Platten- und CD-Regal nicht.
Die beigelegte CD animierte Norbert etwas für seine musikalische Bildung zu tun. Seitdem ist er genau 50 Mal (zuletzt am 17. Juni 2010, dem VÖ-Datum der aktuellen Riddim-Ausgabe) in Zeitschriftenläden spaziert, um sein Exemplar einzusammeln. (Welche Folgen das für musikanisch.de hatte, kann man leicht erkennen, wenn man einmal in die alten Ausgabe klickt und die Reggae-Abteilung anschaut.) Auf ein Abonnement verzichtet er bewusst. Denn so stehen alle zwei Monate zwei Riddim-Exemplare im Zeitungslädchen der Spandauer Waldsiedlung, um eventuell weitere Neugierige zum Zugreifen zu verleiten.
Kurz vor Erscheinen der 50. Riddim hatte Norbert in der Kölner Redaktion angeklopft und den leitenden Redakteur Pete Lilly um ein Interview gebeten.
MAS: Hallo Pete!
Im August 2001 ist euer erstes Heft erschienen. Musikansich.de (erste Ausgabe Juli 2001) und die Riddim sind also fast gleich alt.
Bei uns war der Zeitpunkt Zufall, bei einem reinen Fan-Magazin stark in der Biographie des Gründers begründet. Die Riddim war aber von Anfang an das Produkt eines Verlages, der den Start eines neuen Magazins, bundesweit an allen Kiosken, genau überlegt.
Was lag 2001 in der Luft, dass ein erstes deutsches Reggae-Magazin an den Start gehen konnte?
Pete Lilly: Schon vor 2001 zeichnete sich ab, dass Reggae & Dancehall vom Kleinst-Nischendasein zu etwas Größerem strebten. Gentleman, Patrice und Seeed standen unmittelbar vor ihrem großen Durchbruch in den Mainstream. In jeder Kleinstadt entstanden Sound Systems. Reggae-Dances waren die Orte, wo man „authentisch“ feiern konnte und durch das Forward- und Rewind-Prinzip zum Mitmachen eingeladen wurde. Das war offenbar für viele neu und aufregend. Gleichzeitig waren die Codes, Konventionen, Produktionseigenheiten etc. von Reggae & Dancehall so anders als bei anderen Genres, dass offensichtlich ein großer Bedarf an Informationen und Erklärungen bestand.
MAS: Gibt es eine Person, mit der sich der Start der Riddim in besonderer Weise verbindet, einen Vater des Magazins sozusagen?
Pete Lilly: Florian Borns, auch bekannt als einer der ersten deutschsprachigen Reggae-/Dancehall-Artists Nattyflo, hatte bei dem HipHop-Magazin Juice, das im gleichen Verlag wie später Riddim erschien, eine Reggae-Kolumne und drängte die Redaktion wegen oben beschriebener Entwicklung dazu, ein Special über seine Lieblingsmusik zu machen. Was zunächst als Juice-Beilage gedacht war, entwickelte sich wegen der Fülle an Themen zu einem eigenen Heft, zunächst als Sonderheft gedacht. Doch nachdem es auf Anhieb so gut ankam, entschied der Verlag nach der ersten Ausgabe, es mit Riddim als eigenständigem Magazin zu versuchen. Nachdem Ellen Köhlings und ich einige Artikel zur ersten Ausgabe beigesteuert hatten, holte uns Flo ab der zweiten Ausgabe, die im März 2002 erschien, als Redakteure ins Boot. Er selbst wandte sich 2003 nach der siebten Ausgabe, als er das Gefühl hatte, sein Baby auf den richtigen Weg gebracht zu haben, wieder seiner Musikerkarriere, seinem Studium und seiner Familie zu. Für ihn kam dann Gerd Gummersbach in die Redaktion, der bis dahin den Reggae-Plattenladen Music Works in Köln betrieben hatte.
MAS: Die Rock Hard ging einmal als handkopiertes Metal-Magazin an den Start; die Eclipsed als Pink Floyd Fanzine. Klar das waren keine geschulten Journalisten, sondern Fans, die sich in die schreibende Materie langsam einlebten.
