Artikel
Info
Zeit: 06.04.2023
Ort: Chemnitz, Stadthalle, Großer Saal
Fotograf: Saarländisches Staatstheater
Internet:
http://www.theater-chemnitz.de
Filmmusik ist ein probates Mittel für Sinfonieorchester, auch solche Menschen zu begeistern, die sonst selten bis nie den Weg in ein traditionelles Sinfoniekonzert finden – aber solche Programme auf ein reines Mittel zum Zweck zu reduzieren griffe zu kurz, denn auch als „Stammkonzertgänger“ kann man damit jede Menge Spaß haben, und überhaupt geht’s hier mehr um den Spaß an der Freude, wenn man nun nicht gerade irgendwelche Zombie-Horror-Soundtracks auf die Pulte legt. Am Gründonnerstag kommt bei der Robert-Schumann-Philharmonie nun ein James-Bond-Programm zum Vorschein – ein Grenzfall sozusagen: Auf der einen Seite gibt es in jedem Bond-Film reihenweise Tote, auf der anderen Seite aber auch Humor (und – hüstel – schöne Frauen), und schließlich hat es die Kunstfigur James Bond längst zur Ikone der Populärkultur gebracht und mit ihm auch ihr Hauptthema und so mancher Titeltrack der Filme. Ergo erscheint ein bondiges Konzertprogramm durchaus reizvoll, und so sieht das auch eine relativ große Publikumsmasse: Der Große Saal der Chemnitzer Stadthalle ist vom Ausverkauft-Prädikat zwar ein gutes Stück entfernt, aber doch ein gutes Stück dichter gefüllt als im regulären Sinfoniekonzertbetrieb, zudem mit einem etliche Jahre niedrigeren Altersdurchschnitt als dort.
Blaues, nach oben gerichtetes Bühnenlicht macht in der Ouvertüre schnell Platz für einen Suchscheinwerfer, den man auch aus vielen Bond-Vorspännen kennt. Dirigent Nicholas Milton (Foto) ist da noch gar nicht auf der Bühne, sondern kommt erst, während das Orchester schon spielt, von einem solchen Scheinwerfer verfolgt von rechts auf die Bühne, ehe er noch während der Ouvertüre das Pult erreicht. Besagte Ouvertüre ist natürlich das bereits seit dem ersten Film „James Bond jagt Dr. No“ aus dem Jahr 1962 bekannte „James Bond Theme“ – aber so richtig überzeugen kann sie noch nicht: Vieles Thematische klingt noch zu verwaschen, gerade das markante Hauptthema verschwindet akustisch viel zu stark, und vor allem das hohe Blech wackelt hier und da noch etwas. Zum Glück ändert sich die Lage schon beim gleichfalls instrumental bleibenden „From Russia With Love“: Die Spielsicherheit nimmt die gewohnten hohen Werte ein, und auch die Dynamikgestaltung durch Milton läßt diesen und die folgenden Diamanten an den richtigen Stellen funkeln. Ab „Goldfinger“ an Position 3 greift auch Mary Carewe ins Geschehen ein und führt eine interessante Altstimme ins Gefecht, nötigenfalls durchaus stimmgewaltig, oft soulig angehaucht und den unterschiedlichen Vorlagen an diesem Abend durchaus ein Zusammengehörigkeitsgefühl verleihend. Außerdem hat sie insgesamt fünf Kleider am Start, und die Wahl von so manch einem ist gleichfalls programmatisch zu verstehen, etwa natürlich gleich das erste, also das goldene in „Goldfinger“, das sie später zu „GoldenEye“ nochmals trägt. Die Lichtregie gebärdet sich nach dem Scheinwerfer-Intro eher ruhig und arbeitet nicht mit konkreten gegenständlichen Elementen, sondern eher mit batikartigen Mustern in verschiedenen Farben, damit die Stimmung zwar unterstreichend, aber nicht von der musikalischen Darbietung ablenkend. Und das ist auch gut so, denn Milton, der zum ersten Mal in Chemnitz am Pult steht, hat in den Arrangements von Nic Raine eine Menge an Reizvollem vor sich, das er genußvoll ausarbeitet, auch die Stärken so