Musik an sich


Reviews
Rameau, J.-Ph. (Haas)

Quel les mortels servent de modèle aux dieux …


Info
Musikrichtung: Barock Ensemble

VÖ: 01.04.2009

(Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. Alpha 142)

Gesamtspielzeit: 67:49



GENIAL

Diese Aufnahme darf als eines der gelungensten Platten-Portraits von Jean-Philippe Rameau gelten, die zur Zeit erhältlich sind. Dabei scheint das Programm zunächst etwas merkwürdig: Ausschnitte aus der Tragedie Zoroastre und der „heroischen Pastorale“ Zaïs, die beide 1748/49 entstanden sind, werden verschränkt, so dass sie sich gegenseitig spiegeln: düsterer Tragödienton trifft auf bukolische Anmut und umgekehrt. Doch das Konzept geht wunderbar auf. Denn Frédérick Haas, der soeben beim gleichen Label als Cembalist mit einem aufregenden Couperin-Recital hervorgetreten ist, legt mit dem Ensemble Ausonia eine Interpretation der Extraklasse vor: außergewöhnlich, wie dieses nur aus Solisten bestehende Kammerensemble Rameaus oft kühnen harmonischen und klangfarblichen Erfindungen präsentiert.

Den genialen Orchestrator Rameau kann man hier kennenlernen. Jede instrumentale bzw. vokale Linie leuchtet, jedes Detail sitzt genau und wird hörbar gemacht. Und die Ausdrucksbreite wird gegenüber anderen Interpretationen noch einmal gesteigert. Wie die Sopranistin Eugénie Warnier und Arnaud Richard mit ihren glasklaren und doch substanzreichen Stimmen den geradezu ekstatischen Ausdrucksgehalt vieler Partien mit der richtigen Mischung aus Gesang und Deklamation erfassen, ist mustergültig. Dafür benötigen sie kein Vibrato, sondern nur jene barocke „Bebung“ in der Atmung, die die Klänge in Schwingung versetzt. Umwerfend vor allem Warniers bis in die Spitzenlage klangschöne und –intensive Attacke! Von ihren Barock-Heroinen möchte man noch viel viel mehr hören …

Geradezu paradox auch, wie es Ausonia mit gerade einem Dutzend Instrumente gelingt, monumentaler als manches größer besetzte Ensemble zu wirken (Extra-Lob an den Tontechniker Hugo Ducheaux!). Da wirkt nichts mikroskopisch aufgedröselt, aber auch nichts künstlich aufgeblasen. Stets gelingt es den Musikern, den kleinteiligen, quecksilbrig bewegten musikalischen Satz Rameaus unter großen, ausdrucksvollen Bögen zusammenzufassen. Statt Rokokospielereien oder künstliche Romantik hört man geniale, ausdruckssatte Neue Musik aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts.
Exemplarisch sind u. a. gelungen die eröffnende Ouvertüre aus Zaïs und die Chaconne aus der Tragedie Dardanus, mit der das Programm schließt. So leuchtet die Ouvertüre, in der sich die Schöpfung der Elemente (Streicher und Holzbläser) aus dem Chaos (dramatische Generalpausen, dumpfe Trommelschläge) rein musikalisch vollzieht, in allen Spektralfarben und gewinnt dabei einen Drive, den ich so weder in den Einspielungen von Rousset (Decca; filigran, aber auch recht trocken) noch von Minkowski (DGG Archiv; opulent, aber auch etwas breit) gespürt habe. Und die Dardanus-Chaconne hat mich auch noch nie so beeindruckt: was für ein instrumentales Drama, welch spannungsvolle Gegensätze werden da inszeniert!

Haas hat ganz recht: Rameaus Kollegen schaffen brillante Oberflächen aus Musik, die etwas darstellt. Bei Rameau spielt sich alles bereits in der Musik selbst ab. Darum hört man bei den Tänzen und Sinfonien auch sofort die Bewegungen der Körper, die Farben und Emotionen. Rameaus Kompositionen sind Musik-Theater pur, zumindest in dieser genialen Einspielung.
Angesichts der musikalischen Potentiale von Ausonia kann man nur auf weitere Einspielungen dieser Art hoffen. Immerhin gibt es von Rameau eine eigenhändige Kammerversion seiner Oper Castor e Pollux



Georg Henkel



Trackliste
1Ouverture (Zaïs)
2 Eveillez-vous, troupe immortelle (Oromazès - Zaïs, Prologue)
3 Aurore (Zaïs, Prologue)
4 Chantez oiseaux, chantez (Une Sylphide - Zaïs, Prologue)
5 Gavotte (Zoroastre, I, 3), Menuets (Zoroastre, II, 4)
6 Les torrents s'ouvrent un passage (Oromazès - Zaïs, Prologue)
7 Cruels tyrans qui régnez dans mon coeur (Abramane - Zoroastre, IV, 1)
8 C'en est donc fait, perfide (Erinice, Abramane - Zoroastre, IV, 3),
9 Dieux terribles, dieux tout-puissants (Erinice - Zoroastre, I,2)
10 Osons achever de grands crimes (Abramane - Zoroastre, III, 2,1756)
11 Ah, nos fureurs ne sont point vaines (La Vengeance - Zoroastre, IV, 6, 1756)
12 Ballet figuré formé par la Haine, le Désespoir et leur suite (Zoroastre, IV, 5)
13 Ministres redoutés, (Erinice, Abramane - Zoroastre, IV, 5,1756)
14 Air des Prêtres (Zoroastre, IV, 4)
15 Aquilons rompez votre chaîne (Cindor - Zaïs, II, 3)
16 Tempête, Ciel ! quels éclats ! (Zélidie, Cindor - Zaïs, II,3)
17 Air un peu gai (Zoroastre, II,3, 1756)
18 Quel tourment, où trouver la trace de ses pas ? (Erinice - Zoroastre, V, 1,1756)
19 Entrée noble (Zaïs, II, 3)
20 Simphonie, Venez aimable Zélidie (Cindor, Zélidie - Zaïs, II, 3)
21 Tambourins (Zaïs, III, 5)
22 Coulez, mes pleurs (Zélidie - Zaïs, III, 2)
23 Air tendre (Zoroastre, I, 3)
24 Déserts, disparaissez (Oromazès - Zaïs, IV, 3)
25 Air des Bergers, Air pour les Silphes (Zaïs, scène dernière)
26 Non, ce n'est pas toujours pour ravager la terre (Amélite) (Zoroastre, II, 7)
27 Chaconne (Dardanus, V)
Besetzung

Eugénie Warnier: Sopran
Arnaud Richard: Bass

Ausonia
Mira Goldenau: Violine & Konzertmeister

Frédérick Haas: Cembalo & Leitung


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