Euer Anfang sah anders aus. Wie war das Verhältnis von „reinen“ Reggae Fans und geschulten Schreibern?
Pete Lilly: Eigentlich sind alle Riddim-Autoren zunächst mal selbst „reine“ Reggae-Fans, die sich größtenteils durch Learning by Doing zu „geschulten“ Schreibern entwickelt haben. Ich selbst habe auch als Fanzine-Macher angefangen. Eine amtliche Ausbildung zum Journalisten hat – soweit ich weiß – niemand abgeschlossen. Am Anfang bestand für die Redaktion das Problem eher darin, dass geschulte Schreiber nicht genügend Ahnung von Reggae hatten und viele Reggae-Spezialisten nicht wussten, wie man einen journalistischen Text verfasst. Doch dank einiger professioneller Autoren waren und sind wir in der Lage, junge, unerfahrene Schreiber heranzuziehen, ohne dass die Qualität des Heftes darunter leidet.
MAS: Ein paar harte Facts. Wie sah die Entwicklung der (verkauften) Auflage und Zahl der Mitarbeiter aus? Ein kontinuierliches Wachsen oder eher ein Auf und ab?
Pete Lilly: Weder noch. Die Auflage ist seit der zweiten Ausgabe nahezu gleich geblieben. Es gab einmal eine Auflagenerhöhung von 40.000 auf 45.000, die aber eher vertriebstechnischer Natur war. Selbst in Zeiten eines kriselnden Medienbetriebs sind wir sehr dankbar für eine loyale und treue Leserschaft. Ein auch nach 50 Ausgaben noch steigender Abonnentenstamm hat es uns bisher ermöglicht, auch bei sinkenden Werbeeinnahmen ganz gut dazustehen.
MAS: Wenn Du auf die inhaltliche Entwicklung des Magazins zurückschaust. Gab es da besondere Phasen, die man abgrenzen könnte?
Pete Lilly: Am Anfang mussten wir viel Grundsätzliches erklären, in den ersten 29 Ausgaben hatten wir z.B. ein Patois-Lexikon, („Patois“ ist das Englisch-Kauderwelsch, das in Jamaika gesprochen wird und mittlerweile so sehr zum Markenzeichen „echter“ Reggae Musik geworden ist, dass es auch u.a. von deutschen Artists aufgegriffen wird; NvF) haben viel von der frühen Dancehall-Geschichte aufgearbeitet und die generellen Bedingungen beschrieben, unter denen Reggae in Jamaika entsteht. (Das Patois-Lexikon geht übrigens auf eine Anregung im allerersten Leserbrief zurück, der in der zweiten Ausgabe der Riddim erschienen ist - geschrieben von einem gewissen Norbert von Fransecky; Red)
Wir hatten uns zwar auch schon vorher mit dem Thema Homophobie in jamaikanischen Songtexten auseinandergesetzt, mussten aber spätestens ab 2004, als eine größere Öffentlichkeit von der Schwulenfeindlichkeit in einigen Dancehall-Lyrics erfahren hat, immer wieder die Musik vor den Anfeindungen von oft nur mit Halbwissen glänzenden, empörten Menschenrechts- und Schwulenaktivisten „verteidigen“. Dadurch sind wir bei einigen Lesern fälschlicherweise in den Ruf geraten, selbst schwulenfeindlich zu sein. Zwar ist das Thema im Heft noch lange nicht durch, aber inzwischen haben wir unsere Energien auch nach Jamaika gerichtet, wo wir sowohl im privaten Rahmen als auch in Vorträgen über die Wirkung bestimmter Inhalte auf ein hiesiges Publikum gesprochen haben, um deutlich zu machen, dass so genannte „Hate Speech“ der Musik außerhalb Jamaikas enorm schadet.
MAS: Irgendwann seid ihr vom reinen Magazin auch zum Veranstalter von Events geworden. Kannst Du dazu ein paar Worte sagen?
