Rockmusik – die laute Seite des Kirchentags (Teil 2, Freitag)
Tag 3 -Freitag, der 27. 5. 2005
Die katholische Band loud + clear war eine der Entdeckung des Ökumenischen Berliner Kirchentags 2003. Also habe ich mich bemüht, sie auch in Hannover wieder auf das Programm zu setzen. Zwei Mal waren sie zu sehen. Samstag war nicht möglich. Dafür traten sie am Freitag in eben der Gemeinde auf, in der ich den Donnerstag beschlossen hatte, ganz in der Nähe meiner Bettstatt also. Daher entschied ich mich für ein ausgiebiges Frühstück und einen späten Start um 11 Uhr in der Vahrenwalder Gemeinde.
Trotz der frühen Morgenstunde legten die Mönchengladbacher von Start weg voll los. Frontmann Albert Bettin sorgte mit seinen engagierten Ansagen schnell dafür, dass das Eis zwischen Band und Publikum brach. Aber wer in der Gemeinde Jugendgruppen managet, hat auch die Fähigkeiten einen Auftritt zu präsentieren. Wie gehabt sind loud + clear auch 2005 ein gemischter Fünfer. Allerdings wurden die weiblichen Anteile komplett erneuert. Birgit Breiden hat Claudia Ehrhardt am Bass ersetzt und Ela Öner schwingt statt Margaret Egger das Mikro. Vor allem Elas dunkle Stimme ist ein echter Gewinn für die Band und macht die zierliche Sängerin zur zweiten Speerspitze neben dem klar dominierenden Bettin.
Musikalisch ist alles beim Alten geblieben: Deutschrock in gemäßigter Springsteen-Tradition und christliche Texte, die nicht missionieren, sondern Erfahrungen aus dem Alltag von Christen erzählen. Packend kommen die alten Hits “Giorgia“, das „harte Weihnachtslied“ “Nazareth Bahnhof“ und “Sorrento Bay“, die sofort zum Mitsingen einladen. Das neue “David“ ist eine Art männliche Antwort auf Ina Deters “Neue Männer braucht das Land“. Wie Exemption am Abend zuvor hatten auch sie einen Coversong im Gepäck, der erheblich kraftvoller als das Original verpackt wurde. In diesem Fall war es Joan Osbornes “One of us”.
loud + clear legten einen äußerst tighten Auftritt ab. Viele professionelle Bands sind lange nicht so gut aufeinander eingespielt, wie diese Amateure. Bedauerlich für mich war nur Zweierlei. Die neue loud + clear-CD ist noch fertig und ich musste bereits nach einer halben Stunde meine Zelte abbrechen, um weiter zu ziehen. (www.loudandclear-mg.de)
Auf dem Weg zum ersten inhaltlichen Event dieses Tages wollte ich noch zwei weitere Bands ansehen. Zuerst ging es ein weiteres Mal ins Capitol. Dort hatte das Septett C-braz - sprich: Zebras - den Mittagsslot ergattert und musste vor relativ leeren Reihen spielen. Vom Hocker gerissen hat mich der recht biedere Deutschrock nicht. Das praktisch nicht vorhandene Stageacting trug weiter dazu bei, dass kein rechter Funke übersprang. Die Chance in dieser professionellen Discothek, in der ich bereits Uriah Heep, Sweet und Nazareth gesehen habe, aufzutreten, hätten andere Bands eher verdient. Nach diesem Auftritt hat mich die Klasse ihrer CD Überwasserläufer zugegebenermaßen überrascht, obwohl ich durchaus notiert hatte, dass die Truppe sehr geschlossen und eingespielt agierte und damit punkten konnte, dass sie wesentlich besser als andere Bands in der Lage waren, auch ruhige Passagen zu präsentieren ohne größere Schwächen zu zeigen. (www.c-braz.de)
Ganz böse war ich über die schwache Leistung der C.braz aber nicht. Denn so hatte ich tatsächlich noch die Zeit, mir Charisma anzuhören, “ästhetischen Rock bei erträglicher Lautstärke“, wie es im Kirchentagsprogramm hieß. Also wieder in die Straßenbahn – weit nach Süden noch eine Stadion über den Abzweig zum Messegelände hinaus. Gegenüber der Wülfeler Brauereigasstätten befindet sich die katholische St. Michael Gemeinde. In der heißen Mittagshitze liegen bereits ein paar Kirchentagsbesucher im Gras vor der Kirche. Drinnen im Kühlen sind Charisma noch mit dem Soundcheck beschäftigt.
Sie hätten nichts mit der schwedischen Band Charizma zu tun, erklärt mir Keyboarder und Gitarrist Matthias Studer. In der christlichen Szene ein wichtiger Hinweis, da die Schweden in den letzten Monaten reichlich von sich reden gemacht haben. Von der gleichnamigen deutschen Metalband Charisma, die 1999 zumindest ein Album über Massacre veröffentlicht hat, weiß er nichts. Aber seine Band habe wahrscheinlich die älteren Rechte. Es gibt sie immerhin schon seit 22 Jahren. Besonders stolz ist er darauf, dass die Band zusammengeblieben ist, obwohl man mittlerweile über Deutschland verteilt lebt. Schwerpunkt dabei ist Bremen. Beim Kirchentag sei man allerdings erst einmal dabei gewesen, tröstet er mich angesichts meines Nicht-Wissens.
