In Flames
Used & Abused: In Live We Trust
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Info |
Musikrichtung:
Melodic Death Metal
VÖ: 26.11.2021 (25.7.05)
(Nuclear Blast)
Gesamtspielzeit: 90:05
Internet:
http://www.inflames.com
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Anno 2004 schnitten In Flames zwei Konzerte mit, die dann im Folgejahr ihren zweiten offiziellen Liverelease bildeten – und da wurde geklotzt, nicht gekleckert: Das Material erschien als Doppel-DVD sowie in auch noch um eine Doppel-CD erweiterter Form. Eine reine Audio-Variante aber existierte weiland zumindest für große Teile des weltweiten Marktes nicht: In Rußland wurde eine solche noch im Jahr 2005 veröffentlicht, in der Ukraine 2006 und in Taiwan 2010, aber der Rest der Welt verfügte nicht über diese Möglichkeit. Welche Gründe es gab, ausgerechnet Ende 2021 nun auch noch eine reguläre Doppel-CD, die mit der damaligen DVD-Package-Beilage musikalisch übereinzustimmen scheint, nachzuschieben, also zu einer Zeit, da In Flames personell nur noch zu zwei Fünfteln mit der 2004er Besetzung identisch sind, bleibt im Dunkeln. Immerhin wird aufgrund der Gleichheit des musikalischen Materials niemand gezwungen, den Re-Release noch einmal zu erwerben, wenn schon die erweiterte 2005er Version in der Sammlung steht.
Zentrale Frage bleibt aber natürlich, inwieweit sich der Erwerb generell lohnt. Für den Freund melodischen Death Metals, zu dessen Miterfindern In Flames bekanntlich zählen, ist sie uneingeschränkt mit einem Ja zu beantworten. Die Formation stand weiland mitten in einem größeren Karriereschritt, der mit einem partiellen Stilwechsel einhergegangen war – oder besser gesagt mit einer Stilerweiterung, die dem klassischen Melodic Death Elemente aus dem Alternative Rock oder bisweilen gar dem Nu Metal beimengte, was nicht jedem Hörer schmeckte, aber der Band andererseits auch neue Hörerschichten erschloß. Und schlecht ist ein Song wie eben das keyboarddurchsetzte und die Strophen mit finsteren Nu-Metal-Riffs zubauende „Cloud Connected“ ja auch definitiv nicht – im Gegenteil: Es handelt sich sozusagen um einen Hit, und aus der Schublade haben In Flames noch etliche andere im Gepäck, die sich neben weniger hittigem, aber ebenso hörenswertem Material unter den 23 Songs finden.
CD 1 enthält neun Songs, die am 27.12.2004 im Hammersmith Odeon in London mitgeschnitten wurden, einem der zentralen Plätze, wo man als Metalband mal gespielt haben sollte, wie Anders Fridén in der Ansage zu „In Search For I“ dann auch bekennt: Einer der Sätze, von denen er sich immer erträumt habe, sie mal von der Bühne sagen zu können, sei „Scream for me, Hammersmith!“ gewesen. Das Publikum erfüllt ihm diesen Wunsch natürlich und zeigt sich auch ansonsten ziemlich feierfreudig. Die Band wiederum läßt es an Spielfreude nicht fehlen, auch wenn die mitlaufenden Samples so etwas wie spontane Gestaltungsvariationen verhindern. Gespielt werden hier eher jüngere und modernere Nummern – die 2004er Liveaktivitäten dienten zur Promotion des im gleichen Jahr erschienenen Soundtrack To Your Escape-Albums, mit dem die Schweden bereits zum dritten Mal (davon zum zweiten Mal hintereinander) den Soundcheck im Metal Hammer gewonnen hatten. Fridén zeigt sich als Schalk, indem er „Touch Of Red“, die jüngste Single besagten Albums, als „Boobs And Beer“ ankündigt. Die im Hintergrund des großen Harmony-Parts im Mittelteil hintergründig mitlaufenden pfeifenden Key-Sounds im Stile