Pete Lilly: Unsere einzige Veranstaltung ist der jährliche Riddim Clash, der seit 2003 stattfindet. Die ersten drei Clashes fanden in der Münchner Muffathalle statt, von dort sind wir in das Düsseldorfer Stahlwerk umgezogen. Seit 2007 findet der Riddim Clash im E-Werk in Köln statt. Es hat zwar auch schon vorher Clashes in Deutschland gegeben, doch wir haben erstmals im großen Stil internationale Sounds hierher geholt und so dieser einzigartigen Disziplin in Deutschland zu einem größeren Publikum verholfen. Indem wir diese weltweit anerkannten Sounds gegen deutsche und europäische Sounds antreten lassen haben, konnten wir einigen hiesigen Sounds zu einer größeren internationalen Aufmerksamkeit verhelfen, so dass z.B. Sentinel aus Stuttgart und Supersonic aus Berlin heute in Reggae-Hochburgen in Jamaika, USA oder England auftreten.
(Zu dem Phänomen des Clash der MAS-Artikel „Nach dem Clash ist vor dem Clash - Die fremde Welt des Reggae, Teil 1“; NvF)
MAS: Hat sich die deutsche Reggae-Szene in der Zeit Eures Bestehens sehr verändert?
Pete Lilly: Ja, es hat sich einiges getan. Nach einer Phase, die von vielen als Boom bezeichnet wurde, 2001 bis ca. 2005, gab es eine Phase der Konsolidierung, andere sprechen von Gesundschrumpfen. In der Boom-Phase schien jeder Reggae-Fan irgendwie aktiv werden zu wollen, gründete ein Sound System, veranstaltete Dances und Konzerte oder begann Riddims zu produzieren, bis es irgendwann zu inflationär wurde und in einer Stadt mehrere Reggae-Veranstaltungen am gleichen Tag stattfanden und man sich gegenseitig das Publikum wegnahm. Das hat sich inzwischen aber selbst reguliert. Gleichzeitig ist in allen Belangen das Niveau enorm gestiegen, deutscher Reggae – ob in Form von Sound Systems, Sängern oder Produzenten – ist international anschlussfähig, in Europa sogar führend.
MAS: Mein Eindruck, der Eindruck eines Beobachters völlig von außen, ist, dass sich die Reggae-Szene sehr von anderen Musik-Szenen unterscheidet. Siehst Du, als Insider, das ähnlich.
Pete Lilly: Definitiv! Allein das Version-Prinzip, also dass ein Instrumental (Riddim) die Grundlage für mehrere, nicht selten für 20 und mehr Songs bildet, ist einzigartig und wird bis heute von vielen nicht verstanden – von wegen, Reggae klingt doch immer gleich. Ich erinnere mich, als Nosliw versuchte, seinen Song „Nur dabei“ in die Playlists der größeren Radiosender zu bekommen. Da der Tune auf dem gleichen Riddim war wie Seeeds „Waterpumpee“, lehnten ihn viele Musikredakteure ab, weil sie ihn für einen Rip-Off hielten.
(Zu dem Phänomen des „Riddim“ der MAS-Artikel „Der One-Riddim-Sampler: 16 Mal der gleiche Song auf einer CD - Die fremde Welt des Reggae, Teil 2“; NvF)
MAS: An der Riddim fällt – im Vergleich zu anderen Musikmagazinen – auf, dass die Musik natürlich wichtig, aber keineswegs der einzige Schwerpunkt ist. Ihr seid auch sehr deutlich ein Jamaika-, und eine Rastafari-Magazin, das vor allem über das Geschehen im Geburtsland des Reggae oft sehr kritisch berichtet.
Wie hoch würdest du die Bedeutung von Jamaika und Rasta für Euer Magazin einschätzen?
Pete Lilly: Die Redaktion hat sich immer sehr für das kulturelle Umfeld von Reggae interessiert. Auch wenn sich in Europa in den letzten Jahren einiges getan hat und besonders ältere Reggae-Fans nicht mehr alles schätzen, was aus Jamaika kommt, bildet die Insel noch immer das Epizentrum von Reggae. Deswegen halten wir es für wichtig, die Produktionsbedingungen, die ideologischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmen zu beleuchten, in denen Reggae entsteht. Denn ohne diese Hintergründe bleiben viele Aspekte der Musik einem europäischen Hörer unverständlich.