manches Orchestermitglieds oft und gern in den Mittelpunkt rückend, etwa von Trompeter Thomas Irmen, der in „Thunderball“ ausführlich solieren darf und in „We Have All The Time In The World“ sogar das letzte aufgenommene Solo von Louis Armstrong repetiert, wenngleich dieses sicherlich nicht zu Satchmos absoluten Glanzleistungen zählt. Neben einem Pauker und drei Schlagwerkern an einer Armada von Instrumenten sitzt ein weiterer Trommler an einem regulären Drumkit (das ist an gleicher Stelle ja gerade erst im Februar gebraucht worden), und das Orchester darf nicht selten im Smooth-Jazz-Gefilde vordringen, wofür die Parallelexistenz einiger Mitglieder in der orchestereigenen Bigband sich abermals als nutzbringend erweist, wenn es darum geht, eben keinen „Beamtenjazz“ auf die Bühne zu bringen, sondern etwas lebendig Vibrierendes, aber trotzdem spieltechnisch Exaktes. „The Man With The Golden Arm“ gerät dann allerdings so zackig, dass selbst die mikrofonierte Sängerin unterzugehen droht – ihre Trümpfe kann sie an anderer Stelle gekonnter ausspielen, etwa in „Nobody Does It Better“, als Milton sie in der ersten Songhälfte nur am Klavier begleitet. Ein dynamisch sehr ausgefeiltes „Live And Let Die“ beendet den ersten Set (bei deutlich besserer Transparenz für die Sängerin, die hier auch expressiv erstmals so richtig aus sich herausgeht), der schon auf starken Jubel im Publikum stößt.
Das Programm ist weitgehend, wenn auch nicht sklavisch chronologisch angeordnet – im zweiten Set gibt es also eher die Musik zu den jüngeren Bond-Filmen, und das hört man dann auch, wenn Garbage oder Jack White für die Songs verantwortlich zeichneten. Da rockt es auch auf der Bühne ein gutes Stück mehr, der Expressivitätsgrad steigt weiter – jedenfalls ab „Licence To Kill“, nachdem „For Your Eyes Only“ und „All Time High“ noch eher mellowe Stimmungen erzeugt hatten und ersteres für die Tessitur Carewes fast zu hoch ausfällt, jedenfalls was den Refrain angeht. Aber „Licence To Kill“ wendet alles ins Gute, zumal Carewe hier bei der Interpretation des schon von Gladys Knight recht expressiv angelegten Vorbildes richtig vom Leder ziehen kann – und von da an kommt man als Hörer aus dem Staunen kaum noch heraus. Mit Conrad Wecke darf der andere Solotrompeter die Gesangslinie von „The Writing On The Wall“ umsetzen und tut das trotz identischer Strophengestaltung ziemlich geschickt, zu „GoldenEye“ zaubert der Lichtmensch goldene Ringe ans Hallenfirmament, „A View To A Kill“ changiert wirkungsvoll zwischen verschiedenen Soloauftritten, und „The World Is Not Enough“ und „Another Way To Die“ geraten wie erwähnt zu den bombastrockigen Highlights des Konzerts, denen sich mit „Skyfall“ noch eine Bombastballade anschließt, nach welcher der Jubel schnell in Standing Ovations übergeht und selbstverständlich Zugaben erklingen. „No Time To Die“ zeigt dabei, dass Carewe auch an der Obergrenze ihrer Tessitur noch Meisterhaftes abzuliefern vermag, denn die fragilen Höhen passen hier wie eine Eins, und „Tomorrow Never Dies“ setzt nochmal Orchestergröße in den Refrain. Milton, der in charmantem, bisweilen doppelbödigem Deutsch moderiert, Carewe, die ihren Teil der Ansagen in Englisch hält (und übrigens die Tochter von John Carewe ist, der in den Frühneunzigern Generalmusikdirektor in Chemnitz war), und die Robert-Schumann-Philharmonie dürfen ein letztes Mal im Applaus baden, dann ist unwiderruflich Schluß. Gute Unterhaltung!
Roland Ludwig
Zurück zur Artikelübersicht |