Das Imperium zähmt Drachen: Die Robert-Schumann-Philharmonie spielt Filmmusik und anderes Ohrenkino
Mit Filmmusik hat die Robert-Schumann-Philharmonie schon Erfahrung – erst 2023 beispielsweise gestaltete sie ein komplettes Konzert mit Material aus James-Bond-Filmen, damals nicht im regulären Saisonbetrieb, sondern als Sonderkonzert. Da das jeweils 5. Saisonkonzert stets etwas ungewöhnliches Repertoire bietet, lag die Idee nahe, auch hier auf die Filmmusikkarte zu setzen, und anno 2024 geschieht nun ebendies, wenngleich nur im zweiten Konzertteil. Den ersten hingegen bilden Werke, die ebenfalls von Filmmusikkomponisten geschaffen worden sind, aber keine Filmmusik darstellen, oder solche, die sich anderweitig in den Überbegriff „Ohrenkino“ fassen lassen. Der Film-Aspekt erweist sich allerdings als zugkräftig, auch Publikum anzulocken, das sonst eher nicht zu den traditionellen Konzertbesuchern zählt, und so ist der Große Saal der Chemnitzer Stadthalle zwar nicht komplett ausverkauft, aber doch sehr gut besucht. Peter Boyer, geboren 1970, hat Filmmusik u.a. bei Elmer Bernstein studiert und ist gleichfalls, aber nicht ausschließlich auf diesem Terrain tätig. Seine „Silver Fanfare“, die als deutsche Erstaufführung den Abend eröffnet, ist der erste Satz aus der Suite „On Music’s Wings“ zum 25jährigen Bestehen des Orange County’s Pacific Symphony Orchestra, also als jubelndes Feierstück gedacht und daher auch fanfarenartig anhebend, aber dann von unten her u.a. mit der kleinen Trommel Spannung aufbauend. Markante Blech-Themen paaren sich mit zuckergußartigen Momenten (Flöte, Glockenspiel), auch das Schlagwerk ist omnipräsent und glockenlastig, und so evoziert Jakob Brenner am Dirigentenpult schon einiges an Energie und Bombast, obwohl das Tempo überschaubar bleibt, und wird mit einer ganzen Menge Applaus belohnt. Ein Novum bei Konzerten der Robert-Schumann-Philharmonie: Zwischen den Stücken treten jeweils Musiker nach vorn und moderieren das Geschehen – eine Idee, die aus dem Orchester selbst stammt. Insgesamt vier sind in diesen Programmpunkt involviert und entledigen sich der Aufgabe mit unterschiedlicher Souveränität, aber alle achtbar, mit Wissen und mit Witz, teils auch mit Accessoires wie einem Fahndungsplakat. Frederick Delius schrieb seine Fantasie-Ouvertüre „Over The Hills And Far Away“ am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Bilder das Laufen noch nicht gelernt hatten. Cineastisch veranlagt ist das Material aber allemal und hochromantisch dazu. Schon die mehrminütige Einleitung mit der sanften Violinarbeit ist für etliche Schichten Gänsehaut gut, und trotz der schrittweisen Dramatisierung bleibt der grundsätzliche relaxte Charakter erhalten. Der vielschichtige Fortgang hält sich von Experimenten fern, die Tempoattacken kommen immer dann, wenn man als Hörer meint, es wäre jetzt aber mal wieder Zeit für eine solche, und das Ganze wirkt wie eine Weiterentwicklung von Mendelssohns naturalistischsten Momenten. Auch hier zeigt sich das Publikum sehr angetan. James Horner kennt man hauptsächlich von seinem umfangreichen Filmmusikschaffen – an diesem Abend aber steht er im „anderen“ Teil des Programms, nämlich mit seinem Konzert „Pas de deux“ für Violine, Violoncello und Orchester, ein Dreisätzer, aber mit attacca aufeinanderfolgenden Sätzen und nicht in der klassischen Schnell-langsam-schnell-Satzfolge. Es geht mit einem Largo los, das in der zurückhaltenden Einleitung lange nur hintergründig Dynamik gewinnt, ehe Horner einige große Tutti-Welten betritt. Violinist Hartmut Schill und Cellist Jakub Tylman (Foto), beide orchestereigene Führungskräfte, haben einiges an Duetten zu bestreiten, wobei auffällt, dass die Violine klanglich klar über das Cello dominiert, und das über das ganze Konzert hinweg. Eine gewisse Spannung kommt hauptsächlich in den weit zurückgenommenen Momenten auf, während die Indisponiertheit Horners, die dynamischen Möglichkeiten der Besetzung auszureizen, überrascht. Aus den diversen kadenzartigen bzw. solistischen Parts entwickelt sich nämlich nur selten etwas, das Gros der Ideen führt ins Leere, und es passiert erstaunlich wenig Aufregendes, bis zum Finale des dritten