Marais, M. (Niquet, H.)
Ariane et Bacchus
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Info |
Musikrichtung:
Barock / Oper
VÖ: 17.03.2023
(Alpha / Note 1 / 2 CD / DDD / 2022 / Alpha 926)
Gesamtspielzeit: 126:25
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INSPIRIERT & INFORMIERT
In der Musiktragödie „Ariane et Bacchus“ (1686) erweisen sich Marin Marais und sein Librettist Saint-Jean einerseits als getreue Schülers Lullys und Quinaults, andererseits brechen sie mit dem strengen Pathos ihrer Vorgänger. Das tragische Element wird nämlich nicht mehr ganz so ernst genommen: Der Wahnsinn der Heldin Ariane und ihr versuchter Mordanschlag auf den vermeintlich ungetreuen Geliebten, den Gott Bacchus, bleiben vielmehr auf halben Weg stecken, am Ende legt Gott Merkur kurzerhand den Schicksalshebel um und sorgt für ein Happy End. Auch verlagert sich das Interesse mehr und mehr auf die normalsterblichen Nebenfiguren, denen das vielleicht authentischere Glück vergönnt ist – ein Tribut an eine Zeit, die genug hatte von Herrscherpomp Ludwigs XIV., dessen Sonne als Folge sich häufender wirtschaftlicher und militärischer Krisen im Sinken begriffen war.
Zwar bleibt das alles noch im Rahmen des Bewährten: Meistergambist Marais hat über die langen Jahre seiner Mitwirkung in Lullys Opernorchester den Stil seines Lehrers zutiefst verinnerlicht. So präsentiert neben den obligatorischen Rezitativen und Airs kurzweilige kriegerische, pastorale, magische oder träumerische Szenen, für die Lully das Maß gesetzt hat. Doch einfallsreich bereichert er den streng französischen Ton durch eine verfeinerte und chromatischere Harmonik, einen weiteren Ausbau des Orchesterparts und eine lebendige musikalische Zeichnung der Charaktere.
Die Musik klingt vertraut, aber in ihren Mitteln keineswegs verbraucht, auch wenn sie noch nicht ganz die Originalität von Marais‘ späteren Opern „Alcyone“ oder „Séméle“ erreicht. Möglicherweise war dem Werk auch deswegen kein nachhaltiger Erfolg beschieden, es erschien auch nie im Druck. Auf der Grundlage der überlieferten Quellen hat das Centre Musique Barocke de Versailles jetzt aber eine kritische Partitur erstellt, die von Hervé Niquet und „Le Concert Spirituel“ nach konzertanten Aufführungen eingespielt wurde.
Die gewachsene Souveränität im Umgang mit diesem Repertoire bedeutet auch einen Abschied von instrumentalen Zutaten, die eher dem heutigem Geschmack (oder „Barock-Klischee“) als der damaligen Aufführungspraxis entsprechen. So gibt im Orchester kein zweites Cembalo mehr, auch findet sich weder Orgel noch Gitarre im Continuo und im Orchester fehlt der Kontrabass. Dafür sind nach dem Vorbild des damaligen Orchesters die Bassgeigen stark besetzt, ebenso die Oboen und Fagotte bzw. Blockflöten – hier wird heute gerne gespart, dabei tragen sie in chorischer Besetzung viel zum typischen dunklen, dichten Klangbild bei.
Insbesondere dort führt Niqeut in bewährter Weise Regie: Mit einem geschmeidigen und bündigen Vortrag, der sich im Vokalen am normalen Sprechtempo orientiert und im Instrumentalen den großen Bogen im Blick hat. Das bedingt dort eine deutlichere Bevorzugung des Legatos gegenüber einem eher skandierenden Angang. Das Continuo klingt voll und reif, dank eines Quartetts aus Gamben und Bassgeigen, was für eine quasi-orchestrale Begleitung der Rezitative sorgt und den Eindruck einer „Durchkomposition“ verstärkt. Statt einzelner Nummern erlebt man die Musik mehr als durchgehenden Klangfluss unterschiedlicher Dichte und Schattierung – die Oper des späteren 19. Jahrhunderts hat nicht erst in Gluck, sondern schon hier ihren Vorläufer. So reißt die Dramatik in keinem Moment ab, alles pulsiert leidenschaftlich und bei hohem Affektpegel, auch sängerisch.
Da ist ein ausgezeichnetes Ensemble bewährter Expertinnen und Experten versammelt, mit der leidenschaftlich auftrumpfenden Judith van Wanroij als verliebt-verwirrter Ariane und dem nicht minder passionierten Mathias Vidal als Bacchus. Véronique Gens hat mit ihrem expressiv schillernden Mezzo einen eindrücklichen Auftritt als Juno. Bei den Herren beeindruckt neben dem kernig-eleganten David Witzak als Adraste in verschiedenen Rollen auch der präsente Tomislav Lavoie. Arianes Vertraute Corcine nimmt mit dem vokalen Charme Marie Perbosts für sich ein.
Der Chor des Centre Musique Barocke de Versailles trägt mit seiner relativ großen Besetzung ebenso zum schönen Gesamtergebnis bei wie das versierte Orchester. In der Balance wird dieses von der Tontechnik ein wenig bevorzugt.
Georg Henkel
Besetzung |
Judith van Wanroij, Mathias Vidal, Marie Perbost, Hélène Charpentier, Véronique Gens, Matthieu Lécroart, David Witzak, Tomsilav Lavoie, Ohilippe Estèphe
Les Chantres Du Centre De Musique Baroque de Versailles
Le Concert Spirituel
Hervé Niquet, Leitung
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