einer uralten Orgel verleihen dem Midtempo-Melodeath ein ganz eigenes Gepräge. Vier der neun Songs stammen vom besagten neuen Album, dazu drei vom 2002er Vorgänger Reroute To Remain. In einigen Passagen von „Behind Space“ darf Daniel Svensson auch mal herzhaft Tempo machen (das ist der große Exot in der Setlist, stammt die Nummer doch vom 1993er Debüt Lunar Strain – und auf der DVD soll das Pantera-Cover „Fucking Hostile“ davorgestanden haben und mit der Nummer verwoben gewesen sein, wovon man in der Audiofassung aber nichts hört), und mit dem Clayman-Brecher „Pinball Map“ hatten In Flames auch gleich eröffnet, damit klarmachend, dass sie trotz der „Amerikanisierung“ ihres Sounds immer noch wissen, wo sie ursprünglich mal herkommen. Das neue „My Sweet Shadow“ schließt diesen Neun-Tracker ab, Halbakustikparts mit hymnischem Gepolter koppelnd und Fridén vom immer noch vorherrschenden Gebrüll verschiedener Höhenlagen (eher hoch keifend, aber auch tiefer shoutend) nahtlos auch in cleane Passagen wechseln lassend.
Auf CD 2 befinden sich 14 Songs aus dem Sticky Fingers im heimatlichen Göteborg, ebendort am 7.9.2004 mitgeschnitten. Derjenige, der für die Zusammenstellung der auf CD zu verewigenden Nummern verantwortlich war, hat darauf geachtet, dass es keine Überschneidungen gibt, wobei allerdings auffällt, dass das Material des neuen Albums beim Göteborg-Gig nicht nur dominiert, sondern auch gleich am Anfang des Mitschnitts konzentriert wird: Soundtrack To Your Escape wurde bei diesem Gig komplett durchgespielt, und gleich acht Nummern des aktuellen Albums folgen dann auch auf der CD aufeinander, wonach der historische Hit-Reigen mit dem The Jester Race-Oldie „Artifacts Of The Black Rain“ an Position 9 anhebt. Allerdings pflegt auch das 2004er Material so manche Tugenden des ganz alten Schweden-Stils weiter, etwa „Dead Alone“, das ein weiteres Beispiel für die vorhin genannte Kombination aus Alt und Neu darstellt, oder der das Studioalbum wie den Gig eröffnende Klopfer „F(r)iend“, der zwischendurch mal auf alten Stockholm-Death rüberschaltet, den es im Schaffen der Göteborger sonst eher selten gegeben hatte. Dazu kommt dann ein Hit wie „Like You Better Dead“, in dessen Refrain Fridén gar etwas an die rauheren Tage von James Hetfield oder an Nick Holmes zu Icon-Zeiten erinnert. Die Livefassungen kommen sowohl in Göteborg als auch in London etwas rauher aus den Boxen – die Samples sind da, dominieren aber nicht ganz so stark wie auf mancher Studioaufnahme. Mit „Evil In A Closet“ wagt sich das Quintett gar an eine Halbballade und macht auch auf diesem Terrain eine gute Figur – aber Meister der Einflechtung akustischer Gitarren waren In Flames ja schon immer. Dass in einigen doppelläufigen Leadparts die Rhythmusgitarre naturgemäß fehlt, stört nicht, und die Eleganz vieler Leads kann man mit ein wenig mehr Erschließungsarbeit als bei den diesbezüglich ebenso naturgemäß noch etwas saubereren Studiofassungen ebenfalls problemlos wahrnehmen. Lediglich die etwas zu steril anmutenden und zu weit im Vordergrund stehenden Doublebassdrums stören ein wenig, kommen allerdings eher selten zum Einsatz. Die Stimmung im Publikum ist auch hier offensichtlich hervorragend, wobei Fridén mit dem schwedischen Publikum hier auch auf Schwedisch kommuniziert, also nicht wie Messiah Marcolin auf der 1990er Candlemass-Livescheibe ins Englische wechselte, um auch dem internationalen Publikum zu verdeutlichen, was er ihm mitteilen möchte.