Satzes: Aus dem letzten kadenzartigen Part heraus explodiert das Orchester förmlich, und die Dramatik erinnert an „Indiana Jones“-Großtaten, obwohl deren Filmmusik gar nicht von Horner ist, sondern von John Williams. Solche Spannung hätte man sich durchgängig gewünscht, und so fällt der Jubel des Publikums letztlich durchaus herzlich, aber nicht überwältigend aus. Die Filmmusik-Adaptionen im zweiten Teil hat mit zwei Ausnahmen Dirigent Jakob Brenner selbst arrangiert und ist gleich zu Beginn in eine strukturelle Falle getappt: Es erklingt das „Universal Theme“ von Jerry Goldsmith (mit etwas wackligen Hörnern), das natürlich jeder Anwesende kennt – aber nach diesem megakurzen Stück weiß man nicht, ob man applaudieren soll oder ob die Programmdynamik vorsieht, dass es gleich mit Alan Silvestris Hauptthema aus „Back to the Future“, also „Zurück in die Zukunft“, weitergehen soll. In diesem holt Brenner schon sehr viel an Dynamik aus dem Orchester, auch der Bombastfaktor genügt, um einiges an Energie in den Fluxkompensator zu pumpen. Silvestri ist dann gleich nochmal dran, nämlich mit einer Suite aus „Forrest Gump“, in der vier Sänger zur Besetzung stoßen. Zunächst arbeitet aber ein verträumtes Klavier über Streicherteppichen, später entwickeln sich auch größere Orchesterflächen, aber alles bleibt zurückhaltend, bis zum dritten Satz: Hier regiert der Bombast, hier greifen auch die Sänger mit Vokalisen ein – man hört sie aber leider nur so schlecht, dass ihre Leistung unmöglich zu bewerten ist. Auf flinken Füßen geht es dem Ende der Suite entgegen, auch dort nochmal mit Gesang, etwas besser hörbar und im Kollektiv durchaus überzeugend. „How to Train your Dragon“ („Drachenzähmen leicht gemacht“) hat der Rezensent nie gesehen und ist daher auch mit John Powells Filmmusik nicht vertraut. Hier kommt auch die Jehmlich-Orgel an der Hallenrückwand zum Einsatz, was für die Dramatik sehr nutzbringend ist, und Konzertmeisterin Heidrun Sandmann paßt sich in ihrer Themenvorgabe der Klangwelt bestens an. Hier und da denkt man, dass Nightwish-Chefdenker Tuomas Holopainen die eine oder andere Idee ähnlich hätte umsetzen können, und das knappe Bombastfinale aus der Orgel setzt einen wirkungsvollen Rahmen um das zwischendurch nur unterschwellig dramatische Material. „Batman“ spielt in recht düsteren Welten, und so verwundert es nicht, dass auch Danny Elfmans Musik sich viel in solchen Welten aufhält. Das dunkle Intro bekommt seinen sinistren Kick durch das Glockenspiel, aber auch hier bleiben markante Steigerungen natürlich nicht aus. Die Orgel ist auch in diesem Teil im Einsatz, wobei der intensive Schwellergebrauch auffällt. Ein langer düsterer Mittelteil leitet auch hier zu einem knappen Bombastschluß über. Von Hans Zimmers „Interstellar“ hatte Patrick Gläser einige Monate zuvor im nahen Oberlungwitz eine reine Orgelversion aufgeführt, und auch die nicht von Brenner arrangierte Suite setzt stark auf dieses Instrument und bietet breit schwingenden Edelbombast. Eine Suite aus „Star Wars“ bildet das Konzertfinale, wobei das Orchester erstaunlicherweise eine gewisse Anlaufzeit braucht, um sich aufeinander einzugrooven (im letzten Stück des Abends wohlgemerkt). Ein etwas breiteres dynamisches Spektrum hätte man sich im ersten Satz aber trotzdem gewünscht, während der langsame zweite mit einem schönen Hornsolo besticht und das Werk dann erstaunlicherweise durch die Abmoderation unterbrochen wird, bevor der „Imperial March“ nochmal alle bombastischen Register zieht und der finale Überwältigungsfaktor kurioserweise abermals ausbleibt – der zweite Programmteil ist wohl ein Werk zu lang und die Herangehensweise in den Arrangements insgesamt zu ähnlich, so dass die Aufmerksamkeit so manches Hörers schon etwas erlahmt ist. Für viel Applaus und einige Bravi reicht’s dennoch allemal, so dass eine Teilwiederholung von „Drachenzähmen leicht gemacht“ als Zugabe kommt. Die Idee für das Konzert ist in der Gesamtbetrachtung prima – aber mit geringen Anpassungen hätte man die Wirkung noch verstärken können. Aber es wird sicherlich nicht der letzte Ausflug der Robert-Schumann-Philharmonie in diese Welten gewesen sein. Roland Ludwig |
|
|
|