Musik an sich


Reviews
Schubert, F. (Staier)

Sonate op. 78 „Fantasie” (D.894) – Vier Impromptus op. posth. 142 (D.935)


Info
Musikrichtung: Romantik Klavier

VÖ: 17.04.2009

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. HMC 902021)

Gesamtspielzeit: 70:53



BEUNRUHIGEND HYPNOTISCH

Mit ihrem (relativ!) geringen äußeren virtuosen Anspruch taugen die Klaviersonaten Franz Schuberts nicht zu Bravourstücken. Vor allem in seinen späten Werken hat der Komponist auf den glitzernden Rausch zugunsten formaler Experimente verzichtet, die die Grenzen der klassischen Sonate kontinuierlich erweiterten. Durch Variation, Umstellung, Reihung oder Ableitungen gestaltet er aus seinen Themen die Großform, in der man sich auch beim dritten oder vierten Hören noch leicht verirren kann.
Die Sonate in G-Dur, op. 178 (D. 894) ist so ein Beispiel für eine Musik, die scheinbar unendlich so weitergehen könnte. Der erste, meist aus schlichten, doch spannungsvoll wechselnden Akkord-Gestalten gefügte Satz, lebt kaum von der typischen thematischen Kontrast-Dramaturgie der Sonate, sondern von seiner lyrischen, geradezu hypnotischen Klangwirkung. Obwohl Schubert weder hier noch in den Folgesätzen auf mitunter heftige, ja erschütternde Ausbrüche verzichtet, überwiegt der Eindruck einer Musik, die frei schweifend einfach hin und hin geht. Ähnliches gilt für die vier Impromtus, op. Posth. 142 (D. 935), die ihre Energie aus der kreisenden Fortspinnung des meist ausgesprochen eingängigen Ausgangsthemas gewinnen.

Die Kunst der Interpretation ist bei Schubert folglich vor allem eine Kunst des Vortrags: der Variation des Anschlags, der Klangfarben, der Nuancierung, der Disposition des zeitlichen Verlaufs. Andreas Staier hat schon häufiger gezeigt, dass unter seinen Händen der historische Hammerflügel mit seinen gedämpften Farben für die atmosphärische Musik Schuberts das richtige Instrument ist. Das Traumwandlerische, aber auch absichtsvoll Verirrte, das diese Aufnahmen auszeichnet, verdankt sich aber nicht weniger Staiers Gespür für Zeit und Proportionen, durch die die beschworene musikalische Atmosphäre erst stimmig erscheint.
Zwar ächzt der Nachbau eines Wiener Fortepianos von Conrad Graf (1827) hier und da schon mal im Gebälk, wenn der Interpret fortissimo zulangt (1. Satz der Sonate), und einige Obertöne (Beginn des 4. Impromptus) klingen leicht aus der Spur. Ansonsten mag man sich aber nicht satthören an den Perlmutt-, Halbschatten- und Nebelklängen dieses Instruments, dessen Pedale raffinierte Dämpfungen und Brechungen des Ausgangstons gestatten. Die verhangenen, samtig-weichen Bassregister kontrastieren reizvoll mit den Harfen-Farben der hohen Lagen, während die Mitten etwas poröser wirken.

Schubert hat mit seiner Musik gegen die schmerzlich empfundene Entzauberung der Welt ankomponiert, ohne sich falsche Illusionen zu machen. Auch in den optimistischsten, tänzerisch ausgelassenen Momenten weicht nicht das Gefühl latenter Beunruhigung und Gefährdung. Mit Staiers berührender Einspielung wird dies auch dem modernen Hörer, der mit den nicht minder gravierenden Folgen dieser Entzauberung konfrontiert ist, sinnfällig.



Georg Henkel



Trackliste
01-04 Sonate op 78 (D.894)
05-08 Vier Impromptus op. posth. 142 (D.935)
Besetzung

Andreas Staier, Fortepiano v. Christopher Clare (1996) nach Conrad Graf, Wien (1827)


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