Charisma treten ausschließlich mit Eigenkompositionen an, die mit professioneller Beamer-Begleitung präsentiert werden. Auf einen Still legt Studer sich nicht fest. Das überlässt er mir. Jazz-Rock, Funk-Rock und Soft-Rock seien aber wohl die wichtigsten Einflüsse. Und das hört man. Ruhige eher sanfte Rockmusik erklingt – so sanft, dass man schnell auch von Popmusik sprechen möchte. Das Dreckige, Raue, Aggressive der Rockmusik hat bei den sehr erwachsen wirkenden Musikern keinen Platz. Beruflich sind sie auch nicht in irgendwelchen „jugendnahen“ Branchen verankert. Kaufmännische Berufe oder Controlling in größeren Unternehmen liefern die Basis für das Leben, in dem die Musik den Hobbyraum füllt. Bassist Thorsten Müller sorgt für die funkigen Tupfer und Saxophonist Michael Studer lässt die Jazz-Rock-Bands nicht in Vergessenheit geraten. (www.charisma-band.de)
Elegant, gepflegt, erwachsen wirkt das ganze – oder eben „ästhetisch“ wie im Programm angekündigt. Leider nicht pünktlich. Und so muss ich das Konzert schon nach drei oder vier Stücken verlassen. Immerhin bekomme ich bei “Mundwerk“ noch mit, dass die Band auch vor Rap und HipHop nicht ganz zurückschreckt. Jetzt aber schnell zum Messegelände. Im Conventioncenter geht es wieder um das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zum Islam, eins meiner beiden thematischen Schwerpunkte in diesem Jahr. Diesmal geht es um den Islam und die Jugendkultur. Während die Veranstaltung am Vortag in einen weiteren Konferenzraum übertragen werden musste, ist der ca. 1.500 Menschen fassende Saal 2 diesmal nur zu Zweidritteln gefüllt – und bietet sogar Material für diesen Artikel.
Ein Kulturprogramm gehört zu fast jeder Kirchentagsveranstaltung. Angesichts des Themas haben die Veranstalter diesmal das Rap-Duo Selcuklu Deniz Bax und Dr. Isolight eingeladen. Dr. Isolight, hauptberuflich AzuBi als Maler und Lackierer, wird später an der Podiumsdiskussion teilnehmen. Sprecher der beiden aber ist Selcuklu Deniz Bax. Der rappende Moslem versucht zurzeit in Berlin eine Jugendarbeit mit islamischen Jugendlichen aufzubauen, die einen interkulturellen Charakter hat und zur Integration beitragen soll. Bei islamischen Verbänden ist er mit dieser Idee bislang allerdings abgeblitzt. Seinen Texten merkt man sein Engagement an. Die islamische Identität ist unverkennbar; das Bemühen um eine interreligiöse Ökumene aber ebenso. Er betont in seinen Texten das Gemeinsam der beiden abrahamitischen Religionen.
Die Evangelische Darlehnsgenossenschaft, eine Bank für kirchliche Mitarbeiter, hatte auf dem Messegelände eine eigene Bühne aufgebaut. „Kirchentag für Klimaschutz“ war dort zwischen Convetioncenter und Expo-Gelände drei Tage lang Thema. Die Irish Folker Eileen Q, die seit Längerem bei Kirchentagen auch die großen Hallen füllen, gehörten zum „naturnahen“ Programm und bemühten sich das vor Hitze ächzende Kirchentags-Volk zum tänzerischen Mitmachen zu animieren. Direkt vor der Bühne gelang das auch. Der größte Teil des Publikums aber nutzte die große Freitreppe zum Expo-Gelände, an dessen Fuß die EDG-Bühne stand, um abzuhängen und sich berieseln zu lassen. Aber auch hier wippten Füße und Hände bei den mitreißenden Klängen von Gitarren und natürlich der in diesem Fall unentbehrlichen Violine. Bassist Michael „Zoppo“ Sobotke fiel optisch etwas aus dem Rahmen. Das bunte Hemd erinnerte eher an Hawaii als an Irland, passte aber perfekt zu den Temperaturen.
Eileen Q sind, wie gesagt, schon länger angesagte Kirchentagsgäste. Christliche Texte darf man von ihnen dennoch nicht erwarten. Alle Musiker sind aktive Christen, erklärte man mir am Merchandise-Stand. Daher auch das Bemühen auf dem Kirchentag dabei zu sein. Die Musik solle aber einfach Spaß machen. Eileen Q spielen sowohl irische Traditionals, als auch Eigenkompositionen, die sich aber stark an der Tradition orientieren. (www.eileenq.de)
Mein Freitag sollte inhaltsschwer zu Ende gehen. „Kirche macht (gute) Schule“ hieß es ab 19 Uhr im Alten Rathaus. Dazu musste ich natürlich wieder mitten in die Stadt. Am Hauptbahnhof standen gerade Crossing auf der Bühne und ich konnte mir die Informationen holen, die gestern im Capitol unzugänglich waren. Crossing sei keineswegs eine reine Cover-Band erfuhr ich. Die erste CD, die sich stolze 2.000 Mal verkauft habe, sei allerdings noch eine reine Cover-CD gewesen. Demnächst käme eine CD mit Eigenkompositionen. Eine zweite Überraschung erlebte ich, als man mir sagte, die „Milchbubis“ auf der Bühne seien allesamt schon mit dem Studium beschäftigt. Ich hätte sie im gehobenen Konfirmandenalter vermutet. Sie agierten recht engagiert, aber ebenso austauschbar mit modernem Gitarren-Rock.
Norbert von Fransecky
Zu Teil 3 des Berichts
|