Campra, A. (Schneebeli)
Requiem / Grand Motet "In convertendo"
HIMMLISCHE PERSPEKTIVE
Erstaunlicherweise ist der Katalog der Aufnahmen mit André Campras (1660-1744) Requiem sehr dürftig, obwohl seine Vertonung zu den bedeutendsten Totenmusiken nicht allein in Frankreich, sondern überhaupt gelten darf. Bislang war Referenz noch immer die schon 1979 entstandene Interpretation mit dem Monteverdi Choir unter John Eliot Gardiner (Warner). Eine weitere - etwas statisch daherkommende - Aufnahme hat Hervé Niquet 1991 vorgelegt (Accord), sie ist allerdings nicht mehr im Handel. Höchste Zeit also für eine Einspielung, die interpretatorisch mithalten kann, zugleich aber die mittlerweile gemachten Fortschritte der historischen Aufführungspraxis rezipiert. Beides darf sich Oliver Schneebeli nun als Verdienst zuschreiben. Unter seiner Stabführung gelangte das Werk 2010 im Rahmen einer Reihe mit Werken Campras in der Chapelle Royale zur Aufführung. Das Label K617 legt den Live-Mitschnitt des Konzerts vor, der klanglich überzeugt und bei dem die Nebengeräusche kaum ins Gewicht fallen, sieht man einmal vom Applaus ab, der nach dem Requiem dann doch etwas unpassend wirkt.
Schneebeli zeigt, dass sich das Verständnis für Campras herrliche Musik sich in den letzten 30 Jahren deutlich vertieft hat. Ließ Gardiner das Werk einst noch eher monolithisch musizieren, wirkt es hier deutlich aufgehellter. Die vielen Sätzen zugrund liegende Tanzrhythmik wird klarer herausgearbeitet als bei Gardiner oder Niquet und das Ganze bekommt dadurch einen wiegenden Schwung, der nur im etwas verstolperten "Hosanna" des "Sanctus" kurz aus dem Takt gerät. Ansonsten aber bewegt sich die Aufnahme auf hohem Niveau. Der Chorklang ist geprägt von der Mischung von Kinder- und Erwachsenenstimmen im Sopran und Alt, die die besondere, von historischen Vorbildern inspirierte Grundidee von Les Pages & Les Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles ist. Dies führt zu einem lichten Ton, der gleichzeitig und trotz der kleinen Sängerzahl perfekte intonatorische Stabilität besitzt. Auch soweit die solistische Alt- und Sopran-Passagen von Mädchen und Jungen des Chores übernommen werden gelingt dies technisch überzeugend. Das Orchester agiert sehr präzise. So gerät schon der Eingangschor zu einem Faszinosum: Schneebeli lässt den Beginn vom Serpent intonieren. Sehr fließend, sehr hell gestaltet er dann als Kontrast die Passage "Et lux perpetua", in welcher Campra mit vollkommener Glaubensgewißheit Trost in der Trauer aufleuchten lässt. Das dramatisch konzipierte Offertorium wird höchst plastisch umgesetzt und der Schlusssatz erhält feierliche Größe. Auf diese Weise wird erfahrbar, warum dieses Requiem, das die Perspektive musikalisch auf das Himmlische hin öffnet, wahrhaftig zu den großen Werken der Gattung gezählt wird.
Ähnlich qualitätvoll, wenngleich mit recht gedämpfter Emphase wird Campras Motette "In convertendo" präsentiert. Schneebeli hat sich dabei für die überarbeitete Fassung entschieden, die der Komponnist 1726 nach dem aktuellen, einem dekorativeren Stil zuneigenden Zeitgeschmack anfertigte, 23 Jahre nach der Entstehung der ursprünglichen Komposition.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1-16 Requiem 38:51
17-23 Grand Motet "In convertendo" 18:41
24 Agnus Dei 02:36 |
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Besetzung |
Robert Getchell: Haute-Contre
Jean-Francois Novelli: Tenor
Marc Labonnette: Bariton
Les Pages & Les Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles
Orchestre des Musiques Anciennes et à Venir
Oliver Schneebeli: Ltg.
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