Der erwähnte Oldie-Hit-Block wird allerdings stilistisch schon mit Track 6 vorbereitet: „Superhero Of The Computer Rage“ bietet als erster Song von CD 2 diese markanten durchgerifften Maiden-Melodien, die eines der stilprägenden Merkmale des frühen Göteborg-Death darstellten – und „Dial 595 – Escape“ geht dann gleich in die oldschoolige Richtung, obwohl es sich wie auch beim Superhelden des Computerzorns um eine 2004er Nummer handelt. Ja, und selbst das deutlich modernere „Bottled“ gönnt sich eine doppelläufige Leadpassage, die auch aus der Frühzeit der Band stammen könnte, in die es dann mit dem erwähnten „Artifacts Of The Black Rain“ und dem auf dem Fuße folgenden melodiedurchwobenen und zudem von einem auffälligen Baß durchzogenen „Moonshield“ zurückgeht. Wie diese beiden The Jester Race-Nummern stehen auch die beiden von Whoracle, nämlich „Food For The Gods“ und „Jotun“, unmittelbar hintereinander, ehe die beiden jüngeren Hits „Colony“ und „Only For The Weak“ den knapp 54minütigen Reigen auf CD 2 abschließen.
Wer die beiden Spielzeiten registriert, bemerkt, dass auf beiden Silberlingen natürlich noch jede Menge Platz gewesen wäre (auch wenn es nicht möglich gewesen wäre, das 90-Minuten-Programm auf eine Scheibe zu bringen). Wie beschrieben wurde darauf geachtet, dass kein Song zweimal vertreten ist – auf der DVD ist das anders, denn da gibt es sowohl „Behind Space“ als auch jüngere Nummern wie „Touch Of Red“ aus beiden Gigs (die Soundtrack To Your Escape-Komplettaufführung ist auf der DVD auch komplett enthalten) und zudem noch Songs, die es gar nicht auf die CD geschafft haben, nämlich „Embody The Invisible“, das auf der DVD noch von einem anderen Gig stammende „Clayman“ und schließlich das dort als easter egg versteckte „Episode 666“, das aber kurioserweise in der Grafik auf der Rückseite des CD-Booklets eingearbeitet worden ist, obwohl der Song dort gar nicht erklingt. Keine Ahnung, warum diese drei Nummern weggelassen worden sind – aber immerhin stimmt auch das Gebotene den Genrefreund, so er nicht zur Fraktion „Alles, was nach Lunar Strain kam, taugt nix“ gehört, zweifelsohne positiv. Das CD-Booklet enthält alle Lyrics, was für eine Livescheibe durchaus nicht Standard ist, und beim Closer „Only For The Weak“ würde man am liebsten rings um den Schreibtisch hüpfen, was zweifellos ein gutes Zeichen darstellt.
Roland Ludwig
Trackliste |
CD 1
01 Pinball Map (4:29)
02 System (3:44)
03 Behind Space (3:30)
04 Cloud Connected (4:41)
05 In Search For I (3:32)
06 The Quiet Place (3:47)
07 Trigger (4:40)
08 Touch Of Red (3:19)
09 My Sweet Shadow ((4:33)
CD 2
01 F(r)iend (3:26)
02 Dead Alone (3:16)
03 Like You Better Dead (3:38)
04 Evil In A Closet (3:50)
05 Borders And Shading (4:06)
06 Superhero Of The Computer Rage (4:01)
07 Dial 595 – Escape (3:32)
08 Bottled (3:08)
09 Artifacts Of The Black Rain (3:08)
10 Moonshield (4:26)
11 Food For The Gods (4:09)
12 Jotun (3:36)
13 Colony (4:28)
14 Only For The Weak (4:51) |
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Besetzung |
Anders Fridén (Voc)
Jesper Strömblad (Git)
Björn Gelotte (Git)
Peter Iwers (B)
Daniel Svensson (Dr)
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