Gesualdo, C. (Agnew, P.)
Tenebrae Responsoria: Feria Quinta
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Info |
Musikrichtung:
Renaissance / Madrigal / Geistliche Musik
VÖ: 10.03.2023
(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2018 – 2020 u. 2022 / HAF 8905363 u. HAF 8905311.12)
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AUSGEREIFT II
Zum Abschluss der Gesamteinspielung der sechs Madrigalbücher Carlo Gesualdos öffnet Tenor Paul Agnew mit seinem Vokalconsort eine neue Tür: Zeitgleich mit der Doppel-CD des 5. und 6. Madrigalbuches erscheint die erste Folge der Responsorien zur Karwoche, genauer: für den Gründonnerstag.
Die stilistische Nachbarschaft ist unüberhörbar: Die beiden letzten Madrigalbücher und die Tenebrae-Responsorien sind reife Zeugnisse von Gesualdos hochchromatischem Spätwerk. Während die Madriagale die oft plakativen lyrischen Vorlagen mit gewagter Harmonik minuziös ausdeuten und einen erregenden Sehnsuchtsschmerz zwischen Eros und Thanatos kultivieren, meditieren die Responsorien Leiden Christi zwar mit den gleichen Mitteln, erzeugen hier aber auf kleinstem Raum eine emotional ergreifende, ja erschütternde religiöse Atmosphäre. Passionsmusiken im tiefsten Sinne sind das eine wie das andere.
Auf diesen letzten Werkzyklen vor allem beruht der notorische Ruhm des adeligen Komponisten, der als Mörder seiner Gattin und ihres Liebhabers in die Geschichte einging. Gleichwohl sind seine manieristischen Kompositionen nicht einfach Zeugnisse psychischer Labilität und Schuldkomplexe, sondern stehen auf der Höhe einer letzten Entwicklungsstufe des Renaissancemadrigals: Diese erlaubt, ja fordert im Sinne der Ausdruckswahrheit und als Wiederbelebung der Chromatik der Antike auch unvorbereitete dissonante Fortschreitungen, „falsche“ Stimmführungen und abrupte Modulationen. Bei Gesualdo freilich kommt jenseits der musikästhetischen Spekulation eine geniale kompositorische Begabung hinzu. Der formal konservative Komponist erweist sich in seiner atmosphärischen Inszenierung vereinigter Gegensätze wie Liebe und Hass, Schönheit und Hässlichkeit, Herrlichkeit und Schrecken als ein musikalischer Zeitgenosse Caravaggios.
Die beiden Zyklen sind weitgehend mit den selben vorzüglichen britischen Sänger:innen besetzt und bewegen sich trotz der zeitlichen Abstände der Produktionen erneut auf höchstem Niveau, sowohl vokaltechnisch wie interpretatorisch. Es gelingt, die charakteristischen Timbres der einzelnen Sänger:innen und den Ensembleklang als Ganzes in eine Balance zu bringen: Man hört gleichsam noch die Tradition der Renaissance, die sich der Textausdeutung verpflichtet weiß, und spürt zugleich den Schritt hin auf eine neue Form der Darstellung menschlicher Affekte, wie sie für den Barock typisch ist. So frappiert die gestische Kraft, die Agnew mit seinen Ensembles in der Musik entdeckt, wobei die Tongebung im Sinne der Textausdeutung durchaus profiliert sein kann, insbesondere die Soprane können durch eine gewisse Schärfe herausstechen, was sicherlich Geschmackssache ist.
Die plastische Durchformung des Notensatzes bei genauer Durchleuchtung der italienischen oder lateinischen Textvorlage setzt Maßstäbe. Die mal subtilen, dann wieder drastischen harmonischen Kombinationen werden rigoros ausgeformt.
Dadurch unterscheidet sich diese Auffassung auch von einem lyrischeren Ansatz, wie er z. B. von „La Venexiana“ kultiviert wird – eine komplementäre Darbietung. Beide Zugänge haben ihre besonderen Qualitäten.
Von den neuen Alben ist die Einspielung mit den Responsorien zum Gründonnerstag im Ausdruck noch etwas intensiver geraten, obschon – oder gerade weil – Gesualdos Musik hier in einem quasiliturgischen Rahmen aus gregorianischen Lamentationen, Psalmen und biblischen Lesungen gesetzt wird. Diese werden freilich mit eindrücklicher Emphase realisiert und durch wechselnde stimmliche Registrierungen kontrastiert. In diesem Kontext entfalten die leidenschaftlichen Darbietungen der Responsorien mit ihren empfindsamer Ausgestaltung der Tempi und Dissonanzen eine besondere Intensität. Man spürt, dass eine solche Einbettung nicht nur musikalisch, sondern auch mit Blick auf die psychologische Wirkung der Stücke Sinn macht. Es braucht nach solchen Klangverdichtungen auch wieder Phasen, wo sie nachklingen können. Ihre Dramatik, ja „Theatralik“ kommt dann um so stärker zur Geltung.
Georg Henkel
Trackliste |
Madrigale 5 & &: 138:00
Responsorien zum Gründonnerstag: 76:14 |
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Besetzung |
Les Arts Florissants:
Miriam Allan, Maud Gnidzaz und Hannah Morrison: Sopran
Melodie Ruvio: Contralto
Paul Agnew, Sean Clayton: Tenore
Edward Grint: Bass
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