Messiaen, O. (Metzmacher, I. – Audi, P.)
Saint François d’Assise
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Oper
VÖ: 06.04.2009
(Opus Arte / Naxos / 3 DVD / 2008 / Best. Nr. OA 1007 D)
Gesamtspielzeit: 275:00
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ERGREIFENDE SPIRITUELLE REISE
Wohl kaum jemand dürfte daran geglaubt haben, dass sich Olivier Messiaens (1908-1992) riesenhaft besetzte Oper Saint François d’Assise nach ihrer Uraufführung 1983 zu einem regelrechten Repertoire-Stück der großen Opernhäuser und Festivals entwickeln würde. Auf der Liste der Aufführungsorte stehen nach Paris (2x) inzwischen Salzburg, New York (2x), Leipzig, Bochum, Berlin und jetzt auch Amsterdam. Die dortige Aufführungsserie im Jahr 2008 war komplett ausverkauft. Für ein Werk des späten 20. Jahrhunderts ist dies an sich schon bemerkenswert. Aber für ein Stück mit einer so ausgesprochen religiösen, um nicht zu sagen katholische Thematik, das sich um die übliche Love-Sex-and-Crime-Zutaten klassischer Libretti nicht schert und statt dessen über vier Stunden Zeit nimmt, um über die Wirkungen göttlicher Gnade nachzusinnen, ist ein solcher Erfolg geradezu außergewöhnlich.
Vielleicht liegt es daran, dass Messiaen gerade wegen der Eigenwilligkeit und Originalität seiner Klangsprache von allen Ansprüchen der Avantgarde unabhängig geblieben ist. Und daran, dass er den Stoff mit einer frommen Aufrichtigkeit verarbeitet hat, die manche naiv nennen, die aber absolut authentisch ist. Das Werk ist ein Glaubenszeugnis, ohne sich in dogmatischer Enge zu verlieren. Eine Einladung zu einer spirituellen Reise.
In der Franziskus-Oper gibt es keine vokalen Verrenkungen, die man „aushalten“ müsste. Die Stimmen werden vom Komponisten ausdrucksvoll deklamatorisch (Franzsikus und seine Ordensbrüder), mitunter geradezu betörend belkantisch (Engel) behandelt. Und auch das gewaltige chorische und orchestrale Aufgebot (zusammen 270 Mitwirkende) wird durch ein Netzwerk eingängiger Leitmotive zusammengehalten, das auch noch die ungewöhnlichsten rhythmischen, harmonischen und klangfarblichen Mixturen für den Hörer nachvollziehbar macht.
Messiaen, der hier die Summe seines Lebenswerkes gezogen hat, schafft eine zwingende Synthese aus regenbogenfarbenen Tonkomplexen, Vogelgesängen, ganztönigen Modi, griechischen und Hindu-Rhythmen, Gregorianik und elektronischer Musik (drei Ondes Martenot überhöhen den typisch Messiaen’schen Sound mit ihren Sirenengesängen).
Bei allen schroffen Ausbrüchen und ekstatischen Dissonanzballungen, die aber stets farbig, nie grau klingen, hat Messiaen keine Angst vor starker Ausdrucksmusik, was auch Pathos, Zärtlichkeit, ja einen gewissen süßen „Kitsch“ nicht ausschließt. Wobei: So wie Ingo Metzmacher ‚The Hague Philharmonic‘ hier im Griff hat, vermeidet der Dirigent gerade bei so heiklen Stellen wie „Franziskus küsst den Aussätzigen“ und dessen folgendem frenetischen Freudentanz, dem „Musizierenden Engel“ oder dem C-Dur-Jubel der Schlussapotheose alle Vordergründigkeit. Was bei schnell etwas bieder illustrativ wirken kann, wird bei Metzmacher zum scharf gefassten Klang-Symbol. Klar, transparent, und im Vergleich mit der CD-Aufnahme von Kent Nagano (DG) angenehm „aggressiv“ und abstrakt ist das Klangbild der Neuproduktion. Man durchhört den oft überraschend kammermusikalischen Satz, ohne dass etwas übertrieben herausstechen würde. Das ist ein sinnliches Fest für die Ohren, das sich in den exzellenten Chorleistungen fortsetzt.
Die Sängerbesetzung ist durchweg gut bis hervorragend. Rod Gilfry gibt dem Heiligen Franziskus nicht nur das wohl bislang attraktivste Aussehen, sondern versieht ihn mit einer gut sitzenden, wenngleich nicht durchschlagenden Baritonstimme. Trotz latenter Indispositionen verleiht er der etwas statuarischen Gestalt (Messiaen hat alle närrischen Züge der historischen Person getilgt) im Vokalen eine starke emotionale Aura, was durch ein ausdrucksvolles Spiel unterstützt wird.
