Mendelssohn, F. – Leterme, P. – Schumann, R. (Quatuor Alfama)
So far so close. Streichquartette
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Info |
Musikrichtung:
Romantik / Neue Musik / Streichquartett
VÖ: 03.03.2023
(Cypress / Note 1 / CD / DDD / 2022 / CYP 1683)
Gesamtspielzeit: 62:33
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AN DER GRENZE DES AUSDRUCKS
Was die Verschiebung der Ausdrucksgrenzen beim klassisch-romantischen Repertoire angeht, ist das sechste und letzte Streichquartett Felix Mendelssohns zuletzt öfter ein Versuchsfeld gewesen. So hat das Quatuor van Kuijk im Rahmen seiner Gesamteinspielung bereits gezeigt, wie eindringlich dramatisch, leidenschaftlich, ja schmerzgesättigt diese Trauermusik klingen kann, die der Komponist unmittelbar nach dem Tod seiner geliebten Schwester und Seelenverwandten Fanny geschrieben hat.
Das Quatuor Alfama verschiebt die Grenze jetzt noch ein Stückchen, geht in punkto Dynamik, emotionaler Klangschärfung und Tempo bis ans Äußerste, ohne dass es überzogen klingen würde. Die die vibrierenden Streicherketten des Beginns knistern wie ein elektrisches Feld. Man hält beim Zuhören die Luft an. Doch nicht nur der Eröffnungssatz wird auf der Stuhlkante gespielt. Auch im 2. und 4. Satz springen einen die aufbegehrenden Gesten oder auch dissonant "schreiende" Akkorde geradezu an.
Lediglich der langsame 3. Satz bietet einen, wenngleich stets gefährdeten, Ruhepunkt. Die zwei Damen und zwei Herren des Alfama-Quartetts realisieren dies alles auf einem technisch-musikalischen Niveau und mit einer nie erlahmenden Intensität, die schlicht Staunen machen.
Dennoch eine ambivalente Erfahrung: Ob man die Anklangsnerven der Zuhörenden derart stimulieren muss, ob die Musik dem Schmerz derart unmittelbar und realistisch Ausdruck verleihen darf, ohne ihre sublimierende, auch tröstliche Kraft zu verlieren, ist eine grundsätzliche Frage. Hier erlebt man sich dem Geschehen wahrlich ausgesetzt: So far so close? So Close!
Da wirkt das „Zwischenspiel“ des belgischen Komponisten Patrick Leterme, einem 1981 geborenen Komponisten, geradezu kontemplativ und besinnlich – so far: Seine „Drei Sätze für Streichquartett“ betören durch eine fluide, spektralisierende Harmonik, die durch subtile Glissandi in der Schwebe bleibt. Die Musik schimmert prismatisch, was die Titel „Solaire“ und „Aérien“ bereits andeuten. Der finale „Choral“ endet dann abrupt, so dass sich das 1. Streichquarett von Robert Schumann anschließen kann – der Übergang irritiert deshalb, weil das Quatuor Alfama die Modernität Schumanns – oder zuvor die „Romantik“ Letermes? – herausarbeitet. Man realisiert erst nach und nach, dass man erneut in einer anderen, früheren Epoche angekommen ist.
Auch bei Schumann frappieren die Energie und Klangsensibilität der vier Musiker:innen. Ihre kräftige, obertönige Artikulation und kontraststarke dynamische Staffelung sorgen erneut für einen nachgerade orchestralen Klangeindruck. Dadurch wirkt die die Musik wieder sehr plastisch und gestaltreich, inklusive der einkomponierten volkstümlichen Elemente wie archaisierende Drehleierklänge.
Diese Einspielung zeigt eine Lust an der Grenzerkundung und interpretatorischen Zuspitzung, die gleichermaßen packen wie verstören kann.
Georg Henkel
Trackliste |
Felix Mendelssohn: Streichquartett Nr. 6
Patrick Leterme: Drei Sätze für Streichquartett
Robert Schumann: Streichquartett Nr. 1 |
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Besetzung |
Quatuor Alfama: Alice Van Leuven & Caroline Denys, Violine; Morgan Huet, Viola; Renaat Ackaert, Cello
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