Gluck, Chr. W. (McCreesh)
Paride ed Elena
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Info |
Musikrichtung:
Oper
VÖ: 09.05.2005
Deutsche Grammophon Archiv / Universal Classics 2 CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. 477 5415
Gesamtspielzeit: 146:19
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DIE ZÄRTLICHKEIT DES AUGENBLICKS …
Er hoffe, dass Gluck in einigen Jahren die Hörer ebenso begeistern werde wie Händel. So Paul McCreesh anlässlich seiner neuesten Aufnahme, die die Gluck-Diskographie um ein wenig bekanntes Werk bereichert: Paride ed Elena. Ob sich die Begeisterung aber gerade an dieser Oper entzünden wird? Das 1770 vollendete Dramma per musica gehört zwar in den Kreis der späten „Reformopern“ des Komponisten, die mit allem vokalen Zierrat und Gefühlsschematismus der Barockoper aufräumen wollen. Dennoch fristete es bislang eher ein Schattendasein. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Zwar gibt es einige ganz herrliche und berührende Arien wie das wunderbar klagende Le belle immagini oder das „Ensemble“ Quegli occhi belli zu entdecken. Die immer üppigeren, von Rezitativen unterbrochenen vokalen Aufschwünge des Paris, der hier die geliebte Helena allein durch seine Stimme zu betören sucht, sind ein Höhepunkt des Werks. Gluck gelingt es, die Mittel der „alten“ Oper – Wiederholung, Variation und Verzierung – in den Dienst einer neuen Gefühlsästhetik zu stellen. Aber die schönen Momente sind eben nicht alles ... Das Libretto ist ganz darauf ausgerichtet, allein den emotionalen Haushalt der zwei Hauptpersonen auszuloten: Auf der einen Seite der glühend verliebte Paris, auf der anderen Seite die spröde Helena, die sich seinem Werben schließlich ergibt. Amor gießt Öl ins Feuer der Leidenschaften, nur Pallas Athena stört die zärtlichen Bande mit einer Prise Theaterdonner. Das ist alles. Äußere Konflikte und Intrigen gibt es nicht, allein die Anziehungs- und Abstoßungsreaktionen der Protagonisten treiben das Stück voran. Die Gefahr dramatischer Leere erkannte schon Gluck und suchte durch treffende musikalische Charakterisierung der sanften Phrygier (Paris) und rauen Spartaner (Helena) vorzubeugen. In jedem Fall bleibt Schlichtheit oberstes Gebot. Dass originelle Einfälle die Sache des Komponisten nicht sind, bemerkt man vor allen in den instrumentalen Einlagen und Überleitungen. Insbesondere die Tanzeinlagen sind - wie so oft bei Gluck - eher eindimensional und unpersönlich. Die einfache Harmonik und häufige Wiederholungen fügen sich zwar diskret in das „verinnerlichte“ Gesamtkonzept, entwickeln aber kaum je so etwas wie körperliche Energie oder dramatisches Eigenleben. Nimmt man noch die zahlreichen Rezitative dazu, deren „revolutionäre“ durchgängige Orchesterbegleitung in Wirklichkeit meist kaum mehr ist als ein ausgesetzter Cembalopart, dann muss man Paul McCreesh recht geben: All das würde bei einem drittklassigen Ensemble zu einem wenig erfreulichen Ergebnis führen: gepflegter Langeweile.
In diesem Fall rettet allein die vorzügliche Besetzung und der pointierte, aber niemals überzogene Ansatz des Dirigenten die Reformideale des Komponisten vor der Erstarrung. Die Anschaffung der Aufnahme lohnt in erster Linie wegen der wirklich elysischen Interpretation. Das ist fast schon ein kleines Wunder: Die Oper verzaubert, obwohl man ihre Mechanismen in jedem Augenblick zu durchschauen glaubt. Oder ist es vielleicht doch nicht so einfach mit Gluck!? McCreesh versucht erst gar nicht, das Werk durch einen forcierten Zugriff „spannender“ zu machen; spritzig, locker und vor allem duftig klingt der Orchestersatz, seine Farbwerte sind sehr genau ausgehört und werden vor allem im Rezitativ mit Gewinn eingesetzt. Die Tempi sind flüssig, aber niemals hastig. Indem der dramatische und emotionale Gehalt jedes Wortes herausgearbeitet wird, ohne die große Linie aus dem Auge zu verlieren, gelingt es, die Spannung ganz nach innen zu richten. In den besten Momenten der Oper kann sich so die Kraft und Süße der Melodien in bewegender Intensität entfalten.
Überragend ist der Paris von Magdalena Kožena, der vom ersten bis zum letzten Ton gefangen nimmt. Sein Liebeswerben und –klagen gerät bei der tschechischen Sängerin derart berührend, dass man alle Einwände, die man gegen Glucks Musik haben kann, vergisst. Feinste Differenzierungen im Ausdruck stehen ihr ebenso zu Gebote wie ein müheloser Ansatz und ein schimmernder, warmer Ton, durch den die durchdachte Interpretation vollends zum Hochgenuss wird. Kein Wunder also, dass auch eine Helena bei solchen vokalen Flirts schließlich die Contenance verliert. Susan Gritton verbreitet zwar nicht den jugendlichen Charme, den man bei einer Helena erwartet hätte. Mit ihrem feinherben, "strengeren" Timbre fügt sie sich allerdings bestens in Glucks Konzept der beiden unterschiedlichen Welten und ergänzt Kožena sängerdarstellerisch vollkommen. Den beiden Liebenden sekundiert Carolyn Sampsons mit jugendfrischer Stimme als zugleich verspielter und machtbewusster Amor. Deshalb – und nur deshalb:
Georg Henkel
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Besetzung |
Magdalena Kožena, Paride Susan Gritton, Elena Carolyn Sampson, Amore Gillian Webster, Pallade
Gabrieli Consort & Players
Ltg. Paul McCreesh
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