Retrospective
Retrospekcje
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Retrospective brachten nach den Re-Releases ihrer Frühwerke Spectrum Of The Green Morning und Stolen Thoughts (siehe Rezensionen auf diesen Seiten) auch noch einen neuen, dem Rezensenten bisher unbekannten Longplayer namens Latent Avidity heraus, wurden in dessen livehaftigen Promoaktivitäten anno 2020 aber dann genauso ausgebremst wie die allermeisten anderen Bands da draußen auch. Immerhin tat sich dahingehend ein Silberstreif am Horizont auf, dass sie beim vom üblichen Frühjahrstermin in den Herbst verlegten Artrockfestival in Reichenbach spielen konnten – und justament dort erblickte dann ein weiterer neuer Tonträger das Licht der Welt, nämlich die EP Retrospekcje. Hier läßt schon der Titel erahnen, dass es um eine Art Blick in die Vergangenheit gehen könnte, und das trifft dann auch partiell ins Schwarze, aber eben nur partiell: Die Formation hat von jedem ihrer Full-Length-Alben einen Song hergenommen und diesen mit polnischem Gesang versehen – bisher war das Material in Englisch betextet gewesen. In welchem Rahmen auch instrumentale Passagen neu aufgenommen wurden, muß der jeweilige Kenner der Originale beurteilen, was auf den Rezensenten nur beim Opener „Wczorajszy Sen“ zutrifft, denn dahinter verbirgt sich „Yesterday’s Dream“ von Stolen Thoughts, allerdings zehn Sekunden verlängert und wohl zumindest partiell neu eingespielt. Die vier polnischen Nummern sind chronologisch sortiert: „Ocean Malych Mysli“ stand als „Ocean Of A Little Thought“ auf dem 2012er Album Lost In Perception, „Wlasciwa Droga“ hieß auf dem 2016er Werk Re : Search noch „Right Way“, und „Samotnosc“ stammt vom erwähnten neuen Album Latent Avidity und trug dort den Titel „Loneliness“. Die neuen Titel lassen vermuten, dass die Lyrics mehr oder weniger bedeutungsgenau übersetzt wurden, also keine komplette inhaltliche Umtextierung stattgefunden hat. Auffällig ist, dass Sänger Jakub Roszak in den Nummern ab 2012 deutlich mehr Unterstützung durch eine weibliche Zweitstimme erhalten hat, wobei unklar bleibt, ob es sich um Keyboarderin Beata Lagoda oder eine externe Gastsängerin handelt: Der Digipack, in dem die EP steckt, enthält auf der Rückseite die Songtitel, die URL der Bandhomepage, die Kontaktmailadresse und eine Copyrightangabe, sonst nichts, und somit bleibt unklar, wer hier im Detail eigentlich musiziert. Unten angegeben ist also die Besetzung des 2019er Latent Avidity-Albums in der Annahme, dass die konstant geblieben sein könnte, wie es bereits seit vielen Jahren der Fall gewesen ist.
Dramaturgischer Höhepunkt der EP ist zweifellos das mittig plazierte „Wlasciwa Droga“ mit seiner langen spannungsaufbauenden Dynamiksteigerung im Hintergrund, während „Samotnosc“ etwas überraschende alte Wave-Einflüsse durchscheinen läßt, die sich allerdings gekonnt in den angedüsterten Progrock der Polen einfügen. Für die Neufassungen wurden eher kompakte Tracks gewählt, keine der ausladenderen Nummern, aber das gerät in diesem Fall weder zum Vor- noch zum Nachteil, sondern ist einzig als Fakt interessant – nach welchen konkreten Kriterien die Auswahl erfolgte, ist zumindest dem Rezensenten nicht bekannt, in diesem Fall aber auch egal: Die stilistische Geschlossenheit ist groß genug, dass man, weiß man nicht um den Hintergrund der Songs, die EP auch für ein eigenständiges neues Werk der Band halten könnte.
Mit den vier polnischen Songs ist Retrospekcje aber noch nicht zu Ende – es gibt noch einen fünften, der zwar nicht auf dem Backcover, wohl aber auf der Bandhomepage als Bonustrack deklariert ist. Dort steht „Regret And Frightened Child“ als „remastered“ vermerkt, aber dabei ist es ohrenhörlich nicht geblieben: Das Original von Spectrum Of The Green Morning dauert zumindest in der Re-Release-Fassung 5:38 Minuten, die neue Version aber nur 4:01 Minuten, und der stark künstliche Charakter der Drums im Intro tut ihr auch nicht gut und ist dem Original (zumindest der Re-Release-Fassung – das ganz alte Original von 2007 besitzt der Rezensent bis heute nicht) klar unterlegen, und die Streichung von guten Teilen des Solos nützt allenfalls der Tatsache, dass die neue Fassung jetzt insgesamt einen fließenden Charakter besitzt, den das besagte Solo im Original aufgebrochen hatte. Irgendwie fällt es dem Rezensenten schwer zu glauben, dass ein guter Teil der Retrospective-Anhängerschaft die neue Version höher schätzen wird als die alte, aber die Band wird sich schon was dabei gedacht haben. Das Urteil über die wieder mal den bandtypischen Baum auf dem Cover zeigende EP als Ganzes wird dadurch allerdings nicht wesentlich verändert: Anhänger der Band können gern reinhören, Neueinsteiger sollten sich zunächst den regulären Werken widmen.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Wczorajszy Sen | 4:49 |
2 | Ocean Malych Mysli | 3:40 |
3 | Wlasciwa Droga | 4:51 |
4 | Samotnosc | 5:14 |
5 | Regret And Frightened Child | 4:01 |
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Besetzung |
Jakub Roszak (Voc)
Alan Szczepaniak (Git)
Maciej Klimek (Git)
Beata Lagoda (Keys)
Lukasz Marszalek (B)
Robert Kusik (Dr)
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