Matana Roberts
Coin Coin Chapter One: Gens de Couleur Libres
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Auch als eingefleischter Jazzfan kann man nicht alles kennen.
So geht es mir im Falle dieser Dame, Matana Roberts.
Die 1978 in Chicago geborene Musikerin wuchs dort in der South Side auf.
Ihre ersten musikalischen Einflüsse sollen von Jazzern wie Albert Ayler und Sun Ra ausgegangen sein. Dieses lässt insofern bereits vermuten, wo die Reise hingehen soll.
Offensichtlich haben sich diese Einflüsse manifestiert, nicht nur die spätere Zusammenarbeit mit Musikern des freien und avantgardistischen Jazz deutet darauf hin. Zu nennen sind hier exemplarisch Oliver Lake, Henry Grimes oder Julius Hemphill.
Die seit 2002 in New York lebende Künstlerin veröffentlichte seit jenem Jahr sieben Platten inklusive dieser.
Ihre Musik ist eindeutig Ausdruck zeitgenössischer afro-amerikanischer Musik, im Spannungsfeld von Jazz, Avantgarde und Experiment.
Diese Aufnahmen entstanden live, vor gut 30 geladenen Gästen, im Hotel2Tango-Studio in Montreal, am 9.7.2010.
Jene, die dabei waren, zähle ich zu den Glücklichen, die ein hervorragendes Konzert erlebt haben.
Nun dürfen wir alle auch daran teilhaben, und das ist auch gut so.
Mit Saxofon und Klavier startet die Reise durch ein Universum des Ungewöhnlichen, hier finden sich im Saxofonspiel bisweilen bluesige Untertöne, eine erste Zutat, die ich ausmache.
Herrlich, diese Spontanausbrüche auf dem Sax, sehr ausdrucksstark. Doch insgesamt wird es freier und Zuhörer sind bereits jetzt schon gefordert.
Im zweiten Titel scheint einem Gefühl von Verzweiflung freier Lauf gelassen zu werden, ekstatische Schreie mit der Nähe zum Weinen, Scharen von Hummeln gleich agieren Instrumente im Hintergrund, bevor auch sie sich einen Weg ins Freie bahnen und mittels eines erkennbaren Themas einen federnden Rhythmus anstreben und darüber eine Geschichte erzählt wird, von der Entwicklung eines Kindes, wie es aufgewachsen ist. Man sollte hier aufmerksam lauschen, was zum Besten gegeben wird.
Nicht nur, dass die einzelnen Titel in ihrer Struktur unterschiedlich sind, auch innerhalb der Stücke ändert sich die Atmosphäre oft und unvermittelt, den Gästen wurde insofern ständige Abwechslung geboten.
So endet Pov Piti mit Geigenklängen, die auch aus den Weiten der Puszta hätten stammen können, um ohne Pause gleich in den nächsten Song überzugehen.
Kurzum, die Musik fordert viel Aufmerksamkeit, alle Sinne, und läßt man sich darauf ein, so kann man ein unglaublich weites Spektrum geniessen, ob es die bereits genannten Geigen sind, oder eine verzerrt gespielte Gitarre oder diverse Bläser, eine 'singende Säge' ist gar dabei.
Vieles bedient sich aus dem Schatzkästlein afro-amerikanischer Musik, aber auch Eigenes ist eindeutig zu vernehmen, hier gibt es keine 'Schublade', die Musiker agieren frech und ohne sich um Grenzen und festgelegte Inhalte zu scheren. Ganz plötzlich fühle ich mich zurück versetzt, in die Sechziger, ja, das ist doch die Stimmung aus der Zeit, als John Coltrane sich in einer Aufbruchstimmung befand, wie man sie auf dem Album Africa Brass nachvollziehen kann. Ich meine den Titel Kersalia.
Aber auch gesangliche Ursprünge von Worksong, Gospel und ähnlichem halten Einzug auf Libation For Mr. Brown: Bid Em In ..., sehr emotional vorgetragen, das berührt wirklich die Seele zutiefst. Lulla/Bye, ob man dabei einschlafen kann? Auf jeden Fall eine schöne und treibende Melodienfolge. Und ist I Am gar ein Selbstportrait? Will Matana uns damit vorführen, wie SIE wirklich fühlt und IST?
Wie auch immer man versucht, Deutungen hineinzubringen, jeder mag da eigene Assoziationen inne haben, mit How Much Would You Cost? ist leider alles vorbei.
Ganz lieblich ertönt die Melodie zu Beginn des Songs, als wolle man dem Hörer den Abschied leicht machen, ein Lied, dass die Künstlerin für ihre Mutter schrieb und das Züge einer Moritat trägt, spontan fällt mir der Song Mein Hut, der hat 3 Ecken ein.
Fazi: Hier wird quer durch die amerikanische Musikgeschichte musiziert, es ist faszinierend, wie wie selbstverständlich mit den Stilen umgegangen wird, ohne Scheu, ohne Bedenken, es könnte ggf.nicht passen.
So ist das keine reine Jazzplatte geworden, Traditionen aus Gospel, Blues, Worksong etc. ziehen ein in dieses große Haus voller Musik, mit Herzblut vorgetragen.
Tief verwurzelt in Tradition, gibt es keine Grenzen und eng ausgelegte musikalische Stile, das ist eine wirklich sehr ungewöhnliche Platte.
Matana Roberts ist ein ernst zu nehmende Künstlerin mit dem Blick auf Morgen, man wird auf die Dame verstärkt achten müssen, ich bin gespannt, wann Blue Note Records die Finger ausstreckt und hoffe gleichzeitig, dass sich dadurch nicht der freie Ausdruck der Musik verändern könnte, auch bei einem anderen 'Major'.
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 | 01:Rise |
2 |
02:Pov Piti |
3 |
03:Song For Eulalie |
4 |
04:Kersalia |
5 |
05:Libation For Mr. Brown: Bid Em In ... |
6 |
06:Lulla/bye |
7 |
07:I Am |
8 |
08:How Much Would You Cost? |
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Besetzung |
Ma Roberts (reeds, voice)
Gitu Jain (voice)
David Ryshpan (piano, organ)
Nicolas Caloia (cello)
Gordon Allen (trumpet)
Fred Bazil (tenor sax)
Jason Sharp (baritone sax)
Xarah Dion (prepared guitar)
Marie Davidson (violin)
Josh Zubot (violin)
Lisa Gamble (musical saw)
Thierry Amar bass)
Jonah Fortune (bass)
David Payent (drums, vibes)
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