Camilla Tilling ist ein vollkommener Engel, die Reinheit und Mühelosigkeit ihres Timbres berückend und ergreifend. Charismatisch die solistischen Mitbrüder des Heiligen: Tom Randle, Henk Neven, Donald Kaasch und Armand Arapian sing-spielen mit wohlklingenden Stimmen den naiven Bruder Masseo, den furchtsamen Bruder Leo, den Verwalter Bruder Elias oder den mystischen Bruder Bernhard. Herausragend schließlich auch der in seiner Verzweiflung wie in seiner Freude glaubwürdig menschliche Aussätzige von Hubert Delamboye.
Bei der Inszenierung des handlungsarmen, stellenweise recht diskurslastigen Stücks kam selbst der für seinen eher gemessenen Inszenierungsstil bekannte (oder auch berüchtigte) Pierre Audi ins Grübeln. Er verlagerte das Geschehen so weit wie möglich nach vorne und ging durch den überbauten Orchestergraben quasi auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Das Orchester verlegte er auf die Bühne, die er mit einem riesigen Gerüst umbauen ließ, das von einer Art Himmelskreis gekrönt wird. So kann der Chor auf mehreren Ebenen auftreten. Wenige Requisiten wie ein Berg aus Holzkreuzen oder grob gezimmerte „Kreuz“- bzw „Lebens-Bäume“ bestimmen das meist verschattete Bild (Ausnahme: die blendende Schlussapotheose).
Franziskus und seine Brüder agieren in voluminösen Kutten, die ein wenig an zerrupft-plüschige Haut-Couture-Wintermäntel erinnern. Die zurückgegelten Haare mögen auf das vorklösterliche Leben anspielen, bei Gilfry kann man freilich auch an den Grafen Danilo Danilowitsch aus der „Lustigen Witwe“ denken ...
Der Engel agiert zunächst in einem weißen (3. Bild), dann in einem dunklen neoasiatischen Gewand (4. Bild). Im 5. Bild wird seine himmlische Herkunft durch eine regenbogenfarbene Pelerine angezeigt, durch die er bei ausgebreiteten Armen zu einem bunten Schmetterling mutiert. In der Hand hält er zwei Fiberglasstäbe, die offenbar wie farbige Lichtstrahlen erscheinen sollen (das Licht der Gnade und Barmherzigkeit?). Das wirkt aus der Ferne sicherlich überzeugender als aus der TV-Nahsicht, wo man an Star Trek bzw. Laserschwerter denkt. Dennoch: Irgendwie passt diese künstliche Erscheinung zu den ätherischen, überirdisch süßen Ondes-Martenot-Klängen, die die Himmelsmusik repräsentieren.
Sehr gelungen der Auftritt der Kinder im 6. Bild, der „Vogelpredigt“. Mit 45 Minuten Dauer ist dies die längste Szene der Oper. Es handelt sich eher um eine Lektion in Vogelkunde und Schöpfungstheologie. Die verspielte Stimmung der zahllosen Vogelmusiken findet ein Echo in den lauschenden, herumlaufenden, „flatternden“ oder Vogelbilder malenden Kindern; das Spiel von Gilfry und Randle ist sehr gelöst. Trotzdem fordert der statische Charakter der Szene, die musikalisch immer wieder neu ansetzt und dann doch noch nicht zu einem Ende kommt, den Hörer besonders. Es ist eben keine Oper im normalen Sinn, sondern eher ein kontemplatives Mysterienspiel, das den Zuschauer mit einem orientalischen Zeitverständnis konfrontiert.
Dass diese Oper nun endlich einmal in einer insgesamt geglückten szenischen und überdies sehr guten musikalischen Produktion erhältlich ist, ist ein echter Gewinn! Dank an Opus Arte!
Georg Henkel
Trackliste |
Extras: Synopse, Besetzung, Einführung & Interviews (15 Minuten) |
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Besetzung |
Rod Gilfry: Franzsikus
Camilla Tilling: Engel
Hubert Delamboye: Aussätziger
Henk Neven: Bruder Leon
Tom Randle: Bruder Masseo
Donald Kaasch: Bruder Elias
Armand Arapian: Bruder Bernhard
The Hague Philharmonic
Chor von De Nederlandse Opera
Ingo Metzmacher: Leitung
Pierre Audi: Regie
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