Musik an sich


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Bach, J. S. (Creed)

Motetten


Info
Musikrichtung: Barock Vokal

VÖ: 18.03.2011

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi/ CD / DDD / 2010 / Best. Nr. HMC 902079)



SONNIG

So durchlichtet, klar und entspannt, wie das Vocalconsort Berlin unter der Leitung von Marcus Creed J. S. Bachs Motetten musiziert, fühlt man sich aus dem Spätbarock in die Spätrenaissance zurückversetzt. Wobei dieser Eindruck nicht ganz falsch ist. Denn die kunstvolle Polyphonie des 16. Jahrhunderts hatte in der zu Bachs Zeiten schon recht antiquierten Gattung eine Art Reservat gefunden. Zwar finden sich in Bachs Motetten alle Mittel der barocken Affektkomposition, sie werden durch die konsequent mehrstimmige Anlage aber gegenüber den solistischen Arien der Kantaten und Oratorien noch stärker objektiviert.
Vergleicht man Creeds Version mit der Fassung, die René Jacobs mit dem RIAS Kammerchor beim gleichen Label vorgelegt hat, dann hört man, wie unterschiedlich Bachs Musik gesungen werden kann. Bei Creed überwiegt ein warmer, geradezu „sonniger“ Gesamtklang, der der Musik zwar den tänzerischen Puls und ihre rhetorische Kraft belässt, diese dabei aber doch merklich gemessener und homogener klingen lässt als bei Jacobs. Creed lässt einzelne Worte und Phrasen subtil gestalten. Jacobs arbeitet dagegen die ebenso expressiven wie bildmächtigen Madrigalismen der Motteten an der Oberfläche wesentlich deutlicher heraus. Bedenkt man, dass diese Stücke wohl für Begräbnisfeiern geschrieben wurden, kann man sagen, dass Creeds Lesart eher tröstlich-verinnerlicht, Jacobs hingegen expressiv und im Barocken Sinn theatralisch gedacht ist. Da kommt es also darauf an, ob man eher eine kontemplative oder dramatische Klangrede bevorzugt.
Auch profiliert Jacobs den Wechsel zwischen Soli- und Tutti-Ensembles eindrücklicher als Creed. Wobei dies auch eine Frage der Aufführungspraxis ist. Bei Jacobs singt ein großer Kammerchor mit über 30 Mitwirkenden, zu dem noch ein Solistenquartett und ein recht großes Instrumentalkonzert kommen. Bei Creed sind es im Ganzen 18 Sängerinnen und Sänger inklusive Solisten, denen noch eine Orgel und Violone zur Seite gestellt ist. Das ist ein guter Kompromiss zwischen den heute meist bevorzugen solistischen Besetzung mit acht Stimmen und den traditionellen chorischen Groß-Besetzungen. Die hohen Register bleiben in der Neueinspielung stellenweise etwas blass, vor allem am Anfang benötigen die Soprane etwas Zeit, bis sie den Geist, der der Schwachheit aufhilft, wirklich aufstrahlen lassen können. Was den Werkkatalog angeht, befindet sich diese Einspielung auf dem aktuellen Forschungsstand: Die Motette Ich lasse die nicht, die man lange Zeit dem Eisenacher Organisten Johann Christoph Bach zugeschrieben hat, gilt inzwischen zweifelsfrei als ein Jugendwerk von Johann Sebastian.

Im Ganzen vermag diese Produktion zu überzeugen – nicht, weil sie Überraschendes oder gar Experimentelles in Sachen Bachexegese zu bieten hätte, sondern weil sie sich diesbezüglich einer Zurückhaltung befleißigt, die der Innigkeit und geistliche Ruhe dieser Musik zu ihrem Recht verhilft.



Georg Henkel



Besetzung

Vocalconsort Berlin

Marcus Creed: Leitung


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