MAS: Als religiös gebundener und interessierter Mensch, bewegt mich die Frage, ob Rasta, als Neu-Religion des 20. Jahrhunderts in Deutschland zumindest punktuell angekommen ist. Kannst du dazu etwas sagen?
Pete Lilly: Es gibt auf jeden Fall Menschen in Deutschland, die sich als Rastas verstehen. Und es gibt sicher noch mehr, die zumindest große Sympathien für Rasta hegen – dazu zähle ich mich. Themen wie Vegetarismus, Umweltschutz, das menschliche und gesellschaftliche Miteinander werden durch die Rasta-Ideologie auf ein spirituelles Level gebracht. Aber wie bei jedem Transfer von einer Kultur in die andere gibt es natürlich auch in Bezug auf Rastafari einige Missverständnisse in Deutschland, die auch Riddim bisher noch nicht ganz ausräumen konnte. Wir haben also noch einiges zu tun...
MAS: Mit der Ausgabe Juli/August 2010 steht nun die 50. Riddim-Ausgabe an. Man merkt das aber kaum, da Eure Hefte nicht nummeriert sind. Seid Ihr Euch Eures Jubiläums überhaupt bewusst?
Pete Lilly: Oops, fast hätten wir es gar nicht bemerkt ;-) Siehe deine nächste Frage. Auf jedem Titelblatt stehen die Nummern der CDs, die identisch mit der Ausgabe sind, der sie beiliegen.
MAS: Bis zur letzten Ausgabe konnte man zumindest anhand der CD erkennen, wie weit ihr seid.
Der ersten Ausgabe im September/Oktober/November 2001 lag die Riddim CD #1 bei (die einzige DM-Ausgabe der Riddim übrigens) Und auch die CD zur Ausgabe Juli/August 2004 war als Riddim CD #14 durchnummeriert, obwohl es eine besondere CD zum 25. Geburtstag des Reggae-Labels VP Records war.
Jetzt aber in der 49. Ausgabe liegt der Riddim das komplette neue Album von Tanya Stephens bei – unnummeriert(!). In der Ausgabe 50 könnte also eine Riddim CD # 49 stecken und nichts wiese auf das Jubiläum hin.
Wollt Ihr Euer Alter verstecken?
Pete Lilly: Wir träumen von der ewigen Jugend... Im Ernst, am Zeitschriftenmarkt macht sich ein höheres Alter ja eher positiv bemerkbar.
Dass das Tanya Stephens-Album nicht nummeriert war, lag daran, dass wir eine besondere Heft-CD auch besonders gestalten wollten. Deswegen klebte die CD auch nicht wie sonst im Heft auf Seite 35, sondern vorne auf dem Titel. Aber das war eine einmalige Sache, ab sofort ist wieder alles beim Alten und es sollte niemandem entgehen, die wievielte Ausgabe die nächste ist.
MAS: Habt Ihr für die Jubiläumsausgabe etwas Besonderes in petto?
Pete Lilly: Nicht wirklich. In unserer Bescheidenheit lenken wir sogar ein bisschen von unserem eigenen Jubiläum ab, indem wir die mit dieser Ausgabe ebenfalls anstehenden Jubiläen von Rootdown Records, der Band Zion Train und des Summerjam Festivals in den Vordergrund rücken. Außerdem ist es nur noch ein Jahr, bis wir wieder ein Jubiläum haben: unser Zehnjähriges.
MAS: Die Riddim ist sicherlich einer der Motoren für Reggae in Deutschland.
Liefere bitte allen, die sich noch nicht intensiver mit dem Reggae und seiner culture beschäftigt haben, drei Gründe, dass in Zukunft verstärkt zu tun!
Pete Lilly:
1. Reggae ist die geilste Musik der Welt.
2. Reggae ist so facettenreich, dass er für jeden und in allen Lebenslagen etwas zu bieten hat.
3. Reggae ist die geilste Musik der Welt.
MAS: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Norbert von Fransecky
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