Musik an sich


Reviews
Stockhausen, K. (Ives Ensemble)

Refrain – Kreuzspiel – Plus-Minus


Info
Musikrichtung: Neue Musik Ensemble

VÖ: 23.04.2010

(HatHut / Harmonia Mundi CD / DDD / 2002 / Best. Nr. hat[now]ART 178)

Gesamtspielzeit: 72:41



NEUES VON STOCKHAUSEN

Dass Karlheinz Stockhausen in seinem eigenen Verlag ab 1991 praktisch sein Gesamtwerk auf rund 200 CDs veröffentlicht hat, mag ein Grund dafür sein, dass auf dem konventionellen Plattenmarkt nur eine recht überschaubare Auswahl von Einspielungen erhältlich ist. Nach dem Tod des Komponisten sind allerdings wieder einige Neuaufnahmen dazugekommen. Die vorliegende Produktion ist vor allem deshalb interessant, weil sie ein Stück enthält, das auf Stockhausens eigenem Label nicht verfügbar ist: PLUS-MINUS (1963). Wobei gerade dieses Werk aufführungspraktisch eine ziemliche Herausforderung darstellt: eine „Komposition für Komponisten“ (Rudolf Frisius). Die grafische Partitur legt nicht bestimmte Klänge fest, sondern nur, wo diese erscheinen und wie sie miteinander verarbeitet werden, wobei die Zahl 7 für die Kombinatorik eine wesentliche Rolle spielt. Es gibt z. B. sieben verschiedene Möglichkeiten, ein musikalisches Ereignis zu konstruieren, sieben Formeinheiten, sieben Möglichkeiten der Tongruppierung usw. Bevor die Interpreten sich an eine Aufführung machen können, muss die hochformalisierte Vorlage erst einmal von einem Komponisten eingerichtet werden. So hat es vielleicht seinen guten Grund, dass Stockhausen hier keine eigene oder von ihm betreute Aufnahme veröffentlicht hat – hier sind andere gefordert, aus seiner Matrix ein Stück Musik zu machen.

Das in diesem Fall mit 14 Spielern besetzte Ives Ensemble arbeitet mit einer Palette griffiger, attraktiv orchestrierter Patterns, die sich im Plus-Minus-Prozess pausenlos verwandeln. Manche Elemente scheinen wie aus einem Stück von Morton Feldman entnommen und in eine fremde Umgebung verpflanzt worden zu sein und das Ensemble testet aus, wie sie sich unter den neuen Bedingungen entwickeln. Die Feldman-Assoziation rührt möglicherweise auch davon her, das kleine chromatische Felder beackert und kultiviert werden. Mit rund fünfzig Minuten ist das Werk das längste und sicherlich gewagteste der Platte – leider gibt es keine Äußerung des Komponisten zu dem Projekt (zum Zeitpunkt der Aufnahme 2002 lebte er noch). Frühere Äußerungen zu anderen Realisationen zeigen allerdings, dass er sich gerne überraschen ließ und auch solche Elemente tolerierte, die er selbst bislang ausgeschlossen hatte. Auf jeden Fall hält das Ives-Ensemble die Spannung für die gesamte Zeit, zeigt sich erfindungsreich und kostet das Spektrum zwischen kunstvoller Rauigkeit und verfeinerten Texturen weidlich aus.

Die beiden anderen Werke auf der Platte sind KREUZSPIEL (1951) und REFRAIN (1959). Das frühserielle Kreuzspiel (Stockhausen CD 1) löste bei der Uraufführung wegen seiner arithmetischen Strenge einen Skandal aus. Heute nimmt man es in seiner rhythmisch belebten Schwarz-Weiß-Konstruktivität zwar durchaus als ein Stück der Nachkriegszeit wahr, es wirkt aber nicht veraltet. Jetzt vernimmt man wohl eher seine ritualhaften Züge, zumal das Ives-Ensemble den (vor allem zu Beginn) pulsierenden Schlagzeugpart suggestiv handhabt und die hart gesetzten Ton-Punkte von Klavier und Holzbläsern gar nicht so unnahbar abstrakt wirken. Von daher ergänzt diese Aufnahme gut Stockhausens eigene analoge Produktion, die allerdings klanglich noch mehr Substanz hat.

REFRAIN existiert in zwei Stockhausen-Aufnahmen: einmal in der relativ offenen Originalfassung (CD 6) und dann in einer stärker festgelegten Neufassung unter dem Titel 3 x REFRAIN 2000 (CD 62). Die Idee: In einer festgelegten Partitur (Klavier, Schlagzeug und Celesta) kann mit einem beweglichen und transparenten Schieber ein ebenso präzise notierter Refrain immer neu positioniert werden und dadurch die Musik im Ganzen verändern. Das wirkt in der Beschreibung sehr technisch, klingt aber poetisch: kühl, gläsern, kristallin, metallisch, ätherisch (also hart und weich!). Die Musiker singen bzw. rufen aber auch Silben in die Musik hinein und färben sie dadurch. Der Effekt kommt vom japanischen No-Theater her. Mit diesen Einwürfen war Stockhausen in der Erstaufnahme klangtechnisch nicht zufrieden, weil sie zu undeutlich geraten waren. In der Neuproduktion 3 x REFRAIN 2000 ist das viel besser gelöst. Das Ives-Ensemble bleibt diesbezüglich leider dahinter und auch hinter der älteren Fassung zurück. Zu schwach und unentschieden wird der Vokalpart realisiert und wirkt dadurch wie eine Hintergrundstörung.



Georg Henkel



Besetzung

Ives-Ensemble

Richard Rijnvos: Leitung (Kreuzspiel)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>