Rameau, J.-Ph. (Vashegyi, G.)

Naïs


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 06.04.2018

(Glossa / Note 1 / 2 CD / DDD / 2017 /Best. Nr. GCD 924003)

Gesamtspielzeit: 145:10



SEESCHLACHT UND ROKOKOIDYLLE

Bei dem fulminanten Auftakt von Jean-Philippe Rameaus heroischer Pastorale Naïs muss man befürchten, dass der Komponist sein musikalisches Pulver schon im Prolog verschießt: Die rasante Ouvertüre geht bruchlos über in eine große Chor- und Orchesterszene, die den Ansturm der Titanen auf den Olymp als virtuoses Schlachtengemälde ausmalt. Gleich mehrfach, im Wechsel mit dramatischen orchesterbegleiteten Rezitativen, drängen die Chaosmächte gegen die Götterwelt, bevor sie von Jupiter mit Blitz und Donner zurückgeschlagen werden.
Die Wahl dieses Sujets ist kein Zufall: Die Oper wurde 1748 anlässlich des Friedens von Aachen komponiert; nach achtjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen um die österreichische Erbfolge durfte sich Frankreich zu den Gewinnern zählen und Ludwig XV. sich im siegreichen Jupiter wiedererkennen. Befreit vom ideologischen Ballast der Vergangenheit kann man das Spektakel heute als musiktheatralischen Coup genießen, der auch ohne eine aufwändige Bühnentechnik und pyrotechnische Effekte im wahrsten Sinne zündet.

Der ungarische Purcell Choir und das Orfeo Orchestra unter der Leitung von György Vashegyi lassen sich denn auch die Gelegenheit nicht entgehen und trumpfen mit instrumentaler und vokaler Durchschlagskraft und virtuosem Brio auf. Wo in der älteren Einspielung von Nicolas McGegan eine gewisse britische Berherrschtheit die artifizielle Seite der Musik betont, packt Vashegyi den Hörer durch eine Entfesselung der klanglichen Elemente.
Überhaupt: Vashegyi und seine Musiker und Sänger bieten nicht zum ersten Mal die französische Musik des 18. Jahrhundert so hohem Niveau dar! Bereits mit Rameaus "Les Fetes de Polymnie" und Mondonvilles "Isbé" haben diese Künstler gezeigt, das sie wissen, wie man an diese Musik herangehen muss. Die neue Achse Versailles/Paris-Budapest sollte man sich darum unbedingt merken!

Nun ist "Naïs" ansonsten aber eine Pastorale und wie bei vielen der "kleineren" Opern Rameaus überwiegt denn auch in den übrigen drei Akten ein galanter, nicht allzu dramatischer Ton, was gelegentliche klangliche Ausbrüche, wie z. B. bei der Darstellung einer Seeschlacht und eines Erdbebens im 3. Akt, nicht ausschließt.
Die Nymphe Naïs wird von Neptun begehrt, der sich seiner Favoritin zunäccst inkognito nähert. Umschwärmt wird die Dame aber auch von Telenus und Asterion. Die beiden Galane werden vom schmollenden Bass Thomas Dolié und dem leicht hysterisch hohen Tenor des Manuel Nunez-Camelion trefflich charakterisiert. Gegen den charmant-edlen Tenor-Neptun von Reinoud van Mechelen, der zugleich mit heroischer Geste seine göttliche Herkunft bezeugt, haben sie freilich am Ende keine Chance. Dass die drei Herren sich um ihre Herzensdame Naïs derart mühen, dass es schließlich zum Krieg kommt, wird freilich verständlich, wenn man die warme, blühende und in der Höhe auch kokett-funkelnde Sopranstimme von Chantal Santon-Jeffery hört.

Musikalisch ist das Werk wahrlich schönstes Rokoko und Rameau passte sich dabei in so weit dem Geschmack seines verwöhnten Publikums an, dass er in diesem Fall z. B. harmonische Experimente und allzu unkonventionelle melodische Wendungen vermied. Seine Kunst verlagerte er mehr unter die Oberfläche. Freilich: Der Hörer, der mit Rameaus Werken vertraut ist, wird - vor allem in den Rezitatven und manchen Arietten - eine ganze Reihe Formeln hören, die man so auch aus anderen Werken dieser Schaffensphase kennt.
Nun ist Rameau aber selbst da, wo er die eigenen Konventionen bedient, in der Regel der bessere Komponist als seine Kollegen. Und trotz gewisser Routinen sollte man die vielen Schönheiten der Musik nicht überhören: Vor allem in den Tänzen erweist sich Rameau wieder einmal als Pulsgeber und genialer Orchestrator, der eine ganze Reihe neuer, ungewöhnlicher Klangkombinationen erprobt, die in dieser Einspielung mit allerlei Schlagwerk gewürzt werden. Sehr schön sind auch die vielen gesungene Tänze, bei denen die instrumentalen Parts um vokale ergänzt werden. In den großen Divertissements können sich diese Farbigkeit und der musikalische Glanz auch im Chorischen reich entfalten. Auch einige Solonummern wie der große Monolog des Neptun zu Beginn des 3. Aktes ragen heraus. Dank des Ausdruckswillens und des Temperaments der Ausführenden fällt die Spannung darum nur selten ab.

Die Produktion wurde im neuen Béla-Barték-Konzertsaal des Müpa-Kulturzentrums aufgezeichnet - die hervorragende Akustik sorgt für ein farbenreich gefächertes und räumlich gut gestaffeltes Klangbild. So kann man dieses "Gelegenheitswerk" ruhigen Gewissens nicht nur Rameaufreunden ans Herz legen.



Georg Henkel



Besetzung

Chantal Santon Jeffery, Reinoud van Mechelen, Florian Sempey, Thomas Dolie, Manuel Nunez-Camelion u. a.

Purcell Choir

Orfeo Orchestra

György Vashegyi, Leitung


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